Dienstag, 26. September 2023

Dokumentation: „Gebet“

Guten Tag!

Heddesheim, 10. April 2010. Der katholische Pfarrer Heiner Gladbach verlässt die Kirchengemeinden Heddesheim und Ladenburg auf unbestimmte Zeit – weil er in einer Partnerschaft lebt. Am 14. März hat er im Gottesdienst – vor dem Hintergrund der bekannt geworden Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche – in seiner Gemeinde ein sehr persönliches Gebet gehalten.

Wir dokumentieren den Text des Pfarres Gladbach, der uns hierzu seine Erlaubnis erteilt hat:

„Erklärung
Gebet von Pf. H. Gladbach am 14. März 2010 am Tag der „Ewigen Anbetung“ (Gebet vor dem eucharistischen Brot, das sich in einer Monstranz befindet).

Vorbemerkung:
Eigentlich wollte ich mit Ihnen einen Abschnitt aus der der eucharistischen Andacht im Gotteslob beten. Aber nachdem ich gestern, am 13. März 2010, einen Kommentar im Mannheimer Morgen von Stefanie Ball zur derzeitigen Situation der Kirche gelesen habe, ich zitiere:
„Was der kath. Kirche und ihren Vertretern, die sich in den vergangenen Wochen geäußert haben, völlig abgeht, sind Emotionen, Worte, die einen berühren, die einem die Hoffnung zurückgeben, dass es der Kirche wirklich ernst ist.“,
habe ich mich entschlossen, selbst ein Gebet zu verfassen.
Ich lade Sie ein mir auf dem Weg dieses Gebetes zu folgen.

Gebet
Herr Jesus Christus gegenwärtig im hl. Brot der Eucharistie: Sieh auf deine Kirche, die in diesen Tagen und Wochen berechtigter Kritik ausgesetzt ist.
Ich bitte dich für die Opfer, die durch Missbrauch und Misshandlung lebenslange seelische Schäden davongetragen haben und tragen. Ich bitte, dass du die Wunden heilst, dass sie wieder Vertrauen in „deine Kirche“ fassen und dass wir ihnen gegenüber große Demut zeigen, denn niemand kennt ihre Qual und niemand sieht ihre innere Zerrissenheit.
Sieh die Fehler, vieler Menschen in deiner Kirche, die sich an Kindern und Jugendlichen vergangen haben, und so deine Botschaft der Gottes- und Nächstenliebe in diesen jungen Menschen zerstört haben.

Sieh auf die Fehler der Verantwortlichen in deiner Kirche: Jahre und Jahrzehnte haben sie geschwiegen und diese Vergehen zugedeckt. Dadurch haben sie ebenfalls schwere Schuld auf sich geladen.

Es ist unverständlich warum dies geschehen musste. Im Moment kann man – Jesus – an deiner Kirche verzweifeln.

Als Priester fühle ich mich im Moment hilflos!

Den Menschen ausgeliefert, ihren Spott und ihren Zorn zu ertragen. Ich schäme mich manchmal Priester dieser Kirche zu sein.

Und es nützen mir nicht all die Versprechungen der lückenlosen Aufklärung, und es nützt mir erst recht nicht die Aussage: Dass kommt auch in nichtkirchlichen Institutionen vor.

Was mir nützen würde, Jesus Christus, wäre die Demut der Verantwortlichen in der Kirche. Der Kniefall vor den Opfern dieser Verbrechen. Ein Kniefall der ein Zeichen setzen würde, wie es schon einmal ein Politiker getan hat.

Und so knie ich vor dir, verwirrt, verunsichert und ratlos, mit Trauer und Zorn in meinem Herzen, warum tun sich unsere Verantwortlichen so schwer, die Knie zu beugen, statt nichts nützende Wahrheiten aus zu sprechen.

Ich weiß, mein Kniefall wird nicht viel bewirken, er wird nicht das Aufsehen eines Kniefalls von Willy Brandt erregen, aber er soll ein Zeichen sein für die Menschen, die heute hier mit mir zum Gebet versammelt sind. Zeichen dafür, dass auch ich Kirche bin, sicher nur ein Stein unter vielen, aber ein Stein, der nicht morsch werden möchte, ein Stein der nicht in sich zusammenfallen möchte, sondern auch diese Last des hier und jetzt in deiner Kirche mit tragen möchte, denn ich liebe deine Kirche, deren Kleid im Moment schwer besudelt ist. Vielleicht können wir hier und jetzt mit unserm Gebet anfangen, dieses Kleid rein zu waschen.

Vor fast genau zehn Jahren hat dein Diener Papst Johannes Paul II. am 12. März 2000, in einer historisch einmaligen Geste Gott, deinen Vater um Vergebung für die Fehler von Christen in der 2000-jährigen Kirchengeschichte gebeten. Ihm, dem alt- und bucklig gewordenen Mann, war es nicht mehr möglich sich vor Gott, deinem Vater, niederzuwerfen. Aber seine altersgebückte Gestalt reichte aus, um an die Szene zu erinnern: Jakob vor Esau – Johannes Paul II. vor Gott und wir jetzt vor dir im eucharistischen Brot. Und ich bitte inständig: Herr verzeih die schweren Fehler so vieler in deiner Kirche.

Wir bitten dich, um deinen Segen über unsere Gemeinde unsere Seelsorge-Einheit und deine ganze Kirche. Amen“