Montag, 27. MĂ€rz 2023

Gift-Einsatz: „Der Einsatz von Herbiziden ist kontraproduktiv“

Guten Tag!

Heddesheim, 25. Oktober 2010. Die Gemeindeverwaltung Heddesheim will ĂŒberhaupt keinen Fehler in der Gift-Spritzaktion erkennen – vor kurzer Zeit wurde eine FlĂ€che, auf der eine Wildblumenwiese entstehen soll mit dem Wirkstoff MCPA gespritzt, um „Disteln“ zu bekĂ€mpfen. NABU-Sprecher Paul Hennze erklĂ€rt im Interview, warum das absolut falsch ist. Dass Bauern die Distel auf Feldern bekĂ€mpfen, findet er zwar nicht richtig, kann aber die Sicht der Bauern zumindest verstehen. Im Fall der Blumenwiese fehlt ihm jedes VerstĂ€ndnis. Der Gemeinde bietet er Beratung an.

Herr Hennze, die Gemeinde Heddesheim plant eine Wildblumenwiese auf einem ehemaligen Acker anzulegen, wird das klappen?
Paul Hennze: „Die meisten Wildblumen lieben magere Böden, die sind schwer zu finden in unserer Region. Ackerböden sind grundsĂ€tzlich hoffnungslos ĂŒberdĂŒngt.“

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Paul Henze klĂ€rt ĂŒber Naturschutz auf. Bild: privat

Sie meinen, es wird nichts mit der BlĂŒtenpracht?
Hennze: „Es gibt auch Pflanzen, die stickstoffreiche Böden lieben, beispielsweise die Brennessel und Distel. Die sind gleichzeitig hervorragende Futterpflanzen fĂŒr Raupen, die wiederum zu Schmetterlingen werden. Die Schmetterlinge bestĂ€uben andere BlĂŒtenpflanzen und Raupen und Schmetterlinge sind eine tolle Nahrung fĂŒr Vögel.“

Disteln sind nĂŒtzliche Pflanzen.

Disteln sind also nĂŒtzliche Pflanzen?
Hennze: „Auf alle FĂ€lle.“

In Heddesheim wurden die Disteln auf Anordnung des BĂŒrgermeisters auf diesem GelĂ€nde gerade totgespritzt, weil die angeblich das Hochkommen der Wildblumen behindern wĂŒrden.
Hennze: „So ein Quatsch. Wie gesagt werden nur wenige Wildblumen ĂŒberhaupt wachsen, aber nicht wegen der Disteln, sondern wegen der ÃƓberdĂŒngung. Und Disteln blĂŒhen wunderschön. FĂŒr mich klingt das schon makaber, dass man blĂŒhende Pflanzen, die zudem sehr nĂŒtzlich sind, tot spritzt, um blĂŒhende Pflanzen zu sĂ€hen.“

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Das Gift tötet die Distel - und noch jede Menge andere Pflanzen.

Gibt es weitere positive Eigenschaften der Distel?
Hennze: „Ja. Die Distel blĂŒht sehr spĂ€t, also zu einer Zeit, in der die BlĂŒte der meisten anderen Pflanzen schon vorbei ist und bietet somit weiterhin eine Nahrungsgrundlage fĂŒr Insekten. Und wenn man die Stauden stehen lĂ€sst, sind deren Samen die Nahrung fĂŒr teils schon verschwundene Vogelarten wir den Distelfink oder HĂ€nflinge.“

Vor allem die Bauern bekÀmpfen aber die Distel.
Hennze: „Das ist bedauerlich, aber aus deren Sicht zu verstehen. Ein hoher Distelbesatz in einem Weizenfeld vermindert die QualitĂ€t der Ernte und damit den Erlös fĂŒr den Bauern.“

Macht es deshalb Sinn, auch in der NĂ€he von Äckern Disteln zu bekĂ€mpfen?
Hennze: „ÃƓberhaupt nicht. Die Distel lĂ€sst sich nicht bekĂ€mpfen. Sie lĂ€sst sich nur töten, kommt aber immer wieder. Die Äcker werden dementsprechend gespritzt – ob da in der Nachbarschaft Disteln wachsen oder nicht, spielt keine große Rolle.“

MCPA tötet nicht nur die Distel, sondern auch andere KrÀuter.

Nach Auskunft der Gemeindeverwaltung hat die Spritzaktion nur die Disteln getötet.
Hennze: „Dann gucken Sie mal auf die Wirkung von MCPA, außer der Distel werden noch jede Menge andere KrĂ€uter abgetötet, die aus Sicht der Bauern „UnkrĂ€uter“ sind, aus Sicht des Naturschutzes aber Nutzpflanzen. Mal ehrlich: Man kann doch froh sein, wenn ĂŒberhaupt was wĂ€chst.“

Warum?
Hennze: „Durch die intensive Landwirtschaft gibt es kaum noch BlĂŒtenpflanzen. Und wo keine BlĂŒten sind, verschwinden viele Insekten, unter anderem die Biene, einer der wichtigsten BestĂ€uber. Das hat Auswirkungen auf das gesamte Öko-System. Ab Juni haben Insekten große Schwierigkeiten, BlĂŒten in ausreichender Menge zu finden, sie verhungern oder ziehen weiter.“

Die Anwendung von Herbiziden ist kontraproduktiv.

ZurĂŒck zur Wildblumenwiese. Wir lange wird es dauern, bis die Wirklichkeit wird?
Hennze: „Das kann bis zu 15 Jahre dauern. Man kann den Boden im Lauf von Jahren etwas ausmagern, indem man mĂ€ht und das MĂ€hgut beispielsweise in eine Biogasanlage gibt. Dennoch sollte man nicht die gesamte FlĂ€che auf einmal mĂ€hen, sondern im Interesse der von „Unkraut“samen lebenden Vögel (z.b.HĂ€nfling) jedes Jahr einen anderen Teil der FlĂ€che vom MĂ€hen aussparen. Man kann Sand unterpflĂŒgen und nach und nach verĂ€ndert sich die Natur von selbst. Die Anwendung von Herbiziden ist kontraproduktiv. Deren Einsatz ist ĂŒberhaupt nicht gerechtfertigt. Wenn die Gemeinde dazu Beratung benötigt, stehen wir gerne bereit, um beispielsweise einen Pflegeplan zu erstellen.“

Info:
Der Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU) ist eine „Nicht-Regierungsorganisation“ (NGO), die sich dem Schutz und dem VerstĂ€ndnis fĂŒr die Natur verschrieben hat. Der NABU-Bezirksverband Rhein-Neckar-Odenwald umfasst 11 NABU-Gruppen im Rhein-Neckar-Kreis und 7 NABU-Gruppen im Neckar-Odenwald-Kreis sowie die Stadtgruppen Heidelberg und Mannheim mit insgesamt rund 6000 Mitgliedern. Paul Hennze ist einer der Mannheimer Sprecher.

Internet:
www.nabu-mannheim.de
NABU Rhein-Neckar-Odenwald

Zweifache Gift-Spritzung gegen Disteln – angeblich ohne GefĂ€hrdung

Guten Tag!

Heddesheim, 25. Oktober 2010. Die Gemeindeverwaltung Heddesheim erklĂ€rt auf Nachfrage, dass auf einem fĂŒr eine Wildblumenweise geplanten GelĂ€nde in der NĂ€he des Badesees zwei Mal das Mittel U46-M fluid gespritzt wurde. Angeblich geht von dem Mittel keine GefĂ€hrdung aus und angeblich wirkt es nur gezielt gegen Disteln.

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Gespritzte "Blumenwiese". Bild: heddesheimblog

Die Gemeinde Heddesheim beantwortete unsere email vom 15. Oktober 2010 am 20. Oktober 2010 – zunĂ€chst ohne Angabe des Namens des eingesetzten Produkts, schickte auf Nachfrage aber das Datenblatt zu U46-M Fluid.

Besonders interessant: Es handelt sich um ein gĂŒnstiges Mittel, um Disteln in Getreidefeldern zu bekĂ€mpfen. Im vorliegenden Fall wurde aber ein GelĂ€nde gespritzt, auf dem „Wildblumen“ angepflanzt werden sollen und keinesfalls Getreide.

Die Gemeindeverwaltung unterstellt, dass die Distel das Hochkommen der Blumen „erschweren, wenn nicht sogar verhindern“ wĂŒrde. Dabei ist nicht die Distel der grĂ¶ĂŸte „Verhinderer“, sondern der Boden. Stark ĂŒberdĂŒngte Böden werden von der Distel und auch der Brennessel bevorzugt – die allermeisten „Wildblumen“ lieben aber nĂ€hrstoffarme Böden und wachsen nur schlecht auf stickstoffhaltigen Böden. Disteln hin oder her.

Die Antwort lautete:
„Es handelt sich um ein zugelassenes Unkrautvernichtungsmittel zur Entfernung von Disteln, das in Abstimmung mit Fachleuten eingesetzt wird. Es ist zugelassen fĂŒr alle Getreidearten und auf GrĂŒnland und wirkt speziell gegen Disteln.

Das Mittel wurde zwei Mal aufgebracht. Vor sechs Wochen war der Bauhof selbst dort. Da nun das Wetter noch gut war und der Distelbefall weiterhin stark war, wurde es ein zweites Mal aufgebracht. Dies geschah durch eine Fachfirma.
Insbesondere war die Maßnahme notwendig, um die Voraussetzungen fĂŒr die Aussaat einer Wildblumenwiese auf dem betroffenen GrundstĂŒck zu schaffen (UmpflĂŒgen). Ohne diese Maßnahme wĂŒrde – selbst nach dem vorgesehen UmpflĂŒgen – die Distel erneut wachsen und wĂŒrde die Aussaat der Wildblumenmischung erschweren, wenn nicht sogar verhindern.

Es liegt ein konkretes Datenblatt zur Verwendung des Mittels vor, darin sind Anwendungshinweise beschrieben. Ausweislich dieses Datenblattes gibt es keine Hinweise auf GefĂ€hrdungen von Mensch und Tier beim Einsatz dieses Mittels. Es gibt im Datenblatt des DistelbekĂ€mpfungsmittels auch keinen Hinweis auf einen Einfluss auf Nutzorganismen wie Bienen. Es ist giftig fĂŒr Algen und höhere Wasserpflanzen. Es gibt keine Auflagen fĂŒr Wasserschutzgebiete.
Es handelt sich um ein in der Landwirtschaft gÀngiges DistelbekÀmpfungsmittel im Getreideanbau.

Der Einsatz kostet 200 Euro fĂŒr das Ausbringen des DistelbekĂ€mpfungsmittels und 87 Euro fĂŒr den Einkauf.“

Das Mittel wird speizell gegen die Ackerkratzdistel eingesetzt – eine Kulturfolgerpflanze, die durch die von Menschen geschaffenen Äcker optimale Bedingungen gefunden hat. „UmpflĂŒgen“ ist kein geeignetes Mittel, um sie zu bekĂ€mpfen, sondern sogar eher kontraproduktiv: „Die vegetative Vermehrung dieser Art erfolgt durch Wurzelsprosse, die aus den tief im Boden liegenden, annĂ€hernd waagerecht verlaufenden AuslĂ€uferwurzeln hervorgehen. Es liegt demnach ein Wurzelpionier vor, der auf Äcker und Weiden ein gefĂŒrchtetes „Unkraut“ darstellt. Sogar aus kleinen abgehackten WurzelstĂŒckchen können neue Pflanzen austreiben.“ Die Wurzeln reichen bis zu 2,8 Meter tief.

TatsĂ€chlich schĂ€digt das Mittel nicht nur die Ackerkratzdistel, sondern auch andere Pflanzen: „Gut bekĂ€mpfbar: Ackerdistel, Ackersenf, GĂ€nsefuß-Arten, Hederich, HirtentĂ€schel, Melde, Wicke u.a.“, sowie “ Binsen, Hahnenfuß, Klappertopf, Löwenzahn, Sumpfschachtelhalm, Wegerich, Wiesen-Storchschnabel“.

Als weniger „gut bekĂ€mpfbar“, aber immerhin schĂ€digend, wirkt das Mittel auch: „Ackerhohlzahn, Ackerwinde, Hahnenfuß, Hellerkraut (Pfennigkraut), Kornblume, Mohn, Spörgel, Taubnessel u. a., Ampfer, Disteln, Weinbergslauch“, sowie „nicht ausreichend bekĂ€mpfbar“, aber ebenfalls noch schĂ€digend: „Ampfer, Ehrenpreis, Erdrauch, Huflattich, Kamille, Klettenlabkraut, Knöterich, Vogelmiere und BĂ€renklau, Schafgarbe, Brennnessel, Wiesenkerbel, Huflattich, Wiesenknöterich.“

Das Mittel ist giftig fĂŒr Algen und höhere Wasserpflanzen. Eine GewĂ€sserschutzauflage besteht aber nicht.

„Jeder Kontakt mit dem Mittel“ soll laut Datenblatt vermieden werden, denn sonst kann es „zu GesundheitsschĂ€den“ kommen. Empfohlen wird Schutzkleidung.

WĂ€hrend und kurz nach der Spritzung des GelĂ€ndes kann es also sehr wohl zu Hautreizungen und GesundheitsschĂ€digungen beim Kontakt mit dem Mittel kommen. Denkbar bei Tieren (Hunde, Katzen, Vögel, Wildtiere), die sich im gespritzten GelĂ€nde aufhalten, ebenso SpaziergĂ€nger oder auch „Pflanzensammler“.

Eine Aufstellung von Hinweisschildern ĂŒber eine aktuell erfolgte Spritzung muss also als sinnvoll erachtet werden.

Das Mittel wirkt, indem es den Stoffwechsel der Pflanzen anregt, sich also schneller wachsen lÀsst, als sie sich selbst versorgen können. Letztlich verhungert die Pflanze wegen des schnellen Wachstums und stirbt ab.

Man kann der Pflanze auch ökologisch ohne Gift zu Leibe rĂŒcken, wie der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen beschreibt – das erfordert allerdings den Willen, sich ökologischer Mittel zu bedienen.