Freitag, 02. Juni 2023

Die NPD macht Punkte

„Dokumentation“ von rechten Auftritten – aktuell in Heidelberg.

Rhein-Neckar/Heidelberg/Mannheim/Ludwigshafen, 04. Oktober 2012. (red/pro) Heidelberger Bürger/innen und weitere Demonstranten aus dem Umland haben der NPD in Heidelberg gezeigt, dass die rechtsextreme Partei nicht willkommen ist. Wer jetzt glücklich und selbstzufrieden nach Hause geht und denkt, man „hat es den Braunen“ mal wieder gezeigt, der kann das tun und irrt doch gleichzeitig gewaltig. Die Braunen hat sich ebenso gezeigt, sie tun das im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten und versuchen daraus Profit zu schlagen.

Kommentar: Hardy Prothmann

Die Politikwissenschaftlerin Ellen Esen reist unermüdlich durchs Land und hält mal vor sehr vielen, mal vor sehr wenigen Menschen Vorträge über Rechtsradikalismus, insbesondere rechtsradikale Frauen und neue Formen und Formierungen von rechtsextremen Gruppen.

Wer der Expertin zuhört, erfährt, dass die rechte Szene sehr aktiv ist und zwar außerhalb von NPD, REP oder DVU. Es sind einzelne Gruppen, kleine und größere Zirkel, die teils sehr spezialisiert ihr rassistisches und staatsfeindliches Gedankengut „pflegen“ und „formen“. Während die Medien immer noch stereotyp Symbolfotos von „Glatzen“ und „Springerstiefel“ zeigen, sobald es um Rechtsradikalismus geht, sagt die Forscherin Esen:

Wer heute in der Szene noch so auftritt, macht sich eher lächerlich.

Die Realität sieht anders aus: weich und pauspackig. 2011 wurde der Weinheimer Jan Jaeschke (Jahrgang 1990) Kreisvorsitzender der Partei im Gebiet Rhein-Neckar und seitdem sind mehrere Demos unter seiner Beteiligung/Planung durchgeführt worden. Insgesamt „geordnet“, so „in Ordnung“, dass das Verwaltungsgericht Karlsruhe aktuell den Verbotserlass der Stadt Heidelberg kassiert hat. Die NPD hätte in Heidelberg demonstrieren dürfen, wenn nicht 1.500 Gegendemonstranten die angemeldete Veranstaltung blockiert hätten.

Die NPD sammelt „Beweise“

Was hat man gewonnen? Einen weiteren Beweis für die NPD, dass die Partei benachteiligt wird. Sie hat deshalb eine Klage angekündigt. Das Ergebnis könnte sein, dass die Polizei das nächste Mal gezwungen ist, Gegendemonstranten zu räumen. Man stelle sich das vor. Was für eine Katastrophe.

Der Weinheimer NPD-Funktionär Jan Jaeschke bei der „Kundgebung“ in Ludwigshafen.

Doch darauf legt es die NPD an. Sie nutzt den Rechtsstaat, den sie ablehnt. Und der Rechtsstaat muss rechtsstaatlich handeln, weil er sich sonst unglaubwürdig macht. Ein vermeintliches Dilemma.

Die verzwickte Situation entsteht aber vor allem daraus, dass sich andere Parteien, die Medien, die Gesellschaft scheuen, sich mit rechtsradikalen Parteien und Strömungen tatsächlich auseinanderzusetzen. Im Alltag wiederholt jeder aufrechte Demokrat die alte Laier: „Ich lehne das ab.“ Und weiter?

Die Behörden versagen beim Beweise sammeln

Das beeindruckt eine Terrorzelle wie den NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) überhaupt nicht. Zehn Menschen haben die drei Killer auf dem Gewissen, neun Ausländer und eine Polizistin. Und auch die Behörden, vor allem der Verfassungsschutz, verschiedene Innenministerium (auch das baden-Württembergische unter der alten CDU-Regierung) sowie die Polizei, hier vor allem die LKAs und das BKA haben versagt. Sie konnten zur Aufklärung nur wenig beitragen und zur Verhinderung schon gar nichts. Und der Schaden ist enorm, denn die Fragen lauten, ob die Behörden auf dem rechten Auge blind sind. Stattdessen wurden die Familien der Opfer zustätzlich diskriminiert, weil man die Taten ins „Drogenmilieu“ oder unter „Blutfehden“ abtat.

Salon-Rassisten wie das SPD-Mitglied Thilo Sarrazin einer ist, verkaufen Bücher in Millionenauflage und werden von Wirtschaftsverbänden umworben. Also von der „Elite“ der Gesellschaft. Von Arbeitgebern. Und die regionale SPD will nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. CDU und Freie Wähler wollen mit „linken“ Antifaschisten schon gar nichts zu tun haben. Den Grünen und Piraten wirft man eine zu große Nähe zu den Linken vor und die Linken wie auch die Piraten haben selbst Probleme mit rechtsradikalen Strömungen. (Siehe unseren Netzwerkpartner „Ruhrbarone“ über die Duisburger Linke.)

Die NPD wird sich aktuell in „gewissen“ Kreise Vorteile verschaffen, weil sie „beweisen“ kann, wie „schlecht“ dieser Staat ist, der sie so sehr behindert. Sie werden kämpferisch auftreten, für ihre Sache und als Opfer der „Pseudo-Demokraten“ und damit werden sie Punkte machen. Das Ziel ist die 1-Prozent-Hürde, ist die genommen, gibt es Staatsknete als Auslage für Wahlkampfkosten. Damit hat die Partei Steuergeld, um weiter ihre staatszersetzende Propaganda finanzieren zu können. Je „sauberer“ die Rechten auftreten, umso weniger müssen sie auch ein Verbot fürchten.

NPD als Fettauge auf der braunen Suppe

Ellen Esen bezeichnet Parteien wie die NPD ganz bildlich:

Die sind nur das Fettauge auf der braunen Suppe.

Die brauen Suppe gährt unterschwellig, unterhalb der Parteiebene. Ob im Kraichgau oder in Pforzheim oder auf der anderen Rheinseite zwischen Speyer und Worms. Und die „Bewegung“ bedient sich der Mimikrie. Oft sind Rechte heute nicht mehr von Autonomen oder Punks zu unterscheiden. Sie „unterwandern“ die (radikalisierten) Szenen und versuchen sie zu lenken.

Damit eins klar ist: Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern durch Fakten, wie sie Ellen Esen sammelt, belegbar.

Hitlerbart, schmale Lippen, eindeutige Pose. Ein Abiturient des Ladenburger Carl-Benz-Gymnasiums läßt sich Ende 2010 in dieser Pose fotografieren. Der „Fotograf“ lädt das Bild per „iPhone“ ins Internet bei Facebook hoch. „Freunde“ kommentieren mit eindeutigen Nazi-Codes und Sympathiebekundungen. „Whos your führer?“. Als der Schüler merkt, dass es Ärger gibt, löscht er das „Spaßfoto“. Seine Haltung zur Sache: „Nix sagen ist schlauer.“ Nach unserer Berichterstattung erleben wir Anfeindungen, einen Shitstorm und die Schule stellt den Kontakt zu uns ein.

 

Und die Entwicklung wird nicht besser, wenn die Gesellschaft sich abwendet und nichts wissen will. Als wir Ende 2010 über „Hitlerscherze“ von Gymnasiasten in Ladenburg berichteten, haben wir eine beeindruckende Erfahrung gemacht. Hitlerdarstellungen und Sätze wie „Nach Frankreich nur auf Ketten“ oder „Good old 88“ (Anm. d. Red.: 88 steht für den achten Buchstaben des Alphabets, also HH für Heil Hitler) wurden als „dumme Jungen Scherz“ abgetan. (Unser Bericht: Hitlerbart und Nazi-Symbole – wie sich ein Teil der CBG-Jugend im Internet “auslebt”)

Rechte Spiele und reale Reaktionen

Die Schulleitung hat den Kontakt zu uns abgebrochen, auf Facebook haben 120 Schüler die „Freundschaft“ zu uns beendet, weil wir „die Schule kaputt machen wollten“ und die örtlichen Medien haben über den Fall genau nichts berichtet. Einer der „Kettenfahrer“ ist der Sohn eines Zeitungsjournalisten und einige der anderen rund ein Dutzend „Hitlerscherzer“ gehören zu „einflussreichen Familien“ der Römerstadt. Dass wir Gewaltandrohungen in Fülle erhalten haben, interessierte niemanden.

Dagegen demonstrieren ist gut – aber kontinuierliches Engagement ist besser.

 

In Heddesheim hat sich nach unseren Recherchen ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr mit Hitlergruß, Nazi-Mode und anderen eindeutigen Zeichen im Internet präsentiert. Die Reaktion des Mannheimer Staatsschutzes war nach unseren Informationen „pragmatisch“. Man hat den jungen Mann zur „Ordnung“ gerufen. Mehr ist nicht passiert.

In beiden Fällen kam das Argument:

Man kann den jungen Leuten doch wegen unbedachten Verhaltens nicht die Zukunft verbauen.

Hardy Prothmann ist Chefredakteur und kommentiert gerne „subjektiv“. Foto: sap

Welche Zukunft ist damit gemeint? Die als braunem Funktionär? Irgendwann muss Schluss sein mit „politischem Korrektsein“. Die NPD verhält sich hier im Raum seit einiger Zeit „politisch korrekt“ und wird damit Punkte machen. Bei links eingestellten Menschen, bei rechts eingestellten Menschen und bei „bürgerlichen“, die sich von den etablierten Parteien verraten fühlen. Auch SPD-Wähler, die erfahren müssen, dass sie für rassistische Äußerungen von normal denkenden Menschen eine Abfuhr erteilt bekommen, während ein Thilo Sarrazin mit seinem Rassismus als SPD-Mitglied Millionen verdient.

Rechte Marken bringen „Chic“

Unterhalb der Parteienebene wirken ganz andere Gesetze. Da geht es um Identität, um Anerkennung, um ein „Ziel“ im ziellosen Leben. Und auch da wildern rechte Kreise und finden enttäuschte Seelen und wie im Fall der NSU „Helfer“, die sich angeblich nichts gedacht haben, als sie Killer-Waffen besorgt haben oder Unterschlupf gewährten.

Eine Familie, die ich persönlich kenne, war ganz stolz auf ihren Sohn, weil der sich im Sport organisierte. Als „Adler“-Fan gründete er angeblich mit anderen eine „neue Fan-Gruppe“. Die „City-Boys“. Klingt cool. Fast wie Unterhaltung, wie „Sex and the City“. Als ich den Eltern erklärt habe, dass die City-Boys Ende der 80-iger Jahre eine üble rechtslastige Schlägertruppe aus dem mittelständischen Milieu waren, die bevorzugt Homosexuelle übel zusammen geschlagen haben, war die Reaktion fast klar:

Das kann ich mir bei ihm gar nicht vorstellen. Es geht doch nur um den Sportsgeist. Er glüht dafür. Ist halt ein Fan. Du siehst die Sachen oft viel zu kritisch.

Kann sein. Mir fiel nur der Stufenhaarschnitt des Jungen merkwürdig auf und dass er plötzlich Marken wie Lonsdale, Thor Steinar und vermeintliche Segelklamotten wie Helly Hansen (HH) getragen hat. Die Antwort war: „Er hat schon einen eigenwilligen Geschmack, aber die Sachen sind echt teuer. Das können sich Nazis doch gar nicht leisten.“

Die NPD wird auch 2013 wieder Veranstaltungen anmelden und diese vergangenen sind vielleicht nur die Vorbereitung für größere. Die Gesellschaft muss sich „inhaltlich“ der braunen Ideologie entgegenstemmen – auch, wenn es mühsam ist. Haltungen wie die der Heidelberger CDU, die zwar per Pressemitteilung den NPD-Aufmarsch kritisiert, aber an einer aktiven Gegendemonstration zugunsten eines „Volksfestes“ kein Interesse hat, sind nicht geeignet, den braunen Geist aus der bürgerlichen Gesellschaft rauszuhalten. Was niemand wollen kann, ist, erst das Fettauge und dann die braune Suppe zu schlürfen.

 

Geprothmannt: Sie wollen Klartext reden? Kein Problem! Wie Thilo Sarrazin das Dumme in manchen Deutschen reaktioniert


Mannheim/Rhein-Neckar, 04. Juli 2011. (red) Die Wirtschaftsjunioren in der Metropolregion wollten unbedingt an Thilo Sarrazin als Redner festhalten. Angeblich, weil es Ihnen um einen „offenen Meinungsaustausch“ geht. Diesen Meinungsaustausch können die verantwortlichen Personen haben – mit einem „Klartext“. Einem offenen Brief an Thomas Steckenborn, Vorstand der Cema AG, an die Wirtschaftsjunioren in der Region Rhein-Neckar und an die Industrie- und Handelskammern.

Von Hardy Prothmann

Sehr geehrter Herr Steckenborn,
sehr geehrte Wirtschaftsjunioren,
sehr geehrte Mitglieder der Industrie- und Handelskammern,

ich schreibe Ihnen diesen offenen Brief, weil ich davon überzeugt bin, dass Sie einen großen Fehler gemacht haben, der das Ansehen Ihrer Personen, das Ansehen Ihrer Unternehmen und das Ansehen Deutschlands enorm beschädigt hat.

Analytisch betrachtet, haben Sie sich blenden lassen. Sie vermuten, dass der Autor des Buchs „Deutschland schafft sich ab“, Thilo Sarrazin, einen „latenten Diskussionsbedarf aufgegriffen und thematisiert hat“. Zumindest schreiben Sie das in Ihrer Pressemitteilung.

Sie vermuten das, weil sich das Buch des Herrn Sarrazin bislang 1,3 Millionen Mal verkauft hat. Sie schreiben: „Wenn wir Herrn Dr. Sarrazin und seine Gedanken ignorieren würden, dann würden wir einem, wie die Verkaufszahlen seines Buches zeigen, großen gesellschaftlichen Thema nicht gerecht“, erklärt Michael Sittek, Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Wirtschaftsjunioren Mannheim-Ludwigshafen dazu.“

Denkfehler führen zu falschen Schlüssen

Sie erliegen leider einem eklatanten, mehrfachen Denkfehler, weil Sie, wie viele „Wirtschaftsmenschen“ zu eindimensional denken.

Ihr Denkfehler ist einer der Ausbildung. Ethik gehört nicht zu den Standardfächern der BWL, VWL oder Ingenieurswissenschaften. Und Sie bewegen sich nur zum Teil auf einem Produktmarkt (Buch) – der größere Teil ist der Meinungsmarkt (Inhalt).

img_6849

Wie viele Kinder haben wohl diese Unternehmerdeutschen gezeugt? 1,3 im Durschnitt?

Sie fragen, „wie es um unsere Diskussionskultur und Demokratie steht, wenn Zensur gewünscht ist“? Auch hier verstehen Sie etwas falsch. Artikel 5 Grundgesetz sagt: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Damit ist staatliche Zensur gemeint und Herr Sarrazin ist von keiner Behörde zensiert worden. Ganz im Gegenteil haben sich von der linken taz bis hin zur konservativen FAZ alle wesentlichen Medien mit seinen Thesen beschäftigt. Das Ergebnis ist eindeutig vernichtend.

Das Grundgesetz garantiert, dass Menschen ihre Meinung frei äußern können. Auch hier ist Ihre Auffassungsgabe beschränkt. Sie machen daraus die Selbstverpflichtung, rassistische Meinungen zu befördern. Angeblich, um sich einer gesellschaftlich notwendigen Debatte zu stellen. Dabei haben Sie ausnahmsweise gar nicht mal so unrecht: Viele Deutsche haben latent rassistische Einstellungen.

Sie können so viel über falsche Zusammenhänge und falsche Tatsachenbehauptungen diskutieren wie Sie wollen – die Falschheiten werden dadurch nicht richtiger.

Sie rufen zu Kritik und Diskussion auf. Haben Sie die Begriffe in ihrer Bedeutung verstanden. Obwohl Sie angeblich dazu eingeladen, fand dies nicht statt. Herr Sarrazin konnte lang und breit seine kruden Thesen und langweiligen Alltagsanekdoten ausbreiten, ohne sich einer Kritik und Diskussion stellen zu müssen. Dafür hätte es eines Podiums bedurft. Einen jungen Mann, der sich kritisch äußerte, haben Sie durch Ordner aus dem Saal entfernen lassen.

Faszinierender Erfolg?

Sie sind fasziniert vom „Erfolg“ des Buches. Erfolg ist in Ihren Augen Masse, ist Absatz, ist Umsatz.

Doch wie verhält sich das im „Buchmarkt“? Gelten hier die gleichen Gesetze wie für Katzenfutter?

Warum sollte auch nur einer der rund 400 Gäste im Rosengarten den Vortrag besuchen, in dem Herr Sarrazin die „Kernthesen“ des Buches vorstellte, wenn man das Buch schon gelesen hat? Wäre das nicht Zeitverschwendung? Oder erhofft man sich neue „Erkenntnisse“, weil man das Buch irgendwie nicht verstanden hat?

Oder wurde das Buch am Ende nur von wenigen und nicht von vielen gelesen? Herr Sarrazin beschwert sich, dass kaum einer seiner Kritiker das Buch gelesen habe. Wie kommt er auf die Idee, dass die Käufer dies getan haben?

img_6904

Pseudowissenschaftlicher Erfolgsautor: Thilo Sarrazin.

Das Fetisch-Prinzip

Vielleicht erweitert diese Information Ihren Horizont. Sie wissen sicher nicht, dass die Bücher der Literaturnobelpreisträger mit zu den gut bis sehr gut verkauften, aber am wenigsten gelesenen gehören. Man kauft sich diese Bücher, um sie wie einen Fetisch ins Regal zu stellen: „Seht her, was ich für Literatur lese.“ Oder man verschenkt sie an Leute, die auch Regale haben. Dieses Schicksal teilen diese Autoren mit den Menschen, die an der Bibel mitgeschrieben haben.

Ganz anders Heinz G. Konsalik. Der Autor (Der Arzt von Leningrad) ist einer der kommerziell erfolgreichsten deutschen Schriftsteller mit einer Gesamtauflage von 80 Millionen Büchern. Niemand ist je auf die Idee gekommen, ihm dafür den Nobel-Preis zu verleihen oder ihn in literarische Diskussionsrunden einzuladen. Der Gattungsbegriff für seine Bücher ist der Roman. Die Untergattung Trivialliteratur.

Auch er hat vor allem in den Nachkriegsjahren ein „großes gesellschaftliches Thema getroffen“: Die Sinnlosigkeit des Krieges.

Joanne K. Rowling hat von ihren „Zauber-Büchern“ (Harry Potter) insgesamt mehr als 400 Millionen Exemplare verkauft. Auch sie trifft ein „großes gesellschaftliches Thema“ – in eine Welt der Fantasie und Zauberer, in den Kampf von Gut gegen Böse abtauchen zu wollen, aus der realen, anstrengenden Welt in eine der Fantasie. Man kann dem Alltag entfliehen.

Es ist ein Jugendbuch, das von vielen Erwachsene gelesen worden ist – das kann man aus der Auflage schließen. Sie wissen schon: Statistik. Wie viele Kinder gibt es im Alter zwischen 10 und 14 Jahren? Bei weitem nicht so viele, um diese Auflagen zu erreichen.

Sie als Wirtschaftsjunioren haben mit solchen Büchern vermutlich nicht viel zu tun. Sie stehen auf „Sachbücher“. Sie haben mit Aufträgen, mit Kostenrechnung, mit Gesetzeslagen, mit Normen mit all der Bürokratie zu tun, die Ihnen das Leben schwer macht. Auch dazu gibt es viele Bücher.

Und jetzt dieses „Sachbuch“ von Herrn Sarrazin, der sich ebenfalls als Zauberlehring betätigt: Er mixt Psycholgie, Neurobiologie, Gentechnik, Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften zu einem Gifttrank. Er will niemanden aus dem Alltag entführen, sondern er will vergiften.

Neue Dolchstoßlegende

Auch Herr Sarrazin bedient Sehnsüchte. Auch bei ihm geht es um den Kampf zwischen „Gut und Böse“. Zwischen den Intelligenten und den Dummen, zwischen denen, die aussterben und denen, die sich ungezügelt vermehren und die Intelligenten bedrohen.

Der Erfolg seines Buches zeigt, dass er ein Bedürfnis befriedigt, das viele Deutsche in sich tragen. Das Ressentiment gegenüber anderen. Eine tief sitzende, latente Fremdenfeindlichkeit. Die Lust an der Diffamierung. Die Neid-Neurose.

img_6834

Kann ein Herr Steckenborn seine Probleme, Fachkräfte zu finden, mit den Sarrazinschen Thesen lösen?

Im Kern schafft er eine neue Dolchstoßlegende. Wenn es den Deutschen „schlecht geht“, muss irgendjemand anderes daran schuld sein.

In Ihrer Pressemitteilung schreiben Sie, Herr Steckenborn, die Veranstaltung sei „korrekt und mutig“. Merken Sie etwas?

So fühlen Sie sich. Mutig und korrekt. Und wenn Sie „mutig und korrekt“ sind, was sind dann die anderen?

Sie strampeln, sie mühen sich ab und es geht nicht voran.

Mit all den Instanzen von der Kapitalbeschaffung über die politischen Kontakte, die Wissenschaft, diese verkorksten Gesetzte, diese Arbeitsvorschriften, Normen, Kontrollen – es ist zum Wahnsinnig werden.

Und dann lesen Sie über einen, der sagt, was angeblich falsch ist und wer angeblich schuld hat. Und egal, was der sagt, der hat recht, denn es läuft so viel falsch.

Weil die Deutschen nicht daran schuld sein können, muss es eben jemand anderes sein.

Mit dieser Rhetorik hat jeder Populist schon immer genau das Dumme in den Deutschen getroffen.

Kinder oder Leistung?

Und Ihnen geht das Messer im Sack auf, wenn sie daran denken, wie viele Leute es gibt, die „Kinder produzieren“ und dafür „Unterstützung“ erhalten, während die Leute mangels Zeit oder wegen zu viel Stress oder Karriere nicht in der Lage sind, Kinder zu machen, geschweige denn, sich um sie zu kümmern.

Und zwar so, wie man sich das vorstellt, mit glücklicher Miracoli-Familie:“Hm, ist das lecker“, Lachen, Freude, Beisammensein, Erfüllung. Das alles in schmeichelweißes Licht getaucht, die Frau liebevoll, der Mann trainiert, die (1,3) Kinder liebreizend glücklich, gerne darf es auch etwas Rasen geben, ein Teich, mindestens einen Audi, gerne auch einen X5, wobei der Trend bei Unternehmer-Prolls eindeutig zu AMG-Mercedes-Modellen geht. Ein Golden Retriever passt immer gut ins Bild.

Wenn der Unsinn grassiert, wird es Zeit, „Tacheles“ zu reden. Zurück zu den „Fakten“. Und die sind hart. Die bildungsfernen Türken und die Araber produzieren zu viele „Kopftuchmädchen“. Zocken alle die ab, die „Gas geben“, die Deutschland voranbringen wollen.

Deutsches Unternehmertum

Kein Wort über Unternehmer, die ins Ausland abhauen, weil sie die Bürokratie in Deutschland nicht mehr ertragen. Kein Wort über deutsche, „geachtete“ Unternehmen, die sich längst aus jeder sozialen Verantwortung verabschiedet haben und billiger im Ausland produzieren lassen – zu teils menschenunwürdigen Bedingungen für die dortigen Arbeiter. Ohne jeden Skrupel. Kein Wort über beispielsweise den „Saubermann“-Konzern Siemens, der mit arabischen und anderen Geschäftemachern ein ausdifferenziertes „Schmiergeldsystem“ perfektioniert hat.

Dafür aber viele Statistiken, die „eindeutige Fakten“ versprechen – von einem Mann, der sich anmaßt, multiple Wissenschaften zu verstehen. Und jeder, der ihm beipflichtet, ist mindestens ebenso „schlau“ und hätte eigentlich auch 1,3 Millionen Mal für seine Ansichten verkauft werden können. (Sie erinnern sich – das Nobel-Preisträger-Buch-im-Regal-Prinzip.)

Ist die griechische Staatspleite auch auf muslimische, integrationsunfähige Einwanderer zurückzuführen? Gilt das auch für Spanien, Portugal, Irland? Oder die USA?

Leimgänger

Herr Steckenborn, Sie sind, wie viele andere auch, ein Leimgänger? Ihr täglicher Frust braucht ein Ventil. Das ist verständlich. Aber es ist fatal, wenn sich die Leistungselite, oder die, die sich dafür hält, nicht den Stärkeren, sondern den „Abschaum“ als Vergleichsbasis sucht. Wie „mutig und korrekt“ ist das?

Ist Ihnen das eigentlich klar? Ist Ihnen klar, dass Sie sich, wenn Sie Sarrazin folgen, nicht mehr an eigener Leistung, sondern an der Abgrenzung zur „Nicht-Leistung“ orientieren? Ist Ihr Selbstbewusstsein schon derart verformt?

img_6922

Diskussionswilliger "Störer" wird entfernt.

„Die Veranstaltung „Klartext der Wirtschaftjunioren der Metropolregion“ will gerade in solch umstrittenen Zusammenhängen als Diskussionsplattform und nicht als Forum der Stimmungsmache oder der Agitation verstanden werden“, lassen Sie in der „Pressemitteilung“ schreiben.

Als erfahrener Journalist lese ich das Gegenteil heraus. Ihren Frust. Ihre Verzweiflung. Ganz klar wollen Sie Stimmung machen. Und das kann ich sogar verstehen. Es geht Ihnen schlecht – Sie müssen „Umsatzziele“ korrigieren, weil Sie keine „Fachleute“ finden.

Glauben Sie ihm Ernst, dass Ihre unternehmerische Notlage durch die kruden Thesen eines Thilo Sarrazin erklärt werden könnte? Oder Sie durch die Auseinandersetzung mit dessen Thesen einen Schritt vorankommen?

Die ostasiatische Endlösung

Wenn Sie logisch denken, ist Ihr Gebrauch der Begriffe „Toleranz und Respekt“ reichlich absurd. Herr Sarrazin toleriert keine Muslime und er hat keinen Respekt vor ihnen. Und er unterstellt ihnen, dass sie weder genetisch noch kulturell in der Lage sind, sich in unsere deutsche Gesellschaft zu integrieren.

Indem Sie sich damit gemein machen, teilen Sie diese Haltung und müssen verstehen, dass Sie unter den Muslimen keine der so dringend benötigten Fachkräfte bekommen werden. Denn das ist die Aussage von Herrn Sarrazin.

Hardy Prothmann: "Ein Fehler ist vor allem dann fatal, wenn er wiederholt wird."

Nur Ostasiaten könnten Ihre Probleme lösen. Die sind, laut Sarrazin, klug und fleißig. Leider so klug, dass sie nach und nach die Macht übernehmen werden. Sagt Herr Sarrazin am Beispiel USA. Das nur als Hinweis, wie viel „deutsche Gesellschaft“ es dann noch in einigen Jahrzehnten geben wird.

Wenn die Wirtschaftsjunioren all das glauben, sollten sie den ersten „Lösungsvorschlag“ von Herr Sarrazin sofort befolgen und mit einer intelligenten deutschen Frau zur Zeugung schreiten. Die Zeit drängt. Denn, wer heute ein Kind zeugt, kann erst in 25 Jahren für rund 15 Jahre die „Höchstleistung ernten“. Denn Herr Sarrazin hat eindeutig erklärt, dass es danach mit den „Intelligenz“-Leistungen bergab geht. Denn laut Sarrazin verdummt Deutschland auch mit den Alten.

Man sollte nicht schwul werden, was Herr Sarrazin ja auch als Gefahr angebracht hat, sondern es lieber auf die „arabische“ Art tun, also mit möglichst vielen Frauen viele Kinder machen.

Vielleicht habe ich mit meinem offenen Brief einen kleinen Erfolg. Ganz sicher kann ich nicht erwarten, dass Sie oder andere eingestehen, einen Fehler gemacht zu haben.

Aber vielleicht trägt dieser Brief dazu bei, dass Sie diesen Fehler nicht wiederholen. Das wäre, so meine ganz persönliche Meinung, ein bescheidener Gewinn.

Dokumentation:
Die Pressemitteilung der Wirtschaftsjunioren als PDF.

Nix hören, nix sehen, nix sagen – Die SPD vor Ort macht die drei Affen


Guten Tag

Heddesheim/Hirschberg/Ladenburg/Weinheim/Viernheim/Rhein-Neckar, 03. Mai 2011. Wir haben verschiedene SPD-Ortsverbände, den Kreisverband und den Landtagsabgeordneten Gerhard Kleinböck um Stellungnahmen zur Debatte um den Parteiausschluss von Thilo Sarrazin gebeten. Die Antworten sind ernüchternd. Niemand hat geantwortet. Auch das ist eine Antwort. Nämlich die einer angeblichen Volkspartei, für die innerparteiliche Demokratie, Meinungsfreiheit, Integration und sozialdemokratisches Gedankengut offenbar keinerlei Wertgefühl mehr hat. Oder zumindest keins, das man öffentlich äußern kann, möchte, sollte.

Von Hardy Prothmann

Hardy Prothmann ist fassungslos. Was ist aus der SPD geworden?

Während überall in Deutschland Thilo Sarrazin „Thema“ ist, scheint das nicht für unseren Raum zu gelten. Der Spiegel nannte ihn wegen seiner umstrittenen Thesen zur „Integrationsdebatte“ einen „Spalter der Nation“. Die Wogen schlugen sehr hoch, es wurde ein Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin beantragt und beerdigt. Thilo Sarrazin bleibt in der Partei.

Doch was denkt die Basis? Was denken die „einfachen Parteimitglieder“? Die, die die Arbeit vor Ort machen? Für ihre Partei werben, Plakate aufhängen, Veranstaltungen organisieren, die Partei „zum Kennenlernen und Anfassen“ sind?

Erschütternde Haltungsfragen.

Welche Haltung haben SPD-Ortsverveine, der Kreisverband Rhein-Neckar, der Landtagsabgeordnete Gerhard Kleinböck zum Thema Integration und zu den sozialdarwinistischen Thesen eines Top-Beamten, der Türken und anderen Ausländern per „Genpool“ Intelligenz und die Fähigkeit zur Integration abspricht?

Die Antwort ist erschüttend. Sie haben genau keine Meinung.

Vielleicht haben Sie eine. Aber sie äußern sie nicht.

Unsere Umfrage stellt legitime Fragen. Einfache Fragen. Naheliegende Fragen. Doch keiner der SPD-Ortsvereine antwortet. Auch nicht der Kreisverband. Auch nicht der Abgeordnete Gerhard Kleinböck.

In Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes steht:

„Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.“

Hier steht nicht: „Der Bundesverband entscheidet, was die Mitglieder zu denken haben.“ Wenn dem so wäre, müsste die SPD sofort als verfassungsfeindlich verboten werden.

Paragraf 2 Absatz 1 des deutschen Parteiengesetzes definiert Parteien:

„Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein.“

Also Vertretung des Volkes, politische Willensbildung, Einfluss nehmen, Ernsthaftigkeit der Zielsetzung. Kann es wirklich sein, dass mehrere Ortsverbände, ein übergeordneter Verband und ein Landtagsabgeordneter beschließen, eine journalistische Anfrage zu einem Top-Thema, das die ganze Republik bewegt, genau nichts sagen?

Lokale SPD: Genau nichts. Genau keine Meinung.

Es kann nicht nur sein. Es ist so. Wir haben über unsere Leserinnen und Leser „gute Kontakte“ in die Partei und wissen, dass sich die angesprochenen Personen ausgetauscht und beschlossen haben, unsere Fragen einfach zu ignorieren.

Keine der angesprochenen Personen innerhalb der SPD ist verpflichtet, eine Antwort zu geben. Aber kann sich die „Volkspartei“ das wirklich leisten? Ist es vorstellbar, dass ein so wichtiges Thema wie das der Integration und Fragen dazu, einfach ignoriert wird?

Glauben die verantwortlichen Personen tatsächlich, dass niemand „mitkriegt“, dass sie gefragt werden und genau zu keiner Äußerung bereit sind?

Ist diesen verantwortlichen Personen bewusst, dass die SPD rasant Mitglieder verliert? Kennen sie die „Berliner Erklärung zur Beendigung des Parteiordnungsverfahrens gegen Dr. Thilo Sarrazin“:

Viele Menschen in Berlin, in der gesamten Bundesrepublik und auch im Ausland haben kein Verständnis für das Ergebnis und den Verfahrensablauf des Parteiordnungsverfahrens gegen Genossen Dr. Thilo Sarrazin. Nicht nachvollziehbar erscheint vor allem der Zickzackkurs der Partei.

Kann es sein, dass man vor Ort versucht, das Thema „auszusitzen“. Nix hören, nix sehen, nix sagen? Ist das die Haltung der heutigen SPD-Mitglieder, die wie keine sonst Kämpfer für soziale Gerechtigkeit in ihren Reihen weiß?

Die Schlagzeilen auf Bundesebene zeigen, wie dringend das Thema ist – vor Ort soll es keine Rolle spielen.

Frei nach dem Motto (Focus):
Kein Interesse an weiterer Debatte über Thilo Sarrazin

Der stern schreibt:
Sarrazin macht der SPD Beine

Und die taz titelt:
Gabriel will Zickzack-Kurs korrigieren

Zweifel an der inneren demokratischen Verfassung der Partei.

Das Verhalten der angefragten SPD-Ortsvereine – wie soll man es bewerten? Das entscheidet jeder selbst.

Für mich steht fest, dass ich komplett enttäuscht bin.

Ich denke an Dinge wie Vertretung des Volkes, politische Willensbildung, Einfluss nehmen, Ernsthaftigkeit der Zielsetzung. Genau keine Antwort zu geben stellt dies alles in Frage.

Zur Erinnerung.

Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung heißt es:

„Baden-Württemberg ist das Flächenland mit dem höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Viele leben und arbeiten seit Jahrzehnten und in nunmehr vierter Generation in unserem Land. Ihr wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Beitrag zum Wohlstand verdient unsere Achtung und Anerkennung. Diese Vielfalt ist unsere Stärke und unser Potenzial für die Zukunft.“

Weder Achtung, noch Anerkennung, noch Vielfalt, Stärke und Potenzial sind zu erkennen, wenn die politischen Vertreter der SPD sich darauf einigen, lieber nix zu sagen, nix zu sehen und nix zu sagen.

Dokumentation: Die Antworten der SPD-Ortsvereine auf ihre Haltung zur Causa „Sarrazin“


Guten Tag

Heddesheim/Hirschberg/Ladenburg/Weinheim/Viernheim/Rhein-Neckar, 03. Mai 2011. Wir dokumentieren die Reaktionen auf unsere Umfrage vom Abend des 28. April 2011 an die SPD-Ortsvereine in Heddesheim, Hirschberg, Ladenburg, Viernheim und Weinheim. Auch an den Kreisverband SPD Rhein-Neckar sowie an den Landtagsabgeordneten Gerhard Kleinböck haben wir unsere Fragen verschickt und bis zum Abend des 02. Mai 2011 um Antwort gebeten.

Folgende Fragen hatten wir gestellt:

  • Sind Sie mit der Entscheidung einverstanden, dass Herr Sarrazin nicht aus der SPD ausgeschlossen worden ist? Bitte mit Begründung.
  • Wie geht Ihrer Meinung nach die Basis der Parteimitglieder mit dieser Entscheidung um?
  • Sind Ihnen schon Austritte bekannt?
  • Welches Bedeutung hat das Thema Integration für Sie persönlich?
  • Welches Bedeutung hat das Thema Integration für Ihren Ortsverband?
  • Würden Sie bitte Ihre wichtigsten politischen Aktivitäten in Sachen Integration aus den vergangenen zwei Jahren benennen? (Möglichst mit Link)

Folgende Antwort haben wir erhalten:

„Keine Antwort“ bedeutet, es gab überhaupt keine Antwort. Weder einen Verweis auf künftige Beratungen, noch ein Grund, warum die Anfrage abgelehnt worden ist.

Stimmt nicht ganz. Einen Ortsvereinsvorsitzenden haben wir zufällig am Montag getroffen und nach dem Stand der Dinge gefragt.

Als Auskunft erhielten wir: „Ich habe eine Meinung dazu. Wir werden aber nicht antworten, weil sich der Vorstand noch nicht mit dem Thema befasst hat.“ Wir haben entgegnet: „Dann schreiben Sie uns das doch als Antwort – das ist für die Leser noch eher nachvollziehbar als gar keine Antwort.“ Als Antwort erhielten wir: „Ja, mal schauen.“

Eine schönen Tag wünscht
Die Redaktion

Sarrazin-„Einigung“ oder das Schweigen der Lämmer an der Basis?


Guten Tag!

Rhein-Neckar, 28. April 2011 (red). Vor einer Woche hat die SPD beschlossen, das umstrittende Mitglied Thilo Sarrazin doch nicht aus der Partei auszuschließen. Viele SPD-Mitglieder empören sich darüber, weil die sozialdarwinistischen Thesen Sarrazins eigentlich dem Menschenbild der SPD widersprechen und die Debatte die SPD beschädigt hat. Doch Thilo Sarrazin darf nun bleiben. Weil man die Wähler an den rechten Stammtischen nicht verlieren will?

Von Hardy Prothmann

Die SPD hat eine längste demokratische Geschichte der deutschen Parteien. Sie war einst stärkste Partei. Doch das ist lange vorbei.

In Rheinland-Pfalz bleibt sie und Baden-Württemberg kommt sie an die Regierung – aber mit (deutlichen) Verlusten an Wählerstimmen.

Die Kommentare sind vernichtend. „Falscher Friede mit Sarrazin“ titelt zeit.de. Das Politikforum „Carta“ schreibt: „Die SPD schafft sich ab„. „Beschämende Feigheit“ schreibt die Süddeutsche Zeitung. Ein Sozialdemokrat türkischer Herkunft schreibt bei zeit.de: „Wie soll ich für die SPD werben?

Empörung allerorten? Wirklich? Wie sieht es hier vor Ort aus? Wie gehen Orts- und Kreisverband mit dem Thema um? Quelle: zeit.de

Angeblich ist die SPD eine Partei der Basis – doch diese wird selten gefragt. Und die Basis äußert sich auch selten auf Basis-Ebene, sondern meist über die „große Politik“, wenn überhaupt.

Wie geht die SPD vor Ort mit Sarrazin um? Gar nicht?

Was bedeutet das Debakel für die SPD? Geht es nur um den rechten Störer Sarrazin oder um die Karriere der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles?

Geht es nicht um mehr? Um die Glaubwürdigkeit der Partei vor Ort, an der Basis? Und was tut sich da?

Nach unseren Recherchen wenig bis nichts, was die Öffentlichkeit erreicht. Auf den Homepages der SPD-Ortsvereine in den von unseren Ortsblogs betreuten Kommunen Heddesheim, Hirschberg, Ladenburg, Viernheim und Weinheim spielen Sarrazin und das Thema Integration keine Rolle.

Keine Treffer bei den Anträgen und sonst auch eher ältere Veröffentlichungen zum Thema Integration.

Die Suche nach Sarrazin hat fast keine Treffer ergeben. Das Stichwort Integration führte in Heddesheim zu zwei Treffern aus den Jahren 2005 und 2006, in Hirschberg zu keinem, ebenso in Viernheim, in Ladenburg zu einem, in Weinheim zu zwei Treffern aus den Jahren 2010 und 2011 – allerdings einer auf den Vorstand (2011) und einer auf die Teilnahme von Frau Stella Kirgiane- Efremidis am „AK Migration und Integration des Bundesvorstandes der SPD“ im August 2010 – Weinheim hat eine der größten spanischen Gemeinden in Deutschland.

Auf der Homepage der SPD Rhein-Neckar gibt es drei Treffer zu „Sarrazin“, darunter die Erklärung von Frau Nahles. Zu „Integration“ insgesamt 16 Treffer, die meisten sind aber aus den Jahren 2005-2007.

Was hat das zu bedeuten? Hat man vor Ort keine Meinung? Spielen die Sarrazin-Debatte und das Thema Integration hier keine Rolle? Heißt das Fehlen von öffentlichen Stellungnahmen, dass man Sarrazin und seine These gut heißt? Und ebenso die Entscheidung des Vorstands?

Größter Migrationshintergrund = keine Debatte?

Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung heißt es:

„Baden-Württemberg ist das Flächenland mit dem höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Viele leben und arbeiten seit Jahrzehnten und in nunmehr vierter Generation in unserem Land. Ihr wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Beitrag zum Wohlstand verdient unsere Achtung und Anerkennung. Diese Vielfalt ist unsere Stärke und unser Potenzial für die Zukunft.“

Doch die Wahrheit ist nach wie vor eine andere – Migrantenkinder sind nachweisbar nach wie vor „Bildungsverlierer“. Nicht deswegen, weil es ihnen an „genetischen“ Voraussetzungen fehlt, wie der rechtslastige Thilo Sarrazin schwadronierte, sondern weil die Chancen fehlen.

Baden-Wüttemberg und seine Kommunen müssten als Land mit dem „höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund“ eigentlich Vorbild bei der Integration sein. Oder gibt es das Integrationsthema in BW nicht? Ist lles gut hier? Sind die Sarrazin-Thesen ohne Bedeutung?

Keine wahrnehmbaren Stellungnahmen.

Während überall in Deutschland Thilo Sarrazin mit seinen kruden Thesen diskutiert wurde und die Menschen Sarrazin durch den unglaublich „erfolgreichen“ Kauf seines dummdreisten Buches zum Millionär gemacht haben, gibt es also genau keine Stellungnahmen von örtlichen Parteimitgliedern, Funktionären und Amtsinhabern?

Kann das sein? Es ist so. Auch auf der Seite der SPD Rhein-Neckar oder der Seite des Landtagsabgeordneten Gerhard Kleinböck finden die Themen „Integration“ und „Sarrazin“ im Vergleich zu anderen Themen nicht statt. Stimmt nicht ganz: Bei Herrn Kleinböck gab „Integration“ einen Treffer, allerdings im Kontext „Sport“.

Wir haben deshalb eine email an die Vorsitzenden der SPD-Ortsvereine in Heddesheim, Hirschberg, Ladenburg, Viernheim und Weinheim geschickt. Auch an den Kreisverband SPD Rhein-Neckar sowie an den Landtagsabgeordneten Gerhard Kleinböck und um die Beantwortung folgender Fragen gebeten.

Offene Fragen.

  • Sind Sie mit der Entscheidung einverstanden, dass Herr Sarrazin nicht aus der SPD ausgeschlossen worden ist? Bitte mit Begründung
  • Wie geht Ihrer Meinung nach die Basis der Parteimitglieder mit dieser Entscheidung um?
  • Sind Ihnen schon Austritte bekannt?
  • Welches Bedeutung hat das Thema Integration für Sie persönlich?
  • Welches Bedeutung hat das Thema Integration für Ihren Ortsverband?
  • Würden Sie bitte Ihre wichtigsten politischen Aktivitäten in Sachen Integration aus den vergangenen zwei Jahren benennen? (Möglichst mit Link)

Wir haben um Beantwortung der Fragen bis zum Abend des 02. Mai 2011 gebeten. Am 03. Mai 2011 dokumentieren wir die Antworten dann im Wortlaut.