Dienstag, 30. Mai 2023

Diskriminierung nicht-heterosexueller Menschen in Baden-WĂŒrttemberg

ZÀhlt sexuelle IdentitÀt mehr als der Mensch?

Rhein-Neckar, 26. Juni 2014. (red/pm) Mehr als die HĂ€lfte von schwulen, lesbischen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen (LSBTTIQ) in Baden-WĂŒrttemberg ist in den vergangenen fĂŒnf Jahren mindestens einmal Opfer von Diskriminierung geworden. Das ist das erste Ergebnis einer von Sozialministerin Katrin Altpeter in Auftrag gegebenen anonymen Onlinebefragung zur Lebenssituation von LSBTTIQ-Menschen in Baden-WĂŒrttemberg mit mehr als 2.000 Teilnehmenden. [Weiterlesen…]

50.000 Euro fĂŒr den Feinschliff des Förderantrags

Metropolregion kommt EU-Mitteln nÀher

RegioWIN-Foto

Vertreter der Metropolregion Rhein-Neckar mit Minister Alexander Bonde bei der PrÀmierungsveranstaltung RegioWIN. Foto: Verband Region Rhein-Neckar

Rhein-Neckar, 16. Januar 2014. (red/pm) Der Förderantrag der Metropolregion Rhein-Neckar mit dem Titel „Smart Innovation, Smart Distribution and Smart Energy“ wurde bei der Vorausscheidung des Wettbewerbs „RegioWin“ in Stuttgart prĂ€miert und hat somit die erste große HĂŒrde genommen. [Weiterlesen…]

Gemeinsam aktiv fĂŒr die Natur

Landesnaturschutzpreis fĂŒr Verein der Vogelfreunde und -pfleger 1960

Heddesheim, 22. MĂ€rz 2013. (red/pm) Der Verein der Vogelfreunde und -pfleger 1960 Heddesheim e.V. ist mit dem Landesnaturschutzpreis ausgezeichnet worden. Kurt Klemm, Georg Klemm, Sebastian Schniebs und Werner Dostal als Vereinsvertreter und BĂŒrgermeister Michael Kessler nahmen den Preis fĂŒr das generationenĂŒbergreifende Engagement des Vereins von Minister Alexander Bonde entgegen. Der Preis wurde bereits am vergangenen Samstag, 16. MĂ€rz, in Stuttgart verliehen.

Aus der BegrĂŒndung des Ministeriums fĂŒr LĂ€ndlichen Raum und Verbraucherschutz:

„Seit der GrĂŒndung im Jahr 1960 werden Jugendliche in die Vereinsarbeit mit einbezogen. Diese Kooperation hat sich mit den Jahren intensiviert und hĂ€lt bis heute an. Den Verein zeichnet eine gut durchmischte Altersstruktur aus. Mit der Zeit sind zahlreiche gemeinsame Aktionen insbesondere im Vogelschutz entstanden. So fertigte die Gruppe unter anderem Nisthilfen fĂŒr verschiedenste Vogelarten an, fĂŒhrte aber auch diverse Pflege- und Biotopgestaltungsmaßnahmen durch. Die Projekte sind langfristig angelegt und werden kontinuierlich von den Jugendlichen und den Erwachsenen betreut.“
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Laut Landtagsabgeordnetem Uli Sckerl bedroht die EU die kommunale Wasserverorgung

Trinkwasser bald nur noch fĂŒr Reiche?

Schriesheim/Rhein-Neckar, 05. MĂ€rz 2013. (red/zef) Schwerpunktthema der GrĂŒnen Kreisversammlung am 28. Februar war etwas, das jeden betrifft: Die Wasserversorgung. Am 28. Juli 2010 erklĂ€rten die Vereinen Nationen den Zugang zu sauberem Wasser zu einem Menschenrecht. Das Problem ist jedoch: Dies ist gesetzlich nicht bindend. Laut Uli Sckerl, dem Vorsitzenden der GrĂŒnen Rhein-Neckar, möchte nun die EuropĂ€ische Kommission, die Regierung der EU, dieses Recht unterlaufen. Bereits 1,2 Millionen BĂŒrgerInnen der EU haben sich in einer EuropĂ€ischen BĂŒrgerinitiative (EBI) dagegen ausgesprochen. [Weiterlesen…]

Ermessensspielraum der Straßenverkehrsbehörden deutlich ausgeweitet

GrĂŒne sehen Entspannung bei der Kreiselkunst

Der Kreisverkehr in Ladenburg

 

Rhein-Neckar/Ladenburg/Heddesheim, 07. Februar 2013. (red/pm) „Entspannung ist beim Streit ĂŒber Kunstwerke und Verkehrssicherheit bei Kreisverkehrs-PlĂ€tzen angesagt. Jetzt gibt es gute Chancen, die Kunstwerke auf den Kreiseln zu belassen und auf anderem Weg den Sicherheitsanforderungen an den Straßenverkehr nachzukommen. Das gilt auch fĂŒr Heddesheim und Ladenburg“. So kommentierte der Landtagsabgeordnete und Parlamentarische GeschĂ€ftsfĂŒhrer der GrĂŒnen die heute von Verkehrsminister Hermann in Stuttgart vorgestellten Korrekturen des sogenannten „Kreiselerlasses“.

Information des Landtagsabgeordneten Uli Sckerl:

„Das Verkehrsministerium habe erlĂ€uternde Hinweise fĂŒr die RegierungsprĂ€sidien und LandratsĂ€mter vorgelegt und zum ersten Mal alternative Lösungsmöglichkeiten fĂŒr die Verbesserung der Verkehrssicherheit dargestellt. „Damit ist der Ermessensspielraum der Straßenverkehrsbehörden deutlich ausgeweitert worden. Nun können und sollen diese kĂŒnftig stĂ€rker mit Augenmaß vorgehen. Bei der Wahl des Mittels zur Verbesserung der Verkehrssicherheit muss der Grundsatz der VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit gewahrt werden“. In der Sache sei es immer um die Umsetzung einer Richtlinie der EU-Kommission in BrĂŒssel gegangen. „Man mag diese Richtlinie bewerten wie man will, einfach ignorieren kann sie eine Landesregierung leider nicht.“

Konflikte ergaben sich bekanntlich bei den zurĂŒckliegenden ÜberprĂŒfungen der Kreisverkehre, wenn diese zu der Bewertung kamen, dass von der Gestaltung eines Kreisverkehrsplatzes eine direkte Gefahr ausgeht. Feste und verpflichtende Regelungen zur Entfernung bestehender Hindernisse habe es aber zu keinem Zeitpunkt gegeben. Auch dies werde nochmals klargestellt.

Die “ergĂ€nzenden Hinweise“ des Ministeriums werden den zustĂ€ndigen Behörden die Entscheidung jetzt im Einzelfall deutlich erleichtern. “Wichtig ist dabei, dass jetzt deutlich zwischen Kreiseln auf der freien Strecke oder im Übergangsbereich von der Ortsmitte unterschieden wird. Das hat gerade fĂŒr Heddesheim und Ladenburg Bedeutung.“ An Alternativen sind danach beispielsweise Hinweisschilder und andere Gestaltungselemente denkbar, aber auch VerĂ€nderungen in der Fahrbahngestaltung. Intensive GesprĂ€che zwischen dem Rhein-Neckar-Kreis, den Gemeinden und dem KĂŒnstler sollten angeregt werden. „Ich stehe fĂŒr das Finden pragmatischer Lösungen und deren Vermittlung auch in das Ministerium jederzeit gerne zur VerfĂŒgung.“

 

Was Jugendschöffen auszeichnet und erwartet

Mit Menschenkenntnis zum Richter werden

Justitia (Maarten van Heemskerck, 1556). Quelle: Wikipedia


Rhein-Neckar, 15. Januar 2013. (red/pm) Deutschland ist derzeit auf der Suche nach Jugendschöffen, die fĂŒr eine fĂŒnfjĂ€hrige Amtszeit ab 2014 die rechte Hand des Richters sind. Im ersten Halbjahr 2013 werden neue Jugendschöffen gewĂ€hlt – bewerben kann man sich bereits jetzt bei den Kommunen des Rhein-Neckar-Kreises.

Von Alina Eisenhardt

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil…

Dieser Satz ertönt in deutschen Gerichtshöfen, wenn ein Angeklagter sein Urteil erhÀlt. Das Urteil wird nicht allein vom Richter gefÀllt. An seiner Seite stehen Schöffen, die ihm im Namen der Gerechtigkeit helfen, die richtige Entscheidung zu treffen.

Schöffen sind laut Duden ehrenamtlich eingesetzte Laien, die zusammen mit dem Richter die Tat des Angeklagten beurteilen und das Maß der Strafe festlegen. “Diese Laienrichter gibt es schon seit Jahrhunderten.”, sagt Robert Gunderlach, Vorsitzender der Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen des Landesverbandes Baden-WĂŒrttemberg e.V. Er selbst war im Landesgericht Stuttgart von 2000 – 2008 Schöffe.

Jugendschöffen sind spezialisierte Schöffen an einem Jugendgericht. Doch warum braucht man Jugendschöffen, wenn es bereits einen Berufsrichter gibt? Die Aufgabe eines Jugendschöffen ist es, anhand seiner Lebenserfahrung rechtliche ZusammenhĂ€nge erkennen und bewerten zu können. Ein Richter hat zwei Schöffen, die gleichberechtigte Stimmen haben. Das Richterteam (1 Berufsrichter, 2 Schöffen) zieht sich am Schluss der Hauptverhandlung zur Beratung zurĂŒck. Um ein Urteil auszusprechen ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich.

TÜV-Siegel in PĂ€dagogik

Neben den allgemeinen Voraussetzungen wie Selbstbewusstsein und Unparteilichkeit muss ein Schöffe einen Menschen in seinem sozialen Umfeld beurteilen können. Ein hohes Maß an sozialer Kompetenz ist erforderlich. Um die erforderliche Lebenserfahrung und Menschenkenntnis aufbringen zu können, muss ein Schöffe zwischen 25 und 69 Jahre alt sein, wenn er sich fĂŒr das Ehrenamt bewirbt.

Jugendschöffen sollten darĂŒber hinaus Erfahrung in der PĂ€dagogik aufweisen.

Dabei reicht es nicht, Kinder zu haben. Sie sollten in der Jugenderziehung ĂŒber eine professionell Erfahrung verfĂŒgen, wie zum Beispiel Sozialarbeiter und Lehrer sie besitzen. Man braucht sozusagen ein TÜV-Siegel in PĂ€dagogik,

sagt Robert Gunderlach.

“Man muss definitiv in sich gefestigt sein…”

Wer Interesse hat als Jugendschöffe zu arbeiten, der schickt seine Bewerbung an das zustĂ€ndige BĂŒrgermeisteramt. Diese leiten die Bewerbung dann an das Jugendamt weiter. Der Jugendhilfeausschuss des Rhein-Neckar-Kreises schlĂ€gt dabei beim Amtsgericht mindestens doppelt so viele Kandidaten vor, wie an Schöffen benötigt werden.

Probleme mit der Zahl der Bewerber gibt es dabei selten. “Die Zahl der Bewerber ist konstant. Viele Jugendschöffen bewerben sich auch fĂŒr eine zweite Periode. Erst dann mĂŒssen sie fĂŒr eine Periode aussetzen.”, erklĂ€rt Robert Gunderlach.

Das Ehrenamt kann sehr belastend sein:

Es kommt zwar auch auf den Fall und die Persönlichkeit an, aber man muss definitiv in sich gefestigt sein,

so Herr Gunderlach. Immerhin mĂŒsse man auch in schwierigen FĂ€llen, wie einer Vergewaltigung ohne Zeugen, beurteilen können, ob der Vorfall tatsĂ€chlich so geschehen ist. Ihn selbst hĂ€tten viele Wirtschaftsstrafsachen, die tief in das Leben der Menschen blicken ließen, sehr bewegt.

Mit Menschenkenntnis zum Urteil

Als Schöffe bekommt man in der Regel 12 Gerichtstermine pro Jahr zugeteilt. In fĂŒnf Jahren sind das 60 Termine. Diese können nur einige Stunden dauern, aber auch Wochen oder gar Monate.

Wenn man eine Gerichtsverhandlung hat, weiß man erst nicht, worum es geht. Erst vor der Verhandlung klĂ€rt der Richter den Jugendschöffen in einer Kurzform ĂŒber den Fall auf. Vor Gericht erfĂ€hrt man dann genau, worum es geht. “Als Jugendschöffe soll man unvoreingenommen bleiben. Man soll keine Zeit haben, sich auf einen Fall vorzubereiten, sondern seine Alltagserfahrung und seine Menschenkenntnis nutzen. Immerhin ist man kein ausgebildeter Berufsrichter”, erklĂ€rt Robert Gunderlach.

Die Verantwortung, die man als Jugendschöffe eingeht, ist sehr hoch. Man kann im Krankheitsfall nicht einfach aussetzen, oder zurĂŒcktreten, wenn man keine Lust mehr hat. In der Regel kann nur ein Umzug zu einer Entlassung aus dem Amt fĂŒhren. Möchte man das Schöffenamt tatsĂ€chlich niederlegen, entscheidet das Gericht, ob die GrĂŒnde ausreichend sind. Doch in der Regel passiert das nicht. “Immerhin treibt die Bewerber in der Regel ein gewisser Gerechtigkeitssinn an. Sie wollen sichergehen, dass es in den FĂ€llen gerecht zugeht, das sie ein Teil dieser Gerechtigkeit sein können”, so Gunderlach.

Kommunen nehmen Bewerbungen entgegen

7000 Schöffen gesucht

Rhein-Neckar, 15. Januar 2013. (red/pm) Im ersten Halbjahr 2013 werden landesweit rund 7000 neue Schöffinnen und Schöffen gewĂ€hlt (wir berichteten). Bereits jetzt nehmen Kommunen Bewerbungen entgegen. Das besondere an dem Ehrenamt: Man entscheidet als gleichberechtigter Richter ĂŒber Recht und Unrecht – ohne juristisches Fachwissen, ohne Ausbildung.

Information des Justizministeriums:

„Im Jahr 2013 findet die Wahl der Schöffinnen und Schöffen fĂŒr die Strafgerichte statt. Allein in Baden-WĂŒrttemberg werden rund 7000 Ehrenamtliche zu Schöffinnen und Schöffen gewĂ€hlt, deren Amtszeit vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2018 dauern wird. „Wer ein Schöffenamt ĂŒbernimmt, ĂŒbernimmt eine wichtige, verantwortungsvolle und spannende TĂ€tigkeit“, sagte Justizminister Rainer Stickelberger am Montag (14. Januar 2013) in Stuttgart.

„LaienrichterInnen und Laienrichter tragen zur Transparenz gerichtlicher Entscheidungen bei und erhöhen gleichzeitig deren Akzeptanz in der Gesellschaft.“ Der Einsatz ehrenamtlicher Richterinnen und Richter hat eine lange Tradition in Deutschland. Bereits im Mittelalter gab es Laienrichter in der Strafgerichtsbarkeit. „Bis heute sind die Ehrenamtlichen ein fester Bestandteil unseres Rechtssystems“, erklĂ€rte der Minister.

„Das hat einen guten Grund, denn auf diese Weise können auch nichtjuristische Wertungen und Überlegungen in den richterlichen Entscheidungsprozess mit einfließen.“ Die Schöffinnen und Schöffen wĂŒrden ihre Sachkunde sowie ihre wertvolle Lebens- und Berufserfahrung bei den Gerichten einbringen.

„Als Spiegel unserer bunten und vielfĂ€ltigen Gesellschaft sollten auch die RichterbĂ€nke bunt und vielfĂ€ltig besetzt sein.“

Stickelberger wies darauf hin, dass das Interesse am Schöffenamt bei der vergangenen Wahl im Jahr 2008 groß war. Insgesamt waren damals 3797 Hauptschöffen (1831 Frauen und 1966 MĂ€nner) gewĂ€hlt worden, von denen 1601 bei Amtsgerichten und 2196 bei Landgerichten tĂ€tig sind. Dazu kamen etwa 3500 Hilfsschöffinnen und Hilfsschöffen als Vertreter der Hauptschöffen. „Ich wĂŒrde mich freuen, wenn sich auch dieses Mal viele Menschen um ein Schöffenamt bewerben“, stellte der Justizminister fest: „Als Spiegel unserer bunten und vielfĂ€ltigen Gesellschaft sollten auch die RichterbĂ€nke bunt und vielfĂ€ltig besetzt sein.“

Robert Gunderlach, der Vorsitzende des Bunds ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DVS-BW), sagte, dass ehrenamtliche Richterinnen und Richter keine nur „Dabei-Sitzer“, keine Dekoration am Richtertisch seien, sondern bei Gericht in der Hauptverhandlung mit ihrer Stimme den Berufsrichtern gleichgestellt seien: „Gegen die beiden Schöffinnen oder Schöffen kann an Schöffengerichten kein Urteil gesprochen werden. Dieser großen Verantwortung, ,im Namen des Volkes zu urteilen‘, muss man sich bewusst sein. Engagierte Frauen und MĂ€nner sollten deshalb als Schöffen selbstbewusst im Urteilen, sozial kompetent, dialogfĂ€hig und vorurteilsfrei sein. Gerechtigkeitssinn, Intuition, logisches Denken in ZusammenhĂ€ngen sowie Mut zum Richten – also Urteilen ĂŒber Menschen – gehören hier dazu.“

Der gemeinnĂŒtzige Schöffenverein „informiert und unterstĂŒtzt seine Mitglieder durch Fortbildungsveranstaltungen, Beratungen und mit der Mitgliederzeitschrift ,Richter ohne Robe‘ und fördert damit die Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung“, so Gunderlach.

Aufgaben von Schöffinnen und Schöffen

Schöffinnen und Schöffen sind an den Schöffengerichten der Amtsgerichte, an den Kleinen und den Großen Strafkammern der Landgerichte tĂ€tig. Sie entscheiden gemeinsam mit den Berufsrichterinnen und Berufsrichtern ĂŒber Schuld- und Straffragen bei allen schwerwiegenden, umfangreichen und bedeutsamen AnklagevorwĂŒrfen. In der Regel sind zwölf Sitzungstage pro Jahr fĂŒr die Schöffinnen und Schöffen vorgesehen.

Rechte und Pflichten von Schöffinnen und Schöffen

Das Schöffenamt ist ein Ehrenamt, das nur in wenigen Ausnahmen abgelehnt werden kann (beispielsweise dann, wenn dadurch die wirtschaftliche Existenz gefĂ€hrdet wĂ€re). Wie Berufsrichterinnen und -richter auch sind Schöffinnen und Schöffen einzig dem Gesetz unterworfen. Sie sind nicht an Weisungen gebunden und zur Unparteilichkeit verpflichtet. Auch die Verschwiegenheitspflicht gilt fĂŒr sie.

Voraussetzungen fĂŒr eine Bewerbung um das Schöffenamt

Wer Schöffe oder Schöffin werden möchte, muss die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, zu Beginn der Amtsperiode zwischen 25 und 69 Jahre alt sein, die deutsche Sprache beherrschen und in der jeweiligen Kommune leben. Eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten und ein laufendes Ermittlungsverfahren gegen einen Interessenten sind Ausschlusskriterien. Juristische Vorkenntnisse benötigen Schöffinnen und Schöffen nicht.

Ablauf des Bewerbungs- und Wahlverfahrens

Wer sich fĂŒr das Schöffenamt interessiert, muss sich bei seiner Wohnortgemeinde bewerben. Denn die Vorbereitung der Schöffenwahl fĂ€llt in die ZustĂ€ndigkeit der Kommunen. Ihnen wird vonseiten der Gerichte die Zahl der benötigten Schöffen mitgeteilt. Daraufhin stellen sie Vorschlagslisten mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern auf.

Diese Listen sollten mindestens doppelt so viele Personen enthalten, wie tatsĂ€chlich benötigt werden. GewĂ€hlt werden die Schöffinnen und Schöffen von einem Schöffenwahlausschuss beim Amtsgericht. Er setzt sich aus einem Richter des Amtsgerichts, einem Verwaltungsbeamten sowie sieben Vertrauenspersonen zusammen. Zeitplan des Verfahrens: Bis Mitte April 2013 muss die Zahl der benötigten Schöffinnen und Schöffen an die Kommunen gemeldet werden. Die Aufstellung der Vorschlagslisten durch die Gemeinden erfolgt bis 21. Juni 2013. Bis Ende September 2013 erfolgt die eigentliche Wahl durch die SchöffenwahlausschĂŒsse.

Mehr Informationen zum Schöffenamt sowie die BorschĂŒre „Leitfaden fĂŒr Schöffen“ gibt es auf der Homepage des Justizministeriums: www.justiz-bw.de. Auf der Homepage des Bunds ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DVS-BW) finden sich ebenfalls ausfĂŒhrliche Informationen: www.schoeffen-bw.de.“

Geprothmannt

Stuttgart21: Falsche Zitate? Falsche Berichte? Falsches Spiel!

Initiativen und BĂŒrgermeister aus Ilvesheim, Seckenheim und Edingen-Neckarhausen ĂŒberreichten Ende Oktober im Beisein von Abgeordneten ihre Unterschriftenlisten an Verkehrsminister Hermann. Foto: privat

 

Rhein-Neckar, 12. November 2012. (red/pro) Stuttgart21 lĂ€sst das Land nicht zur Ruhe kommen und bleibt Konfliktthema Nummer 1. Aktuell haben sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Claus Schmiedel (Wahlkreis Ludwigsburg) sowie seine Stellvertreterin Rosa GrĂŒnstein (Wahlkreis Schwetzingen) fĂŒr eine weitere KostenĂŒbernahme fĂŒr den Bahnhofsbau am Flughafen Stuttgart ausgesprochen – der soll 224 Millionen Euro teurer werden. Notfalls wĂŒrde die SPD mit der Opposition dafĂŒr stimmen, berichteten die Stuttgarter Nachrichten. Nach unseren Informationen fĂŒhlen sich die SPD-Politiker falsch zitiert.

Von Hardy Prothmann

Die Stuttgarter Nachrichten haben am Wochenende fĂŒr eine Sensation gesorgt. Angeblich ĂŒberlege die SPD, einen neuen Finanztopf aufzumachen, um weitere 224 Millionen Euro zu finanzieren, die der Bau des Bahnhofs am Flughafen nach neuen PlĂ€nen (Filderdialog) teurer werden wĂŒrde. Und notfalls wĂŒrde man zusammen mit CDU und FDP dafĂŒr stimmen, wird Frau GrĂŒnstein zitiert:

Bei den teuren Änderungen am Flughafen könne es „eine Mehrheit ohne die GrĂŒnen geben“. CDU und FDP haben ihre Arme fĂŒr die Sozialdemokraten bereits ausgebreitet.

Und auch der 2009 durch den Stuttgarter Gemeinderat getroffene Beschluss, weitere KostenĂŒbernahmen nur durch einen BĂŒrgerentscheid genehmigen zu lassen, sei durch einen neuen Beschluss zu kippen. Zuvor berichtete die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung am 08. November zum Thema und zitiert Herrn Schmiedel:

Es handelt sich um eine qualitative Abweichung von den bisherigen PlĂ€nen, das hat mit Risiko nichts zu tun. Der bessere Filderbahnhof ist das Ergebnis eines maßgeblich von den GrĂŒnen betriebenen BĂŒrgerdialogs. Die GrĂŒnen mĂŒssen nun entscheiden, ob der nur eine Fata Morgana war.

ZĂŒndstoff

Das Thema hat fĂŒr ordentlich ZĂŒndstoff am Wochenende gesorgt und heute Nachmittag wurde zurĂŒckgerudert. Angeblich sei Frau GrĂŒnstein vom Journalisten Konstantin Schwarz in eine „Falle gelockt“ worden, wurde uns zugetragen. Angeblich gebe es ĂŒberhaupt keine Absichten seitens der SPD vom verbindlich im Koalitionsvertrag vereinbarten Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro abzuweichen.

Was nun? Hat die Zeitung Frau Schwarz falsch zitiert oder wollte die SPD einfach nur mal ein bischen die Muskeln spielen lassen und den Koalitionspartner Ă€rgern? Beides ist vorstellbar, letzteres vor allem, weil jeder Kenner der politischen Szene weiß, dass die SPD ihren Wahlverlust und die „Juniorpartnerschaft“ noch lĂ€ngst nicht verkraftet hat.

Frage der Ehre

Was fehlt, ist eine Äußerung vom stellvertretenden MinisterprĂ€sidenten und Minister fĂŒr Finanzen und Wirtschaft, Nils Schmid. Auch ein Schweigen kann beredsam sein. Ist es vorstellbar, dass die Fraktionsvorsitzenden ohne sein Wissen diesen Vorstoß gemacht haben? Auch das wĂŒrde BĂ€nde ĂŒber den Zustand der SPD sprechen.

Die Koalitionspartner werden gut daran tun den Ball flach zu halten. Aber dann sind da noch die Stuttgarter Nachrichten und der Journalist Konstantin Schwarz. Wenn die Zeitung nicht mehr nachlegt, muss man davon ausgehen, dass sie wieder mal falsch berichtet hat und weiter im Sinne konservativer Kreise das Feuer schĂŒrt, um die Koalition zu beschĂ€digen und die „FinanzierungswĂŒnsche“ gewisser Lobbygruppen zu stĂŒtzen. FĂŒr die Zeitung wĂ€re das ein journalistisches Armutszeugnis.

Wenn die Zeitung aber nachlegen und belegen kann, dass die SPD den Sondertopf und eventuell auch eine Abstimmung mit der Opposition plant, dann wĂŒrde alles daraufhin deuten, dass diese Koalition instabiler ist als ein kollabierendes Kernkraftwerk.

Interessenfragen

Die Frage ist, wer daran Interesse haben könnte. SelbstverstÀndlich die Oppositionsparteien, die medial immer noch sehr gut vernetzt sind und hier ihre Botschaften unterbringen können und seien sie auch noch so dumm und utopisch.

Die SPD, weil sie eigentlich nicht der kleine Partner der GrĂŒnen sein will, sondern wenn schon Junior, dann doch lieber mit der CDU.

Wer auch immer welche Ziele verfolgt, hat die GrĂŒnen im Visier.

Wer ĂŒberhaupt kein Interesse daran haben kann, sind die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger. Denn die wissen langsam nicht mehr, auf wen man sich noch verlassen kann. Die alte CDU/FDP-Regierung hat dem Land einen desolaten Haushalt hinterlassen. Zeitungen wie die Stuttgarter Nachrichten und die Stuttgarter Zeitung haben sich zu willigen UnterstĂŒtzern von Lobbyisten machen lassen und eine kritische Berichterstattung zu Stuttgart21 nicht nur nicht „ĂŒbersehen“, sondern gezielt nicht gemacht – denn sie sind Teil des alten korrupten Systems. (Lesetipp! stern: „Fahrt auf schwĂ€bischem Filz„)

Zerstörte Hoffnungen

Ob die SPD-Fraktionsvorsitzenden nun falsch zitiert worden sind, ist eine wichtige Frage und die SPD-WĂ€hlerinnen und -WĂ€hler und vor allem alle BĂŒrgerinnen und BĂŒrger werden genau darauf achten, ob es ein offizielles Dementi gibt. Denn es ist eine Frage der Ehre, ob man sich bei derart wichtigen Projekten falsch zitieren lĂ€sst und nicht darauf reagiert.

Die SPD-Abgeordneten in unserem Berichtsgebiet haben sich fĂŒr Verkehrsprojekte in der Region stark gemacht, ob fĂŒr die NeckarbrĂŒcke Ilvesheim/Edingen-Neckarhausen oder die Ortsumgehung Heddesheim oder, oder, oder. Wenn die Landes-SPD nun nochmals 224 Millionen Euro fĂŒr Stuttgart21 nachschießen wollten, hieße das, dass alle Hoffnung fĂŒr auch nur eines der Projekte hier und sonstwo im Land zerstört wĂ€re.

Was also ist falsch? Das Zitat, die Berichterstattung oder das Spiel?

Baden-WĂŒrttemberg feiert seinen 60. Geburtstag

„Wir zahlen unsere Geburtstagsparty selbst“

LandtagsprĂ€sident Guido Wolf begrĂŒĂŸt die vielen GĂ€ste zum BĂŒrgerfest.

 

Stuttgart, 08. Juli 2012. (red/cr) Zum 60. Geburtstag Baden-WĂŒrttembergs feierte der Landtag ein großes BĂŒrgerfest. Das GebĂ€ude stand allen BĂŒrgern offen. Viele GĂ€ste nutzten diese Gelegenheit,um sich mal den Ort anzusehen, von dem aus sie regiert werden.

Von Christian Ruser

Unterwegs zum BĂŒrgerfest in Stuttgart. Als besonderen Service bieten BĂŒndnis90/Die GrĂŒnen einen Bustransfer mit verschiedenen Sammelpunkten an. WĂ€hrend der Startpunkt in Dossenheim und die Haltepunkte in Schriesheim und Ladenburg unproblematisch sind, verlangt der Halt in Leutershausen dem Busfahrer alles ab. Grund hierfĂŒr sind die zugeparkten Straßen um das Heisemer Straßenfest.

Erst nach prÀzisem Rangieren und einer spontanen Umleitung des Gegenverkehrs gelingt es, den Bus aus dem Gassenlabyrinth zu befreien und wieder auf die B3 Richtung Weinheim zu bringen.

Ab dort lĂ€uft aber alles reibungslos. Die  34 Teilnehmer aus Dossenheim, Heddesheim, Hemsbach, Ilvesheim, Ladenburg, Leutershausen, Mannheim, Schriesheim, Weinheim, und Wilhelmsfeld sind gut gelaunt und freuen sich auf ein interessantes BĂŒrgerfest im Landtag.

Um kurz vor elf erreicht der Bus den Landtag. Rund um das GebĂ€ude herrscht schon mĂ€chtig Trubel. Überall sind Zelte aufgebaut und direkt vor dem Eingang zeigen die jungen Sportakrobaten der TSG-Hofherrnweiler-Unterrombach was sie drauf haben. Aber viel Zeit zum Umsehen bleibt nicht, schnell eine Karte fĂŒr die HausfĂŒhrung gesichert, bereits jetzt sind schon die meisten Touren voll, und dann ab in den Plenarsaal.

Heute sitzt die Staatsgewalt im Parlament

Noch sind ein paar Minuten Zeit. FĂŒr einige BĂŒrger die Gelegenheit sich vor dem Landeswappen gegenseitig zu fotografieren. Nachdem Butler Willi (Reiner Scharlowsky) die Anwesenden höflich auf den Veranstaltungsbeginn hinweist, finden sich auch einige Abgeordnete ein.

Damit auch alle die Eröffnung verstehen, wird Guido Wolf von einer GebĂ€rdendolmetscherin ĂŒbersetzt. Schnell kommt er auf die Kernpunkte seiner Rede. Zum einen ist er froh, dass heute, gemĂ€ĂŸ des demokratischen Leitsatzes „Alle Macht geht vom Volke aus“, die Staatsgewalt im Parlament sitzt. Er wĂŒnscht sich fĂŒr die Zukunft starke BĂŒrgerbeteiligungen. FĂŒr ihn sind republikanische Demokratie und BĂŒrgerdemokratie keine GegensĂ€tze.

Heute sitzt die Staatsgewalt im Parlament

 

Auch ist fĂŒr ihn Baden-WĂŒrttemberg ein erfolgreiches Gemeinschaftsprojekt. KĂŒnstlich nach dem zweiten Weltkrieg zusammengelegt, haben sich die BĂŒrger zu einer leistungsfĂ€higen Gemeinschaft zusammengetan. 60 Jahre Baden-WĂŒrttemberg ist fĂŒr ihn auch 60 Jahre in den LĂ€nderfinanzausgleich einzahlen. So sagt er, nicht ohne Stolz:

Wir Baden-WĂŒrttemberger zahlen unsere Geburtstagsparty selbst.

Die Zuhörer kommentieren seine Rede mit lautem Beifall. Aber wer wird sich an so einem Tag schon mit Kritik unbeliebt machen?

Auch kritische Stimmen sind erlaubt.

Vor dem Plenarsaal wirbt ein Mann fĂŒr die direkte Demokratie. Obwohl er nicht auf die Besucher zu geht, suchen viele das GesprĂ€ch mit ihm. Offensichtlich ein Thema, dass die BĂŒrger interessiert.

Politiker zum Anfassen

Aber auch viele Landespolitiker mischen sich unter das Volk. An den ParteistĂ€nden und im gesamten GebĂ€ude stehen sie zum GesprĂ€ch bereit. Manfred Kern sorgt im Außenzelt sogar musikalisch fĂŒr Stimmung.

Etwas behĂ€big wirkt dagegen die Elefantenrunde. Dort werden die Fraktionsvorsitzenden von den SWR-Moderatoren JĂŒrgen Schmitz und Dieter Fritz zur aktuellen Politik befragt.

Elefantenrunde: Peter Hauk (CDU), Hans-Ulrich RĂŒlke (FDP), Edith Sitzmann (GrĂŒne) und Claus Schmiedel (SPD) (v.l.)

Zusammengefasst kann man sagen, dass die Regierungsparteien BĂŒndnis90/Die GrĂŒnen und SPD gerne miteinander arbeiten und sich gegenseitig auch kritisieren können. WĂ€hrend CDU und FDP die Rolle der Opposition ernst nehmen. Von Stefan Mappus und dem RĂŒckkauf der EnBW in der abgewickelten Form distanziert sich die CDU und begrĂŒĂŸt eine lĂŒckenlose AufklĂ€rung. Im Publikum ist deutlich zu merken, dass ihnen bei dieser Runde die nötige Tiefe fehlt.

Es darf gelacht werden

Wer sich ein wenig von der Politik entspannen will, kann dies im CafĂ©, an den zahlreichen ImbissstĂ€nden oder im Plenarsaal tun. Dort bietet jetzt ein Poetry Slam Abwechslung. Ob die besinnliche Kurzgeschichte von Pierre Jarawan, in der er erklĂ€rt, wie ein Flohmarkt ein Bazar und auch ein StĂŒckchen Heimat sein kann oder das Gedicht ĂŒber die Notwendigkeit klarer Konturen von Josefine Berkholz, man kann sich einfach hinsetzen, zuhören und genießen.

Der Wettbewerb ist vorbei.

Bei Julian Heun ist das nicht mehr so einfach, denn er stellt die Lachmuskeln seines Publikums auf eine harte Probe und wird dabei sogar noch gesellschaftskritisch. So meint er, dass der Wettkampf zugunsten der Competition aufgegeben wurde. Der klare Vorteil, beim Wettkampf gibt es Verlierer, wenn man „Competition macht“, dann schneidet man eben nicht so gut ab.

Alternativ gibt es FĂŒhrungen durch das Haus der Abgeordneten. Ein 136 Meter langer Tunnel verbindet die BĂŒros der Abgeordneten mit dem Landtag. Damit einem die Strecke nicht zu lang wird, ist der Tunnel mit Kunstinstallation aus Stahlrohren von Robert Schad verziert.

Auf der anderen Seite angekommen besucht man die Poststelle, die Druckerei und das Informationszentrum. Bei einem Blick in ein AbgeordnetenbĂŒro stellt man fest, dass beim Arbeiten nicht viel Platz zum Entspannen bleibt. Zwei Schreibtische und ein paar Regale, mehr passt in einen Raum nicht hinein.

Gegen 15 Uhr ist es auch wieder Zeit fĂŒr die RĂŒckfahrt. Auch hier steht wieder der Bus bereit und zweieinhalb Stunden spĂ€ter erreicht der Bus auch wieder den ersten Ort.

Den Besuchern im Landtag wurden interessante Einblicke geboten und viele Politiker waren zu offenen GesprĂ€chen bereit. Ein schönes Zeichen, dass es nicht „Die in Stuttgart“ sind, von denen die Politik kommt, sondern Menschen, die, obwohl sie die meiste Zeit mit politischen Fragen beschĂ€ftigt sind, die Bodenhaftung nicht verlieren wollen. Da kann man nur hoffen, dass das auch gelingt.

Eine Bildergalerie finden Sie auf dem Rheinneckarblog.de.

MinisterprÀsident Winfried Kretschmann schreibt S21-Gegnern auf Facebook

Rhein-Neckar, 07. Februar 2012. (red/pm) Winfried Kretschmann wendet sich mit einem offenen Brief ĂŒber das soziale Netzwerk Facebook an die Gegner von Stuttgart 21. Er selbst bezeichnet sich ebenfalls als S21-Gegner und den Ausgang der Abstimmung als „schmerzlich“. Wie bereits zuvor angekĂŒndigt, hĂ€lt er sich an das Ergebnis und schreibt: „Ungleich schlimmer wĂ€re es, das Votum letztlich nicht anzuerkennen.“

Dokumentation; Offener Brief von MinisterprÀsident Winfried Kretschmann
(Anm. d. Red.: ZwischenĂŒberschriften durch die Blogredaktion eingefĂŒgt.) 

„in den letzten Tagen und Wochen erreichten mich Schreiben sowie BeitrĂ€ge auf Facebook und Twitter von BĂŒrgerinnen und BĂŒrgern, deren Inhalt mir sehr zu denken gibt. Mal mehr, mal weniger deutlich wird darin gefordert, Stuttgart 21 dĂŒrfe auch nach dem Ergebnis der Volksabstimmung nicht gebaut werden. Daher möchte ich Ihnen mit diesem offenen Brief meine Sicht der Dinge darstellen.

Der 27. November 2011 ist ein Datum, das bei mir ganz unterschiedliche GefĂŒhle weckt. Einerseits konnten mit der Volksabstimmung ĂŒber das „S 21-KĂŒndigungsgesetz“ zum ersten Mal in der Geschichte Baden-WĂŒrttembergs die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger jenseits von Wahlen unmittelbar Einfluss nehmen und in einer Sachfrage eine Entscheidung treffen.

Wenngleich das Wort fĂŒr uns Deutsche aus geschichtlichen GrĂŒnden nicht nur positiv besetzt ist, so bin ich doch ein wenig stolz darauf, dass es uns gelungen ist, mit der Volksabstimmung einen historischen ersten Schritt in eine echte BĂŒrgergesellschaft gemacht zu haben.

Volksabstimmung ein „sehr bitterer und schmerzlicher Tag“

Andererseits ist der 27. November fĂŒr mich persönlich ein sehr bitterer und auch schmerzlicher Tag gewesen. Denn an diesem Tag hat sich eine klare Mehrheit der Abstimmungsberechtigten Baden-WĂŒrttembergs fĂŒr eine finanzielle Beteiligung des Landes an dem Bahnprojekt Stuttgart 21 ausgesprochen. Lediglich in sieben von insgesamt 44 Stimmkreisen hat das „S 21-KĂŒndigungsgesetz“ eine Mehrheit von Ja-Stimmen gefunden. DemgegenĂŒber haben 58,9 Prozent der abgegebenen gĂŒltigen Stimmen in Baden-WĂŒrttemberg gegen den Gesetzentwurf votiert.

Selbst im Stadtkreis Stuttgart, wo ich ein anderes Ergebnis erwartet hatte, hat sich keine Mehrheit der WĂ€hlerinnen und WĂ€hler fĂŒr das S 21-KĂŒndigungsgesetz ausgesprochen:

Mit 52,9 Prozent der abgegebenen gĂŒltigen Stimmen wurde ein Ausstieg aus der Finanzierung von Stuttgart 21 abgelehnt. Über ein Jahrzehnt hinweg haben ich und die GrĂŒnen im Landtag und darĂŒber hinaus gegen das Projekt argumentiert und fĂŒr Alternativen geworben und so ist dieses Votum des Volkes fĂŒr mich eine schmerzliche Entscheidung, an der ich persönlich schwer trage.

Ich hatte mir einen anderen Ausgang gewĂŒnscht, denn ich bin weiterhin der Überzeugung, dass die Alternativen zu Stuttgart 21 besser gewesen wĂ€ren. Schmerzlich ist der Ausgang aber auch deshalb, weil ich eingestehen muss, dass wir die Mehrheit der Bevölkerung mit unseren guten sachlichen und fachlichen Argumenten nicht ĂŒberzeugen konnten.

Auch ungeliebte Mehrheitsentscheidungen akzeptieren

Am 27. November 2011 hat das Volk entschieden. Und als ĂŒberzeugter Demokrat und MinisterprĂ€sident akzeptiere ich den Willen des SouverĂ€ns.

Damit entfĂ€llt in einer Demokratie fĂŒr die Politik und fĂŒr mich als MinisterprĂ€sident die Legitimation, das Projekt Stuttgart 21 dem Grunde nach immer und immer wieder in Frage zu stellen. Nicht ausgeschlossen ist es hingegen, die Fehler und SchwĂ€chen des Projekts deutlich aufzuzeigen, den Finger in die Wunde zu legen und auf Nachbesserungen zu drĂ€ngen. Das verstehe ich unter einem kritisch-konstruktiven Begleiten von Stuttgart 21 PLUS.

Wer allerdings meint, die Landesregierung und insbesondere ich als MinisterprĂ€sident könnten oder mĂŒssten das Projekt ĂŒber solche SchwĂ€chen noch endgĂŒltig zu Fall bringen, dem muss ich ganz klar sagen, dass ich dies nicht machen werde. Die Bahn darf Stuttgart 21 bauen. So hat das die klare Mehrheit der Abstimmenden gewollt. Es gehört zum Wesenskern der Demokratie, dass man Mehrheitsentscheidungen akzeptiert, ob sie einem nun gefallen oder nicht.

Allen war bewusst, dass mit der Volksabstimmung ĂŒber das S 21-KĂŒndigungsgesetz selbstverstĂ€ndlich mittelbar ĂŒber die Realisierung der Projekte Stuttgart 21 und die Alternativen abgestimmt wird.

Alle Argumente, die gegen Stuttgart 21 und fĂŒr die Alternativen sprechen, sind im Zuge der Ă€ußerst umfassenden Diskussionen im Vorfeld der Volksabstimmung, in der Schlichtung und/oder bereits weit vorher, geĂ€ußert und vorgetragen worden. Ich will auch gerne erneut betonen, dass ich viele der kritischen Argumente zu Stuttgart 21 persönlich teile. SĂ€mtliche Argumente in der Debatte sind vorgebracht, gewendet und abgewogen worden. Jede BĂŒrgerin und jeder BĂŒrger hatte umfassenden Zugang zu ihnen. Es gab hunderte Veranstaltungen und Foren sowie Diskussionsrunden unterschiedlichster Art.

Es gab die Schlichtung. Niemand wurde ausgeschlossen.

Pro und Contra hinlÀnglich bekannt

Über mehr als ein Jahr hinweg ist das Thema in der Stadt, regional und ĂŒberregional intensiv verhandelt worden. Und gerade in Zeiten des Internets und anderer moderner Kommunikationsmittel kann keine Rede davon sein, dass Informationen hinter dem Berg gehalten oder verschwiegen worden seien.

Die Fakten, die fĂŒr oder gegen Stuttgart 21 sprachen und sprechen, lagen offen auf dem Tisch. Und allen war klar, was im Falle eines Scheiterns des S 21-KĂŒndigungsgesetzes unaufhaltsam kommen wird:

Abriss des SĂŒdflĂŒgels, Freimachung des Baufeldes im Mittleren Schlossgarten zur Errichtung des Trogbauwerkes durch FĂ€llen oder Versetzen der BĂ€ume und Grundwasserentnahme.

Die Argumente, die Sie gegen Stuttgart 21 anfĂŒhren, waren der Bevölkerung hinlĂ€nglich bekannt. In der BroschĂŒre zur Volksabstimmung konnten Pro- und Contra-Seite Ihre Argumente kompakt vortragen. Jeder, der wollte, konnte darĂŒber hinaus sich jede Facette und noch differenzierte Argumente beschaffen. Gleichwohl hat sich deren Mehrheit am Ende fĂŒr das Projekt entschieden. An dieser Erkenntnis fĂŒhrt einfach kein Weg vorbei.

In der Regierungsform der Demokratie – und bei der direkten Demokratie zumal – gehen wir von einer mĂŒndigen BĂŒrgerschaft aus. Wir nehmen an, dass Menschen informiert sind bzw. sich Informationen beschaffen (können), bevor sie zu Wahlen und Abstimmungen gehen, und dass sie dann abgewogene Urteile und Entscheidungen fĂ€llen. Allerdings können wir niemanden dazu zwingen.

One Man, one vote“

Jede (volljĂ€hrige) BĂŒrgerin und jeder (volljĂ€hrige) BĂŒrger hat eine Stimme, und alle Stimmen haben den gleichen Wert. „One Man, one vote“ ist zu Recht ein Kernsatz demokratischer Verfassung. Und jede Stimme zĂ€hlt gleich, egal wer sie abgibt, ob etwa Professorin oder Putzfrau, aus welchen GrĂŒnden und Motiven auch immer, ob sie sich gut oder schlecht informiert hat.

Ein weiterer Kernsatz der Demokratie ist, dass Mehrheiten entscheiden. Darauf ist demokratische Politik angewiesen, denn etwas Besseres als die Mehrheitsregel ist noch niemandem eingefallen.

Wer, wenn nicht die Mehrheit in einer demokratischen Abstimmung soll denn die LegitimitĂ€t einer Entscheidung begrĂŒnden? Wie soll denn verfahren werden, wenn eine klare Mehrheit in einer strittigen Frage vorliegt? Soll dann das Votum dieser Mehrheit etwa nicht umgesetzt werden? Mit welchem Recht wollte man sich als Regierung dem verweigern? Woran sollen sich Entscheidungen ausrichten, wenn nicht an vorangehenden Mehrheiten in Wahlen und Abstimmungen?

Die GrĂŒn-Rote Koalition ist hier ohnehin schon sehr weit gegangen, nachdem große Mehrheiten im Parlament Stuttgart 21 lĂ€ngst beschlossen hatten, diese Entscheidung erneut in Form einer Volksabstimmung wieder aufzurufen. Wenn wir uns dieser Mehrheitsentscheidung bei Stuttgart 21 verweigern wĂŒrden, wie könnten wir dann in Zukunft selbst auf unseren Mehrheitsentscheidungen bestehen?

„Streiten bis in alle Ewigkeit“?

Niemand verlangt, die Position der anderen Seite zu ĂŒbernehmen. Und niemand verlangt, mit der eigenen Meinung kĂŒnftig hinter dem Berg zu halten. Aber der – in vielen Schreiben und anderen Veröffentlichungen der letzten Wochen zu findende – Appell an die Verantwortung der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger und der Verweis auf die großen Erwartungen, denen man gerecht werden mĂŒsse, der Hinweis auf die verantwortlichen Politiker und Planer gehen darĂŒber hinaus: sie dokumentieren, dass man das Votum der Volksabstimmung nicht akzeptiert.

Was bedeutet die Nichtanerkennung solcher Ergebnisse fĂŒr die Demokratie allgemein und fĂŒr das an Recht und Gesetz gebundene Regieren im Konkreten? Wie soll Legitimation fĂŒr politisches Handeln hergestellt werden? Wer bestimmt, entscheidet und handelt dann in staatlichen Angelegenheiten? Soll dies eine elitĂ€re Expertokratie sein, von der manch antiker Denker schrieb?

Der Konflikt um Stuttgart 21 war ein tiefer und heftiger Konflikt, der Stadt und Land mehr und mehr zu spalten drohte. Wie sollen schwierige Konflikte beigelegt werden, wenn nicht einmal eine Volksabstimmung als letzte AutoritÀt anerkannt wird? Soll man weiter streiten bis in Ewigkeit?

GrundsÀtze der Demokratie werden in Frage gestellt

Ganz allgemein: Wie soll Demokratie dann ĂŒberhaupt funktionieren? Was sind die Alternativen?

Diese Fragen drĂ€ngen sich mir bei der LektĂŒre Ihrer Briefe, E-Mails, Postings und Tweets auf. Welche Antworten wollen Sie finden, ohne grundsĂ€tzliche demokratische Prinzipien unseres Gemeinwesens in Frage zu stellen?

Vielleicht gibt es auch noch andere GrĂŒnde, die Sie bewogen haben, ihre Schreiben so zu formulieren. Halten Sie komplexe politische Sachfragen fĂŒr nicht geeignet, um sie durch die Bevölkerung direkt abstimmen zu lassen?

Und schließen sich damit den Gegnern bzw. Skeptikern der direkten Demokratie an, von denen es ja manche gerade in den konservativen Parteien gibt?

Eine solche Position ist keineswegs ehrenrĂŒhrig und hat gute Argumente auf ihrer Seite – man sollte sie nur klar benennen.

Ich persönlich teile diese Auffassung jedenfalls nicht, im Gegenteil: Die im Vergleich sehr hohe Beteiligung der BĂŒrgerschaft an der Volksabstimmung ist fĂŒr mich ein deutliches Indiz, dass die Menschen in unserem Lande ĂŒber mehr Themen direkt mitentscheiden wollen und nicht ĂŒber weniger.

Prinzipiell gilt allerdings, dass das Volk in seiner Mehrheit natĂŒrlich genauso Fehlentscheidungen treffen kann, wie die Mehrheit in einem Parlament. Denn in der Demokratie wird nicht ĂŒber LĂŒge und Wahrheit entschieden, sondern ĂŒber Alternativen.

Wer der Auffassung ist, dass die Volksabstimmung nicht rechtmĂ€ĂŸig abgelaufen sei, fĂŒr diejenige oder denjenigen gibt es in einem Rechtsstaat ebenfalls den Weg, den die gewaltenteilende Demokratie vorsieht:

Die Klage vor den Gerichten. Der entsprechende Weg ist ja von einigen auch bereits beschritten worden. Aber gewiss kann dies keine Forderung an die Exekutive sein. Schon gar nicht wenn sie wie in diesem Fall die Volksabstimmung nach sorgfĂ€ltiger PrĂŒfung selber eingeleitet hat.

Wie sollen BĂŒrgergesellschaft und BĂŒrgerdemokratie funktionieren?

Zu diesen Themen hinzu kommt eine Sorge, die mich umtreibt. Es ist die Sorge, dass das, was die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 an Positivem und Wegweisendem fĂŒr die Republik bereits erreicht hat – fĂŒr die Zukunft ein grundsĂ€tzliches Überdenken von Planungsprozessen, eine Ausweitung und Verbreiterung der Beteiligung der BĂŒrgerschaft auf unterschiedlichsten Ebenen, Transparenz und Offenheit bei den Alternativen und manches mehr –, dass diese großen Erfolge also gefĂ€hrdet und womöglich konterkariert werden, weil maßgebliche Protagonisten des Protestes das Resultat der Volksabstimmung nicht akzeptieren.

All dies zusammengenommen stelle ich mir eine grundsĂ€tzliche Frage: Wenn auch bekannte und anerkannte Persönlichkeiten das Ergebnis einer Volksabstimmung nicht anerkennen und respektieren wollen – wie soll dann die BĂŒrgergesellschaft und die neue BĂŒrgerdemokratie eigentlich funktionieren?

Und ins Konkrete gewendet leitet sich daraus eine fĂŒr den politischen Alltag elementare Frage ab. Nachdem die Volksabstimmung ein so klares Votum hervorgebracht hat:

Können Sie sich ernsthaft einen MinisterprĂ€sidenten und eine Landesregierung wĂŒnschen, die sich – weil ihnen ein politisches Ergebnis missfĂ€llt – ĂŒber den Willen der Mehrheit in einem Gesetzgebungsverfahren (denn nichts anderes ist eine Volksabstimmung nach unserer Landesverfassung) hinwegsetzt, dagegen opponiert und sich schlichtweg nicht an Gesetz und Recht gebunden fĂŒhlt?

Niemand, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ernst nimmt, kann sich dies am Ende wĂŒnschen, auch die nicht, die in der Sache verloren haben. Denn wir wĂŒrden dann TĂŒr und Tor öffnen fĂŒr eine Entwicklung, an der keinem von uns ernsthaft gelegen sein kann.

So schmerzlich und bitter die Entscheidung des Volkes fĂŒr Stuttgart 21 in der Sache fĂŒr uns Gegner war. Ungleich schlimmer wĂ€re es, das Votum letztlich nicht anzuerkennen. Denn dies hieße nichts anderes, als unseren demokratischen Rechtsstaat in Frage zu stellen.

Mit freundlichen GrĂŒĂŸen

Winfried Kretschmann“

Lesetipp: Isenhart – spannender Mittelalterkrimi mitten unter uns


Spannend, nachdenklich, tiefgrĂŒndig: Holger Karsten Schmidts DebĂŒtroman "Isenhart" ist ein Schmöker und ein nachdenkliches Buch. Quelle: KiWi

Rhein-Neckar, 15. September 2011. (red) Heute beginnt der Verkauf von Isenhart (Kiepenheuer&Witsch). Der Autor Holger Karsten Schmidt ist gebĂŒrtiger Hamburger. Die Idee zu seinem Roman ist in Mannheim entstanden. Vor mehr als zwanzig Jahren. Der erfolgreiche Drehbuchautor (Grimme-Preis 2010 fĂŒr „Mörder auf Amrum“) legt einen mitreißenden Schmöker vor, der mehr als nur Unterhaltung ist.

Die Geschichte von Isenhart ist ein spannender und unterhaltsamer Krimi. Aber auch ein sehr nachdenkliches Buch. Der Konflikt zwischen freiem Denken und herrschenden Gewalten durchzieht die Handlung. Es geht um Verstand und Wissen, Liebe und Schmerz, Ehre und Verrat, UnterdrĂŒckung und Befreiung. Es geht um die Freiheit des Denkens und der GefĂŒhle.

Die SchauplĂ€tze der Handlung reichen bis ins (damals sehr) ferne Toledo – die Kerngeschichte allerdings findet im Raum Rhein-Neckar statt. Die Handlung spielt im Mittelalter – doch das ist gar nicht so fern, könnte man meinen.

Von Hardy Prothmann

Ich warte schon seit ĂŒber zwanzig Jahren darauf, endlich den „Isenhart“ erstens lesen und zweitens besprechen zu können. Im Sommerurlaub hatte ich dazu Gelegenheit mit einem „Vorabexemplar“. 816 Seiten, Hardcover, aufwendig gestaltet.

Irgendwann 1989 oder 1990 hat mir Holger Karsten Schmidt von Isenhart erzÀhlt. Einem Mittelalter-Roman, den er schreiben wollte. Holger hat Isenhart geschrieben. Ab heute ist das Buch im Handel erhÀltlich.

Wir studierten damals Germanistik in Mannheim. In irgendeinem Seminar der MediĂ€vistik stieß Holger auf das Adjektiv „isenhart“. Und dieses kleine Wort hat eine Geschichte in seinem Kopf in Gang gesetzt.

Holger hat schon damals viel geschrieben. Nein, eigentlich hat Holger immer geschrieben. Seit ich ihn kenne und davor – wenn er keine Schreibmaschine oder spĂ€ter einen Computer in der NĂ€he hatte, dann beobachtete er die Menschen und hörte, was sie sagten und ĂŒberlegte, wie man das Erlebte in einer Geschichte dramaturgisch umsetzen könnte.

Viele Geschichten

Um ĂŒber die Runden zu kommen fuhr er Taxi – da trifft man viele Menschen, hört viele Geschichten.

Isenhart ist nicht sein erster Roman, wohl aber der erste veröffentlichte, der den erfolgreichen Drehbuchautor mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem erfolgreichen Buchautor machen wird.

Die spannende Geschichte um Isenhart beginnt mit einem unerhörten Ereignis. Ein Kind wird geboren, verliert die Mutter und stirbt ebenfalls. Ein mysteriöser fremder Mann taucht auf und haucht dem Kind neues Leben ein. Ein weiterer Mann, Walter von Ascisberg, will das Kind töten, schafft es aber nicht und beschließt es Isenhart zu nennen, sofern der schwĂ€chliche SĂ€ugling den Winter ĂŒberleben sollte. Es gibt eine Verbindung zwischen dem Fremden und Ascisberg und Isenhart – der Roman erzĂ€hlt diese Geschichte spannend bis zum Schluss.

Isenhart erweist seinem Namen alle Ehre, nĂ€hrt sich an der Brust einer fremden Frau und wĂ€chst fortan als Sohn eines trunksĂŒchtigen Schmieds auf. Und er findet in der Burg der Laurins einen Freund, den FĂŒrstensohn Konrad. Die Freundschaft der beiden wird immer wieder teils harten PrĂŒfungen unterzogen. Konrad ist adelig, Isenhart ein Knappe, aber viel schlauer als der körperlich ĂŒberlegene und vom Stand dominante Konrad.

PrĂ€zise und wortreich – herzlich und tödlich

Holger Karsten Schmidt portrĂ€tiert die ungleichen Charaktere sehr genau – seine prĂ€zise, wortreiche Sprache reißt den Leser mitten in die Abenteuer, die die beiden erleben. Man fĂŒhlt den Schmerz, die Verzweiflung, die Hoffnung. Verstand und Herz sind im Wettstreit. Der Verstand öffnet den Personen im Buch die Welt, das Herz umarmt sie. Immer, wenn das Herz fehlt, geht es grausam zu. Kalt. Tödlich.

Der erfolgreiche Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt (45) erzĂ€hlt in seinem DebĂŒtroman das Abenteuer von Isenhart wortreich und prĂ€zise - die Spannung lebt in den Figuren und dem, was sie denken. Foto: Ira Zehender

Holger Karsten Schmidt ist mit Isenhart ein Schmöker im besten Sinne gelungen. Der Autor verzettelt sich nicht in verschwurbelten Beschreibungen und epischen Ausbreitungen. Schmidt erzĂ€hlt eine spannende Abenteuergeschichte und treibt sie voran – die Rahmenhandlung ist ein Krimi.

Schmidt forder die Leser heraus

Ein grausiges Verbrechen geschieht – ein Unbekannter schneidet der Schwester von Konrad von Laurin das Herz heraus, nachdem er dem MĂ€dchen zuvor die Brust abgetrennt hat. Dem jungen Isenhart wird brutal und unersetzlich seine erste und fĂŒr lange Zeit einzige Liebe geraubt.

Dann wird die Burg der Laurins ĂŒberfallen. Vermeintlich wegen einer rechtsmĂ€ĂŸigen Fehde. Der FĂŒrst Sigimund fĂ€llt im Kampf, seine Frau Mechthild vergiftet sich, viele werden gemeuchelt, Konrad lebensgefĂ€hrlich verletzt. Isenhart rettet den Freund in letzter Sekunde – nachdem auch er einen Gegner erschlagen und einem anderen die Gurgel durchgeschnitten hat. Schmidt fordert die Leser heraus. Man muss viel Ungerechtigkeit ertragen und auf eine glĂŒckliche Wendung hoffen. Die kommt, aber nicht ohne Verluste.

Trotzdem strahlt das Buch eine Hoffnung aus, die man unbedingt lesen möchte. Seite um Seite.

Isenhart ist, obwohl ganz ĂŒberwiegend flĂŒssig und spannend zu lesen, kein einfaches Buch – wer sich auf die Gedanken des Autoren einlĂ€sst, spĂŒrt den existenzialistischen Einfluss des großartigen Philosophen Albert Camus. Nicht umsonst zitiert Schmidt den Dramatiker Victor Hugo am Ende des Romans. Der Autor verbirgt nicht, wer und was ihn beeindruckt. Er lĂ€sst uns Leser teilhaben an seinem Inneren. Und diese Offenheit ist die grĂ¶ĂŸte StĂ€rke dieses Buchs.

Schauder ĂŒber Schauer

Mitunter gibt es sehr eindringlich anmutende Gewaltschilderungen, die aber niemals den Eindruck erwecken, der Autor habe Spaß am Schock. Die erzĂ€hlerischen und dramaturgischen Mittel wĂŒrden einem Drehbuchautor Schmidt jederzeit ausreichen, die Gewaltszenen „auszuschmĂŒcken“. Doch als Romanautor tut er das nie. Er schildert gnadenlos nĂŒchtern, wie brutal „NahkĂ€mpfe“ nun einmal sind, wenn es um Leben und Tod geht und wie lebensbedrohlich aus heutiger Sicht „behandelbare“ Verletzungen im Mittelalter waren.

Wirklich schaudern machen einen dagegen eher die anderen Gewalten, die herrschen – die der Kirche und ihrer nahezu absoluten Macht, das freie Denken zu verbieten. Das ist weitaus brutaler.

Besonders stark ist der Roman in der Schilderung der Zwischenmenschlichkeit, da, wo Ruhm und Ehre eine untergeordnete Rolle spielen. Stand und Schönheit, Reichtum und Macht angesichts der Liebe und der Zuneigung, der Vertrautheit und des gemeinsamen Lebens zurĂŒcktreten mĂŒssen.

Die Geschichte von Isenhart ist die eines Mannes, der neugierig auf die Welt ist und sie ergrĂŒnden will. Nicht einfach möchte, sondern ganz klar will. Immer wieder stĂ¶ĂŸt er an Grenzen, die Kirche und Adel und die damalige Gesellschaft ihm teils schier unĂŒberwindbar anmutend aufwerfen.

Gottesfurcht und Neugier

Holger Karsten Schmidt versteht sein Handwerk. Er ist ein geschickter ErzĂ€hler. Ein Vater-Sohn-Konflikt, die unerfĂŒllte Liebe, die Sehnsucht nach Erkenntnis, die unbekannte Gefahr, die scheinbar ausweglose Situation und die glĂŒckliche FĂŒgung – er bedient die dramatischen Momente des (Er-)Lebens gekonnt und stilsicher.

Wer den Autor kennt, erfĂ€hrt ihn in dem Buch, wer ihn nicht kennt, lernt ihn kennen. So gegensĂ€tzlich Isenhart und Konrad nach Stand, Abstammung und Verstand sind – beide lernen den christlichen Glauben mittels SchlĂ€gen auf die Knöchel. Isenhart verliert spĂ€ter durch ein Urteil des Bischofs zu Spira einen kleinen Finger – eine glimpfliche Strafe angesichts der Tatsache, dass Konrad seine Familie wegen der Habsucht eines Abts verlieren musste.

Beide Protagonisten sind auf eine Art „gottesfĂŒrchtig“, aber auch beseelt – durch Anteilnahme und vor allem durch ihre charakterliche Entwicklung. Einer ihrer schlimmsten Gegenspieler ist die Religion – vor allem die christliche.

Liebe und Freundschaft vs. Gott und entzĂŒndete DĂ€rme

Holger Karsten Schmidt, der Anfang zwanzig, zu der Zeit, als ihm Isenhart in den Sinn kam, aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, lĂ€sst keinen Zweifel daran, wie kritisch er der Kirche als selbstherrlicher Verwaltungsinstitution des Glaubens und des daraus resultierenden Lebens gegenĂŒber eingestellt ist. Den Bischof, der stĂ€ndig Probleme mit einem entzĂŒndeten Darm hat, die vermutlich auf „FingerĂŒbungen“ eines Ministranten mit Dreck unter den NĂ€geln zurĂŒckzufĂŒhren sind, lĂ€sst er dann spĂ€ter auch an einer DarmentzĂŒndung sterben.

Der Roman ist vor dem ekelhaften, bekannt gewordenen Missbrauch von katholischen Geistlichen an Schutzbefohlenen entstanden und thematisiert doch genau diese Vergehen wider die Menschlichkeit. So schlimm das anmutet, ist das große Thema des Buchs aber die UnterdrĂŒckung des Urteilsvermögens. Und der Kampf um die Kraft des eigenen Verstands, der bis heute durch Kirche und „Glauben“ in der Gesellschaft eine so große Rolle einnimmt. Und den Isenhart beharrlich fĂŒhrt, bis er erkennt, dass es nichts besseres auf dieser Welt zu wissen gibt, als Liebe und Freundschaft. Gott spielt dabei keine Rolle mehr.

Auch zum Ende des Buches, als das dramatische Finale durch ein „Gottesurteil“ entschieden wird, muss man sich fragen, was Gott damit zu tun haben soll.

Schmöker und AufklÀrung

Obwohl Isenhart ein spannend zu lesender Schmöker ist, gelingt es Holger Karsten Schmidt seine Faszination fĂŒr die Logik, fĂŒr die Mathematik, die Philosophie und die Lust am Wissen, am Kennenlernen des Unbekannten immer wieder fast beilĂ€ufig einzustreuen. Auch ĂŒber die Sprache, die wir selbstverstĂ€ndlich benutzen und doch oft nicht wissen, warum wir sagen, was wir sagen. Wer nicht weiß, warum man „alles ist in Butter“ sagt, wird ganz nebenbei „aufgeklĂ€rt“.

Man merkt dem Buch eine umfangreiche Recherche an – sehr genau werden viele Details des mittelalterlichen Lebens beschrieben, die teils seltsam, oft lustig, immer interessant und manchmal auch verwunderlich wirken. So mutet der Vollzug einer Hochzeit unter Beisein eines Geistlichen wie eine Live-Sex-Show auf der Reeperbahn an – allerdings ohne jeden Schmuddel. So gesehen war das Mittelalter unserer Zeit um einiges voraus.

Ob Isenhart und Konrad in Norditalien tatsĂ€chlich „FĂ€den aus Teig“ gegessen haben, wird der Autor nicht beweisen können – allerdings kann man nicht mit Sicherheit wissen, ob die Spaghetti nicht doch schon erfunden waren. Das Mittelalter ist wie die Zeit davor eine ĂŒberwiegend mĂŒndlich tradierte Geschichte – viele Geheimnisse werden sich nie auflösen lassen, „Wissen“ wird alle Jahre durch neue Erkenntnisse ebenso neu definiert.

Schicht um Schicht

Isenhart ist kein Historienroman, sondern ein Krimi. Leider muss man kritisch anmerken, dass die Verlagswerbung vom „frĂŒhen Profiler“ im Mittelalter, der einen „Serienmörder“ ĂŒberfĂŒhrt, reichlich zweifelhaft ist.

Isenhart ist kein „Profiler“, sondern einer, der seinen Verstand benutzt und dem oft der Zufall hilft – und mindestens genauso oft das Schicksal ĂŒbel mitspielt. Und der angebliche Serienmörder tötet zwar in Serie – das macht ihn aber noch lange nicht zu einem Serienmörder. Letzlich ist er eine tragische Figur.

Ganz im Gegenteil gelingt es Schmidt das klassischste aller Dramenmotive, das Dilemma, gekonnt zu entwickeln, aufzubauen, Schicht um Schicht zu schĂŒrzen und letztlich ist der Knoten aus vielfĂ€ltigen Verwerfungen des Lebens so dick, dass man ihn nur noch zerschlagen kann – mit Gewalt versteht sich. Als Leser ist man an dieser Stelle so weit, dass man das will und versteht – auch wenn die Folgen fĂŒrchterlich sind. Das Buch zwingt die Leser, Leid und im Mitleid Milde zu erfahren. So gerĂ€t die Kritik am Christentum zur christlichsten aller Handlungen. Ganz sicher schafft Holger Karsten Schmidt diese Entwicklung ohne jede Legitimation durch die Kirche.

Am Ende bleibt kein Held ĂŒbrig, sondern viele. Und alles haben etwas verloren. Manche davon das wertvollste, was sie haben, ihr Leben.

Trotz aller Widrigkeiten

Es bleibt aber auch etwas ĂŒbrig, das man als zutiefst christlich bezeichnen könnte, wenn man nicht die Abneigung des Autoren gegenĂŒber der Kirche und ihrem unheilvollen Wirken deutlichst vorgefĂŒhrt bekommen hĂ€tte: Die Hoffnung und die Liebe. Vertrauen und Freundschaft. Trotz aller Widrigkeiten des irdischen Lebens.

Mehr soll nicht verraten werden, denn das Buch will gerne gelesen werden.

Nach der LektĂŒre hoffe ich sehr, nicht noch einmal zwanzig Jahre auf den nĂ€chsten Roman warten zu mĂŒssen – Holger hat mir verraten, dass in seinem Kopf mindestens zwei weitere BĂŒcher gerade entstehen. Auf die bin ich mehr als gespannt.

Man darf ebenfalls gespannt sein, wie der renommierte Verlag Kiepenheuer&Witsch seinen neuen Autor und das Buch voranbringen wird. Mittelalterkrimis sind neu fĂŒr den Verlag und sicher ein Experiment. Mit Holger Karsten Schmidt als Autor geht der Verlag sicher kein Risiko ein – mit dem Stoff schon eher. Der ist neu fĂŒr die Leserschaft. Doch nicht umsonst haben sich KiWi und Schmidt getroffen. KiWi hat einen seriösen Autoren unter Vertrag genommen, der weiß, wofĂŒr er steht. Verlag und Autor fordern die Kraft des Denkens heraus und die Lust am Lesen. Eine bessere Kombination ist kaum vorstellbar.

Holger Karsten Schmidt hat aus mittelalterlicher Sicht eine Abenteuerreise hinter sich: Der gebĂŒrtige Hamburger lebt im schwĂ€bischen Asperg.

Zum Autor:
Holger Karsten Schmidt (Jahrgang 1965) ist in Hamburg geboren und aufgewachsen.

1989 hat er in Mannheim Germanistik und Politikwissenschaften studiert, 1992 abgebrochen, um in Ludwigsburg an der Filmakademie Drehbuch zu studieren.
Nach erfolgreichem Abschluss hat er dort ebenfalls unterrichtet. Mit „14 Tage lebenslĂ€nglich“ ist ihm 1996 der Durchbruch gelungen. Seitdem zĂ€hlt er zu den renommiertesten Drehbuchautoren Deutschlands.

Der mehrfach preisgekrönte Autor wurde bereits fĂŒnf Mal fĂŒr den Grimme-Preis nominiert. 2010 hat er ihn fĂŒr „Mörder auf Amrum“ erhalten.

Isenhart erscheint im hochwertigen Hardcover am 15. September 2011 bei Kiepenheuer & Witsch, Köln. Preis: 19,99 Euro. ISBN: 978-3-462-04332-7

Ortskunde:
Isenhart wĂ€chst in der Burg Laurin auf, ziemlich genau da, wo der Autor Holger Karsten Schmidt mit seiner Frau Ira wohnt und lebt: Am Fuße der Festung Hohenasperg.

Walter von Ascisberg (Asperg) lebt in Tuttenhoven, heute bekannter unter dem Namen Dudenhofen, westlich von Speyer, das im Roman Spira heißt.

Das Kloster in Sunnisheim ist Sinsheim. Und Muhlenbrunn ist selbstverstÀndlich was? Sie werden darauf kommen. Bruchsal ist Bruchsal. Weinheim ist Weinheim. Regensburg ist Regensburg. Das unbedeutende Dorf Mannenheim (damals 700 Einwohner) ist heute das Oberzentrum Mannheim. Cannstadt ist die Keimzelle des heutigen Stuttgart.

Helibrunna ist selbstverstĂ€ndlich Heilbronn. Worms und Mainz sind wie geheißen. Und Hammerburg ist der Geburtsort von Holger Karsten Schmidt, nĂ€mlich Hamburg.

Heiligster hingegen ist eine Erfindung von Schmidt, irgendwo in der NĂ€he von Heiligenstein am Rhein – um die Ecke vom Römerberg. Viel Spaß bei der Spurensuche. Es handelt sich um vereinzelt gelegene Höfe.

Transparenz:
Holger Karsten Schmidt und Hardy Prothmann sind seit ĂŒber zwanzig Jahren Freunde im Geiste. WĂ€hrend des Studiums gab es intensive Kontakte, danach sah man sich „regelmĂ€ĂŸig“ alle paar Jahre, telefonierte ab und an und blieb in Kontakt – das letzte persönliche Treffen liegt gut acht Jahre zurĂŒck.