Guten Tag!
Heddesheim, 24. Januar 2011. Marietta ist noch jung und unerfahren, als sie mit ihrem zukünftigen Mann die erste Wohnung beziehen will. Dort wird sie mit Dieter konfrontiert, ihrem heutigen Schwiegervater, und es wird eine ganz besondere Begegnung. Lesen Sie selbst.
Von Marietta Herzberger
Kennen Sie Heinz Beckers „Ich saans jo nur…“?
Die entnervten Antworten seines Sohnes Stefan: „Jooo, Vadder!“ und Hildes resigniertes „Ach, Heinz, des kansch doch so net…“?
Ist Ihnen Knallinger´s „Ja, guten Tach, ich häb do mol ä Froog….“, nicht ganz unbekannt?
Dann kennen Sie möglicherweise auch Dieter. Wenn nicht, dann stellen Sie sich eine ungewollt komische Mischung der beiden vor und Sie haben ihn vor Augen.
Heiner Knalliger war gestern. Ebenso Gerd Dudenhöfer alias Heinz Becker. Denn es gibt Dieter. Aber das wissen nur wenige Auserwählte. Beispielsweise ich, mein Mann, dessen Familie, sowie wenige eingeweihte Freunde, denen ich gelegentlich mein Leid klage.
Jetzt kommt Dieter – mein Schwiegervater!
Jetzt kommt Dieter: Der Vater meines Mannes, Großvater unserer Tochter. Mein Schwiegervater!
Dieter ist der verbal zerstörende Faktor jeder Familienzusammenkunft und der Alptraum eines jeden Telefongespräches. Dieter ist nicht nur Brillen-, sondern auch Bedenkenträger und sieht überall die Saat des Bösen. Dieter ist der evolutionstechnisch gescheiterte Versuch, aus Knallinger und Dudenhöfer einen Mordsbrüller entstehen zu lassen.
Da bleibt nur noch Sabbatical oder Valium!
Meine Geschichte mit Dieter beginnt vor ungefähr fünfzehn Jahren. Mein Freund – heutiger Ehemann – und ich bezogen stolz unsere erste, total verfallene Wohnung. Seine Eltern erklärten sich bereit, uns bei den umfangreichen Renovierungsarbeiten zu helfen.
Damals freute ich mich noch – über die segensreiche Hilfe. Mit dem heutigen Wissen allerdings würde ich mir ein dreimonatiges Sabbatical nehmen, um die Bude auf Vordermann zu bringen; Alternativ zwei: Valium einwerfen.
Ach, was waren wir stolz auf unser erstes Domizil. Klein, ein wenig Schimmel hier und da. Mit zugigen Holzfenstern und modrigem Keller, aber unser. Wie schön!
Der Profi bei der Arbeit: Der guude Tipp.
Dieter schlich bei der Erstbesichtigung mit Mundschutz und Werkzeugkoffer im Anschlag durch jedes Zimmer, klopfte die Wände ab, rubbelte an den Aufputz-Rohren, wischte, trat, saugte und blies. Sein Weib Traudl folgte ihm wortlos mit bedeutungsschwerer Miene.
Weise und erfahren grummelte er wiederholt unter dem Rand seiner schwarzgeränderten Brille „Hm, Hm, oh je, ach Gott nää…“, wobei er seine Augenbrauen abwechselnd hoch- und zusammenzog.
Ich warf einen irritierten Blick zu meinem Mann „Was soll das?“ Er antwortete mit mürbem Gesichtsausdruck: „Das macht er immer so.“
Dann kam der Moment, in dem ich zum ersten Mal die Worte vernahm, die mir den Rest meines Schwiegertochterlebens in regelmäßigen Abständen begegnen sollten:
„Horsche mol zu….!“ Dann folgt eine bedeutungsschwangere Pause: „Wenn ich eisch mol´n guuude Tipp gewwe derf…“
Dieter stand vor uns, ich hing ahnungslos und wissbegierig an seinen Lippen, während er mahnend seinen Zeigefinger vor unsere Nasen hob: „Isch hädd des net gemacht, mit dere Wohnung do. Also, des iss jo´n hauffe Ärwed. Ihr wissd gar net, wasser eisch domit aduht!“
Kopfschüttelnd wandte er sich ab, zog seinen Mundschutz herunter und murmelte scheinbar fassungslos so etwas wie „Was des koscht! Nää, nää.“
Restlos verschuldet bis ans Lebensende?
Unverzüglich wollte ich ein Stockwerk tiefer zum Vermieter stürzen, um den Mietvertrag rückgängig zu machen. Wie konnten wir nur so blind sein. Hätten wir doch vorher… Wenn wir eher den Dieter gefragt hätten. Wenn, wenn, wenn…
Was sollten wir jetzt tun? Verschulden würden wir uns! Restlos! Bis an unser Lebensende würde die poröse Badewanne des Nachts unsere Träume heimsuchen und vorwurfsvoll die Ein-Hebel-Mischgarnitur schwenken. Täglich würden wir uns bei kargem Frühstück, Wasser und Brot, gegenseitig anklagen: „Ach, hätten wir doch Dieter gefragt!“
Blödsinn. Ich war nicht bereit, mir „unser“ kaputter machen zu lassen, als es war. Gerade wollte ich zum Sprung ansetzen, da riss mich die beschwichtigende, jedoch leicht genervte Stimme meines Mannes jäh zurück: „Mensch, Vadder!“
„So schlimm isses doch net.“
Dann vernahm ich die eher zurückhaltende Wortmeldung meiner zukünftigen Schwiegermutter: „Ach Dieter, komm. So schlimm isses doch net.“
Wie? So schlimm ist es gar nicht? Mein gequälter Blick prallte an der männlichen Präsenz meines Schwiegervaters ab, der unerwartet ausdruckslos den Mundschutz wieder hochzog, den Werkzeugkoffer absetzte, ihn öffnete und dabei nuschelte: „Isch mähn jo nur…“
Gehetzt sah ich zu meinem Mann hinüber, der erst die Augen verdrehte und mir dann zuzwinkerte. „Alles halb so schlimm, lass dich nicht verunsichern“, sagte mir seine Geste. „Okay… Verstanden“, sagte ich.
Traudl begann, Fenster zu putzen. Es kam mir zu dem Zeitpunkt nicht in den Sinn, sie zu fragen, warum sie das tat, wenn doch erst die Tapeten herunter mussten. Ich war jung und unwissend. Wahrscheinlich müssen Mütter das tun, sagte ich mir. Erst einmal Fenster putzen. Dann sieht man „weiter“. Irgendwie.
Dieter war unterdessen dabei, irgendwo ein Loch hineinzubohren. Wahrscheinlich wollte er testen, ob das Fundament das aushalten oder gleich alles einstürzen würde. Mein Mann pulte Tapeten ab. Ich beschloss, die Situation nun auch für mich zu entschärfen und tat es ihm gleich.
„Sind wir hier in den 50er Jahren?!“
Dann kam Dieter auf mich zu, drückte mir Schippe und Besen in die Hände und fuchtelte wild mit dem Zeigefinger in Richtung frisch gebohrtes Loch: „Do, mache mol Fraueärwed. Mach des mol weg do.“
Und schon bohrte er an anderer Stelle männlich qualifiziert weiter.
Da stand ich nun mit Schippe und Besen – ich Frau – und fing an zu hyperventilieren. Mein Mann ließ alle Tapetenreste aus seinen Händen fallen und hechtete auf mich zu. Er kannte mich schon verdammt gut. Traudl erstarrte mitten in ihrer schwungvollen Fensterpolieraktion und schaute blutleer zu mir herüber.
Doch es war zu spät. Der Schaum stand mir bereits in den Mundwinkeln, meine Hände zuckten unkontrolliert und die Schippe hielt sich verzweifelt an meinem Finger fest.
„Sind wir hier in den 50er Jahren?!“, bläffte ich barsch: „Mach doch deinen Dreck selber weg!“
„So isser halt, de Dieter!“
„Ganz ruhig…,“ tröstend und gleichzeitig nervös nahm mein Mann mich in den Arm, während er mir vorsichtig den Besen aus den verkrampften Fingern löste.
Traudl stellte sich schützend vor ihren Ernährer, Vater ihres einzigen Sohnes, und versuchte, die Situation zu retten. Verlegenen Blickes und sichtlich peinlich berührt sagte sie diesen Satz, den ich in Zukunft noch öfter hören durfte: „Ach, der Dieter meint das doch nicht so.“
Der bohrt weiter Löcher in die Wand und murmelt: „Isch mähn doch nur….“
Entschuldigendes Schulterzucken in unsere Richtung von Traudl: „So isser halt, de Dieter!“
Anmerkung der Redaktion: Marietta Herzberger lebt in Weinheim und schreibt in ihren Kolumnen über den ganz normalen Wahnsinn des Alltags. Erfundene Geschichten, in denen doch das eine oder andere wahr ist. Die Personen gibt es meistens, manchmal nicht. Mal ist es, wie beschrieben, mal gnadenlos überzogen. Es sind keine „journalistischen“ Texte mit dem Anspruch auf Faktentreue, sondern Lesetext mit dem Ziel, Lesefreude zu verbreiten. Sie hat jede Menge Weisheiten gerne, zwei sind: „Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen“ – Konrad Adenauer. Und: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“ – Bertolt Brecht. Wir begrüßen sie herzlich und freuen uns auf die Zusammenarbeit. Wir wünschen unseren Lesern viel Lesespaß mit ihren Texten!
Neue Kommentare