Samstag, 01. April 2023

„Niedriges Bildungsniveau“ bei Schlecker-Kunden? Unternehmensbrief sorgt für Ärger und Unverständnis


Der neue Slogan "For you. Vor Ort." soll "niedrigere und mittlere Bildungsniveaus" ansprechen. Dazu zählt Schlecker 95 Prozent seiner Kunden, so Unternehmensprecher Florian Baum in einer ersten Reaktion auf Kritik am denglischen (deutsch-englischen) Werbespruch. Foto: soso

Guten Tag!

Rhein-Neckar, 29. Oktober 2011. Ein bislang nicht bekannter Briefschreiber beschwert sich bei Schlecker über den neuen Werbe-Slogan „For you. Vor Ort“. Der Unternehmenssprecher Florian Baum antwortet auf diesen Brief und sorgt mit seiner Antwort für das, was man gut und gerne einen Kommunikationsgau nennen kann. Danach haben die meisten Schlecker-Kunden ein „niedriges bis mittleres Bildungsniveau“. Das Unternehmen versucht sich nun in Schadensbegrenzung.

Von Hardy Prothmann

Bekannt wurde der Brief durch die Fachzeitschrift „Deutsche Sprachwelt“, die das Schreiben zugespielt bekommen und veröffentlicht hatte. Daraufhin entwickelte sich im Internet ein „Shitstorm“ – eine wütende Kettenreaktion mit Kritik am Unternehmen. (Hier Reaktionen auf Twitter.)

Wie man die Antwort von Schlecker-Sprecher Florian Baum zu werten hat, bleibt jedem selbst überlassen. Sehr viele Kundinnen und Kunden haben sich aber mehr als geärgert.

In einer Antwort auf eine Kritik am neuen Werbe-Slogan „For you. Vor Ort“ schreibt Baum, dass er persönlich die Kritik verstehen kann. Immerhin ist er „Geisteswissenschaftler“ und fühlt sich dem „Sprachgebrauch der Latinitas verpflichtet“ – sprich, persönlich würde er so einen Slogan nicht verwenden.

Aus Unternehmenssicht aber schon. Und dafür liefert er eine Begründung, die wenig schmeichelhaft für die Kundinnen und Kunden ist:

„Das Motto sollte die durchschnittlichen Schlecker-Kunden, die niederen bis mittleren Bildungsniveaus zuzuordnen sind, ansprechen.“

Und weiter:

„Die Zielgruppe unseres Werbeslogans sind auch nicht die vielleicht 5 Prozent der Bevölkerung, zu denen Sie und Ihre Mitunterzeichner gehören (nämlich promovierte Akademiker, Philologen und andere reflektierte Sprachverwender) – sondern die übrigen 95 Prozent.“

Wie soll man das verstehen? Dass die „übrigen 95 Prozent“ nicht reflektiert mit der Sprache umgehen? Oder das Schlecker die 5 Prozent gar nicht im Blick hat und auch nicht als Kunden gewinnen will, weil denen der „denglische“ Werbeslogan zu blöd ist?

Die Financial Times Deutschland schrieb: „Schlecker hält die eigenen Kunden für blöd.“ Ein Schluss, den wohl viele aus dem arroganten Schreiben des Unternehmenssprechers Baum ähnlich gezogen haben dürften. Das Handelsblatt formuliert: „Schlecker nennt Kunden ungebildet.“

Das dachten viele nach dem Brief von Schlecker, der für viel Empörung gesorgt hat.

Anstatt sich klar zu entschuldigen und Druck aus der Debatte herauszunehmen, legt Schlecker auf seinem Unternehmens-Blog nach kritischen Presseberichten und Protesten aus der Bevölkerung nach:

„Und ja, wir stehen zu diesem Motto, wie wir auch zu einer unserer wichtigsten Zielgruppen stehen: Menschen mit einfachem bis mittlerem Bildungsniveau.“

Vollkommen unverständlich, wie ich meine. Denn Schlecker verknüpft das „Bildungsniveau“-Thema ohne Not mit den eigenen Kundinnen und Kunden. Und lässt auf den ersten Fehler den zweiten folgen. Und selbst ein richtiger Ansatz, um aus dem Desaster rauszukommen, wird wieder mit der Verknüpfung „Bildungsniveau-Dummheit“ verwendet:

„Wer will, mag unser Unternehmensmotto diskutieren, gut finden oder für dümmlich halten. Unsere Mitarbeiter, die zum überwiegenden Teil schon seit 15 und mehr Jahren im Unternehmen arbeiten, wie auch unsere Kunden sind es ganz sicher nicht.“

Die andauerende Verknüpfung von Bildungsniveau und Dummheit in bezug auf die eigenen Kundinnen und Kunden ist das Problem dieser Kommunikationspanne, durch die viele unterstellen, Schlecker habe keine besonders gute Meinung von der eigenen Klientel.

Eine positive Formulierung dieser Art hätte Schlecker und der Klientel sicher mehr gedient:

„Wie achten und schätzen unsere Kundinnen und Kunden als gute Menschen. Wer bei uns einkauft, ist schlau – denn wir bieten gute Ware zu günstigen Preisen. For you. Vor Ort.“

Das ist aber der „Unternehmenskommunikation“ und dem „Geisteswissenschaftler“ Florian Baum nicht eingefallen. Was man auch indirekt als Beweis anführen könnte, dass eine akademische Bildung und eine Zugehörigkeit zur „Latinitas“ nicht unbedingt vor Dummheit schützt.

Diese Aussage sorgte für jede Menge Verärgerung.

Vielleicht sollte sich Schlecker zuallererst einen neuen Unternehmenssprecher suchen, der die Kundenansprache besser beherrscht.

Wer den Brief nachlesen möchte, findet ihn beim Facebook-Account von „Deutsche Sprachwelt.“

Weitere Infos:

Siehe auch einen Bericht des Mediendienstes „meedia“ zum Thema.

Werben und Verkaufen

Scilogs: For you – verbohrt

Stelllungnahme von Schlecker

In eigener Sache: rheinneckarblog istlokal.de


Guten Tag!

Rhein-Neckar, 25. Januar 2011. Ende 2010 haben die Journalisten Stefan Aigner und Hardy Prothmann sowie der Diplom-Medienpädagoge Thomas Pfeiffer das Netzwerk istlokal.de gestartet. Das Netzwerk unterstützt journalistische Angebote im Internet, die lokal oder regional informieren.

Von Hardy Prothmann

Die lokale Berichterstattung bietet die exklusivsten Nachrichten der Welt. Was vor Ort passiert, betrifft die Menschen, die dort leben. Egal ob in München, Berlin, Köln, Stuttgart, auf dem platten Land oder in einem Ballungsraum. Oder in New York, Los Angeles, Paris, London, Mailand, Barcelona.

In den vergangenen zwei Jahren sind in vielen Orten Deutschlands lokale „Blogs“ oder digitale Internet-Zeitungen entstanden und auch 2011 werden viele neue Angebote dazukommen. Mal sind es politisch engangierte Bürger, mal Journalisten, die das „nebenbei“ machen. Aber immer mehr Angebote werden mit dem Anspruch der Herausgeber betrieben, von dieser Arbeit auch leben zu können.

Kritischer Zustand des Journalismus.

Jeder, der ein kommerzielles Angbot betreibt, steht dabei vor denselben Problemen: Der lokale und regionale Werbemarkt im Internet ist noch nicht befriedigend entwickelt, noch nicht einmal ausreichend.

Das Portal von istlokal.de bietet vernetzten Journalismus.

Aus gutem Grund. Die Presselandschaft in Deutschland ist überwiegend monopolisiert. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es fast nur noch „Einzeitungskreise“ – sprich, es gibt keinen journalistischen Wettbewerb mehr vor Ort. Die Monopolzeitungen bestimmen, über wen was wann wie berichtet wird.

Wozu das führt, zeigt das Beispiel Stuttgart21 deutlich. Die Stuttgarter Zeitung hat kaum kritisch berichtet – aus gutem Grund. Wie der stern mit dem Hintergrundbericht „Fahrt auf schwäbischem Filz“ offenlegte, gehört die Zeitung zur Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), die vor einiger Zeit die Süddeutsche Zeitung gekauft hat.

„Fahrt auf schwäbischem Filz.“

Ein schwerer finanzieller Brocken, der das Unternehmen in Schwierigkeiten brachte. Über die Landesbank Baden-Württemberg nahm man ein Schuldscheindarlehen über 300 Millionen Euro auf, so der Bericht.

Darin heißt es: „Die LBBW war hierfür ein idealer Partner. Vorsitzender ihrer Trägerversammlung ist Ministerpräsident Mappus. In ihrem Verwaltungsrat hat die Politik das Sagen. Vorsitzender ist der CDU-Landtagsabgeordnete Peter Schneider, Präsident des baden-württembergischen Sparkassenverbands. Mitglieder des Verwaltungsrats sind unter anderem der Stuttgarter OB Wolfgang Schuster, die CDU-Landesminister Wolfgang Reinhart (Berlin/Europa) und Willi Stächele (Finanzen), die Unternehmer Heinz Dürr und Dieter Hundt und Claus Schmiedel, Chef der SPD-Fraktion im Landtag. Der hielt Stuttgart 21 bis vor kurzem für „menschenfreundlich, umweltfreundlich und relativ schnell realisierbar.“

Solche Verbindungen lassen vermuten, dass eine objektive Berichterstattung nicht mehr gegeben ist.

Der stern berichtet über die Verfilzung von Medien, Politik und Wirtschaft.

Zurück zum Werbemarkt – der wird von Zeitungen dominiert. Und jede Anzeige, die von Print nach Online abwandert, ist ein Verlust, der die Zeitungen trifft. Die haben folglich überhaupt kein Interesse, den Online-Werbemarkt zu entwickeln. Denn Online-Anzeigen sind günstiger, sprich, bringen den Zeitungen weniger Einnahmen.

Dramatische Entwicklung.

Und wer sich online informiert, auch durch Werbung, braucht keine Zeitung mehr – die teils dramatisch zurückgehenden Auflagen- und Abozahlen zeigen deutlich, unter welchem wirtschaftlichem Druck Zeitungen stehen.

Mit dramatischen Folgen für die Bürgerinnen und Bürger: Die Berichterstattung wird zunehmend flacher, da die Zeitungsverlage in den vergangenen Jahren hunderte Journalisten entlassen haben. Es gibt Regionen in Deutschland, über die überhaupt keine Berichterstattung mehr stattfindet. Die ungeprüfte Übernahmen von „PR-Artikel“ ist an der Tagesordnung.

Wer aufmerksam die Zeitung liest, stellt fest, dass der überwiegende Teil der Artikel nicht mehr redaktionell vor Ort erarbeitet wird, sondern außerhalb der Zeitung. Ob als Agenturmeldung oder PR-Text.

Und es gibt jede Menge Lokalredakteure, die eine Pressemitteilung ein wenig umschreiben und dann unter ihrem Namen als eigenen Artikel veröffentlichen. Das ist Betrug am Leser. Und der findet täglich überall statt.

Journalismus ist wichtig für die Demokratie.

Und es schadet der Glaubwürdigkeit des Journalismus, der eigentlich die „4. Macht“ im Staate sein soll. Durch kritisches Prüfen von Informationen, durch Recherche von Hintergründen und Verbindungen, durch eine objektive Berichterstattung. Diese Aufgabe ist enorm wichtig, um eine Demokratie stabil zu halten.

Engagierte Bürger und freie Journalisten gründen deshalb ihre eigenen Medien – aus Frust über die unzulängliche „Lobby“-Berichterstattung der Zeitungen, die oft mehr verschweigen, denn berichten. Aus der Überzeugung heraus, dass dort immer weniger echter Journalismus stattfindet.

Die Alternative heißen Blog oder Internet-Zeitung – die Namensgebung spielt keine Rolle, sondern der Inhalt. Hier finden Dokumentation und kritische Berichte statt.

Vielfältige Herausforderungen.

„Bürgerjournalisten“ stehen dabei vor der Herausforderung, wie sie diese journalistische Tätigkeit wahrnehmen. Journalismus ist ein Handwerk, das man lernen kann und muss. Ohne Kenntnisse in Sachen Recherche, Schreiben und auch Medienrecht werden wichtige Informationen nicht gefunden oder es drohen Abmahnungen von denen, die sich durch die Berichte „gestört“ fühlen – sei es die Kirche, seien es Unternehmen oder Politiker oder Ämter.

Hardy Prothmann ist verantwortlicher Redakteur für die Angebote des rheinneckarblogs. Bild: sap

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Für das erste Halbjahr 2011 ist eine Informationsveranstaltung geplant. Wir werden Sie über unsere Fortschritte zeitnah informieren.

Hintergrund:

Hardy Prothmann ist verantwortlich für das rheinneckarblog und betreibt zudem die lokalen Angebote heddesheimblog.de, hirschbergblog.de, ladenburgblog.de und weinheimblog.de. Für seine Arbeit wurde er 2009 und die „100 Journalisten des Jahres“ durch eine unabhängige Jury der Fachzeitschrift „MediumMagazin“ auf Platz 3 in der Kategorie „Regionales“ gewählt.

Er arbeitet seit 1991 als freier Journalist. Während des Studiums von 1991-1994 für den Mannheimer Morgen, ab 1995 überregional für fast alle großen Medien sowie die ARD. Er ist Gründungsmitglied von netzwerk recherche und Mitglied des Frankfurter Presseclubs. Im Mai 2009 startete er das heddesheimblog.de.

Stefan Aigner ist freier Journalist in Regensburg. Er betreibt die Seite regensburg-digital.de und ist bundesweit durch seine kritische Berichterstattung bekannt geworden, die ihm schon drei Prozesse eingebracht hat. Aktuell hat ihn die Diözese Regensburg verklagt, weil er die Zahlung von Geldern an die Eltern eines Missbrauchsopfers in Anlehnung an einen Spiegelbericht als „Schweigegeld“ benannt hat. Die katholische Kirche hat auf Unterlassung geklagt. Weil Stefan Aigner 10.000 Euro Spendengelder einwerben konnte, hat er sich auf den Prozess einlassen können. Das Hamburger Landgericht will das Urteil Ende Februar 2011 verkünden.

Thomas Pfeiffer ist Diplom-Medienpädagoge und Social Media-Experte. Er betreibt die Seite webevangelisten.de und ist Mitbegründer des Twittwoch, eines Vereins zur Förderung von Social Media-Anwendungen. Der passionierte Bergsteiger unterstützt das Netzwerk istlokal.de mit seinen Expertenkenntnissen. Als politisch interessierter Bürger ist er zudem „Genosse“ der links-liberalen Tageszeitung die „taz“ aus Berlin.

istlokal.de wurde am 28. Dezember 2010 in Heddesheim gegründet. Zur Zeit findet die Mitgliederwerbung statt. In Kürze wird der „Vorstand“ durch weitere Journalisten erweitert, die sich aktiv in das Netzwerk einbringen wollen. Geplant ist die Gründung einer Genossenschaft sowie einer operativen GmbH, die die organisatorischen Arbeiten übernimmt.

Wir sind offen für Sponsoren, die zu uns passen und Kooperationspartner, die gerne mit istlokal.de zusammenarbeiten möchten. Erste Gespräche werden mit der Fotografenagentur Freelens sowie dem Autoren-Netzwerk Freischreiber geführt.