Freitag, 24. März 2023

Ahmad El Manschawi zu Mubaraks Rücktritt: „Ich wünsche natürlich das allerbeste, bleibe aber realistisch.“


Guten Tag!

Heddesheim, 11. Februar 2011. Ahmad El Menschawi, Vorstandsmitglied des SPD-Ortsverbands Heddesheim, ist deutsch-ägyptischer Abstammung. Ein Teil seiner Familie lebt in Kairo. Selbstverständlich hat er die zurückliegenden Wochen die Revolution in Ägypten verfolgt. Selbstverständlich fühlt er mit den Menschen in seiner „zweiten Heimat“, sieht aber auch die Probleme, die die Revolution mit sich bringen wird.

Interview: Hardy Prothmann

Herr El Menschawi: Mubarak ist zurückgetreten. Was fühlen Sie?

Ahmad El Menschawi: „In meiner Brust schlagen zwei Herzen, das deutsche und das ägyptische. Ich freue mich natürlich sehr, dass Mubarak nun weg ist und die Ägypter hoffentlich die Möglichkeit haben, über die Revolution hinaus eine Art Demokratie für das Land zu erreichen.

Was meinen Sie mit hoffentlich?

Ahmad El Menschawi ist mit seinem deutsch-ägyptischen Herzen in seiner zweiten Heimat bei seinen Landsleuten: "Die Revolution ist an der Zeit. Aber die Zukunft wird schwer."

El Menschawi: „Ägypten ist ein riesiges Land im Vergleich zu Deutschland. Es gibt keine echte demokratische Tradition – über die letzten Jahrzehnte war es eine Militärdiktatur. Die Menschen werden Zeit brauchen, um sich zu organisieren, Strukturen aufzubauen und demokratische Prozesse in Gang zu bringen.

Das heißt, Sie stehen der Zukunft skeptisch gegenüber?

El Menschawi: „Ich wünsche natürlich das allerbeste, bleibe aber realistisch.“

Was ist die Realität?

El Menschawi: „Die Revolution wird von einer Art „Mittelstand“ getragen. Damit meine ich eher jüngere, gut ausgebildete Ägypter, die sich vernetzt haben und die Revolution nach vorne tragen. Dem haben sich andere, Muslime wie Christen, angeschlossen, was erstmal sehr gut ist. Aber: Diese Oppositionsbewegung hat noch keine echte Struktur.
Sehr gut organisiert ist dagegen beispielsweise die Muslimbruderschaft. Hier könnte die Gefahr einer Fundamentalisierung bestehen, weil hier schon eher Parteistrukturen zu erkennen sind. Man wird abwarten müssen, wie schnell sich die demokratische Opposition organisieren kann.“

Wovon hängt das ab?

El Menschawi: „Ganz praktisch von den Lebensumständen. Der Lebensstandard ist selbst für gut ausgebildete Menschen sehr niedrig. Die guten Jobs haben überwiegend politisch konforme Leute. Die anderen müssen, selbst wenn sie eigentlich gut qualifiziert sind, lange und hart jeden Tag arbeiten, um über die Runden zu kommen. Da bleibt wenig Zeit, um eine Partei zu organisieren. Das sind ganz reale Gründe, warum es schwer werden wird.“

Das Militär spielt eine entscheidende Rolle. Glauben Sie, dass es eine Demokratisierung unterstützt?

El Menschawi: „Ganz neu ist, dass das Militär sich so zurückgehalten hat. Vor einigen Jahren noch hätten die geschossen. Das gibt Hoffnung. Ich vermute aber, dass es durchaus noch Pro-Mubarak-System-Strömungen gibt. Auch hier ist offen, wer die Oberhand behält.“

Wie beurteilen Sie den Vize-Präsidenten Suleiman?

El Menschawi: „Da bin ich sehr skeptisch. Der Mann war lange Geheimdienstchef und somit für vieles verantwortlich, was gar nicht in Ordnung war.“

Können Sie sich vorstellen, dass Wael Ghonim ein möglicher Anführer der Opposition sein kann?

El Menschawi: „Er hat sicher eine gute Ausstrahlung und könnte eine Rolle spielen.“

Ein Teil ihrer Familie lebt in Kairo. Wie geht es denen?

El Menschawi: „Kairo ist riesengroß und meine Familie lebt entfernt von den Orten, wo es „zur Sache geht“. Also insoweit ist alles in Ordnung. Sie haben auch genug zu essen, was nicht selbstverständlich ist, weil die Lebensmittel teils knapp werden. Ein Problem ist das Geld – das fehlt im Moment, weil im sowieso chaotischen System gerade gar nichts funktioniert.“

Was ist ihre Prognose, wie es weitergeht?

El Menschawi: „Ich hoffe natürlich auf eine positive Entwicklung. Aber man darf sich nichts vormachen: Das Land wird in der Übergangsphase trotz aller demokratischer Ziele eine Art „harter Hand“ brauchen, damit die Lage stabil bleiben kann. Das hört sich komisch an, aber es ist die Realität. Wenn man Ägypten einfach sich selbst überlässt, nach dem Motto, die machen jetzt einfach Demokratie, wird das nicht funktionieren. Ich hoffe sehr, dass die internationale Gemeinschaft das Land und die Menschen auf dem Weg in die Demokratie ehrlich unterstützt.“

Zur Person:
Ahmad El Menschawi ist in Deutschland als Sohn eines Ägypters und einer Deutschen aufgewachsen. Seit seinem dritten Lebensjahr ist er regelmäßig in seiner „zweiten Heimat“ Ägypten.
Der Heddesheimer ist im Vorstand des SPD-Ortsverbands politisch aktiv.

Ägypten: „Vermutungen und Klischees sind immer das Gegenteil von Information.“


Guten Tag!

02. Februar 2011. Die Ereignisse in Kairo sind nicht unser „Berichtsgebiet“ – wir schauen aber wie viele Menschen hier vor Ort auf das, was dort vor Ort passiert. Werden wir gut informiert? Daran gibt es erhebliche Zweifel, wie wir im Interview mit Christoph Maria Fröhder erfahren. Und immer, wenn die Ereignisse sich überschlagen, gilt die alte „Reporterweisheit“: „Traue keinem.“

Vorbemerkung: Der freie Journalist Christoph Maria Fröhder ist einer der renommiertesten deutschen Krisenreporter und investigen Journalisten. Er berichtet seit fast 40 Jahren von den „Brennpunkten“ der Welt – ob Kambodscha, Vietnam, Afghanistan, Angola, Kosovo oder Irak. Seine exklusiven Berichte haben sich nie am „Mainstream“ orientiert. Als Reporter in Bagdad stieß er 1990/91 zusammen mit dem Tagesthemen-Moderator „Hajo“ Friedrichs die Debatte an, welchen „Bildern“ man trauen kann. Zensur und Manipulation sind allgegenwärtig, vor allem in Krisengebieten – so die Mahnung. Fröhder ist ein vielfach preisgekrönter Journalist und lebt in Frankfurt/Main.

Interview: Hardy Prothmann

Herr Fröhder, wie beurteilen Sie die aktuelle Berichterstattung in Deutschland über die Unruhen in Ägypten?

Christoph Maria Fröhder: „Mich stört vor allem der Mangel an Hintergrundgeschichten und vernünftigen Einordnungen, was da gerade vor sich geht. Bislang beschränken sich die großen Medien auf eine chronologische Berichterstattung. Dann ist das und dann ist das passiert.“

Hier passiert gerade Geschichte.

Warum ist eine intensivere Berichterstattung ihrer Meinung nach nötig?

Mittendrin und nie dabei: Christoph Maria Fröhder im Irak 2003. Bild: privat

Fröhder: „Ägypten ist ein Nachbarland – für alle Mittelmeerstaaten. Ägypten ist das wichtigste arabische Land in der Region mit der größten Armee und ein direkter Nachbar zu Israel. Und Ägypten ist ein Kulturland von herausragender Bedeutung. Und hier passiert gerade Geschichte.“

Was würden Sie versuchen, wenn Sie vor Ort wären?

Fröhder: „Das liegt doch auf der Hand. Das Militär hält sich bislang auffallend zurück und betont, dass Militär und Volk eins sind. Wie geht das? Hat Mubarak keinen Zugriff mehr auf das Militär? Wer entscheidet dann? Da muss man losziehen, Fragen stellen und sich das vom Militär erklären lassen.“

Das geht im Ausnahmezustand?

Fröhder: „Die Führungspersonen des Militärs sind überraschend gebildete Leute, die auch über ein entsprechendes Selbstbewusstsein verfügen – zumindest ist das meine Erfahrung. Ich war bei den Kontakten meist angenehm enttäuscht, dass meine Vorurteile widerlegt worden sind. Die sind überraschend offen, wenn man weiß, wie man sie zu nehmen hat. Außerdem nimmt man sie in die Pflicht.“

Wie meinen Sie das?

Fröhder: „Die Militärs wissen sehr wohl, was Medien bedeuten. Wenn man sie zu Aussagen vor der Kamera bekommt, nimmt man sie in die Pflicht, nämlich beim Wort. Und wenn es heißt, die Armee und das Volk sind eins, dann will ich das von einem hochrangigen Offizier hören und dokumentieren. Sehr spannend ist, wie das Militär sich verhält. Die Leute dürfen auf die Panzer und diese sogar mit Anti-Mubarak-Parolen besprühen. Man muss doch herausfinden wollen, warum das möglich ist. Oder auch die Gemeinsamkeit von Christen und Moslems. Das ist doch hochspannend und ein wichtiges Signal für die Zukunft.“

Recherche statt Märchen!

Wie sind Sie inhaltlich mit den verbreiteten Informationen zufrieden?

Fröhder: „Ich kann mich nur wundern, was alles geschrieben wird. Beispielsweise über Omar Suleiman, den eingesetzten Vize von Mubarak. Die „graue Eminenz“ wird fast schon heroisch verklärt. Dabei gibt es genug Hinweise, dass Suleiman als Geheimdienstchef in Folterungen und andere Verbrechen direkt verwickelt war. Dem sollte man mal nachgehen, statt Märchen nachzuerzählen.“

Was würden Sie noch vor Ort berichten?

Fröhder: „Natürlich über die Opposition, die Hoffnungsträger. Das schützt diese Leute auch vor Übergriffen. CNN ist es beispielsweise problemlos gelungen, ein 40-minütiges Interview mit ElBaradei zu bekommen, obwohl der unter Hausarrest stand. Wie das? Die sind hingefahren und habens im Garten hinterm Haus gemacht. Was ich bei ARD und ZDF gesehen habe, waren dagegen Schnittbilder während einer Demo, mit begrenzter Aussage.“

Was meinen Sie?

Fröhder: „Fast nur so genannte Aufsager und kaum selbstrecherchierte, selbstgedrehte Geschichten. Da hat Antonia Rados bei RTL mit Bildern von improvisierten Lazaretten der Muslimbruderschaft mehr gezeigt. Solche Geschichten wären nach meiner Einschätzung in den vergangenen Tagen immer möglich gewesen.“

„Man muss kritisch einordnen.“ Christoph Maria Fröhder

Waren die RTL-Bilder über die Lazarette der Muslimbrüder nicht zu unkritisch?

Spezialgebiet: Kontinuierliche Beobachtung. Christoph Maria Fröhder. Bild: privat

Fröhder: „Doch. Natürlich versuchen die sich dadurch ans Volk ranzumachen. Das muss man kritisch einordnen. Man muss aber auch herausfinden, ob sie wirklich für einen totalitären Gottesstaat stehen oder nicht. Die Muslimbrüder waren lange verboten und die Frage ist, ob sie nicht eine gesellschaftliche Gruppe sind, die ihren Platz suchen und haben und darüber muss man zutreffend berichten. Vermutungen und Klischees sind immer das Gegenteil von Information.“

Welche Berichte würden Sie sich noch wünschen?

Fröhder: „Wo sind die Hintergrundstories über die jugendliche Elite? Die Studenten, die jungen Vordenker? Oder die vielen gut ausgebildeten Frauen? Auch hier gilt die Frage: Haben die Ideen, was aus Ägypten werden kann und soll? Sind sie organisiert? Stehen sie dem Land zur Verfügung? Man muss vernünftigen Leuten eine Stimme geben, die sonst bei den Bildern in der Masse untergehen. Und was passiert eigentlich draußen auf dem Land oder in anderen Städten? Ich sehe fast nur Bilder vom Tahrir-Platz.“

Folklore vs. Journalismus.

Vielleicht liegt es daran, dass man die nicht kennt?

Fröhder: „Ganz bestimmt sogar. Das ist etwas, was ich schon sehr lange kritisiere. Klar, es wird hier und da aus Nordafrika berichtet. Aber was? Folkloristisches Zeugs. Eine kontinuierliche journalistische Beobachtung über die kritische Entwicklung zur Gewaltherrschaft kann ich nicht erkennen. Man muss Kontakte halten und pflegen. Ohne die versteht man nichts und kommt auch nicht zu den interessanten Menschen.“

Wie informieren Sie sich zur Zeit?

Fröhder: „Über CNN, ABC, Al Jazeera, aber vor allem über die New York Times oder auch El Pais und Le Monde. Da gibt es großen journalistischen Ehrgeiz.“

Der Blogger Richard Gutjahr ist kurzentschlossen von Israel nach Kairo geflogen. Halten Sie das für journalistischen Ehrgeiz und eine gute Idee?

Fröhder: „Ich kenne Herrn Gutjahr nicht. Es könnte für ihn problematisch werden, wenn er niemanden kennt, kein Netzwerk hat. Für ihn sehe ich auch ein wirtschaftliches Problem. Für Zimmer, Fahrzeug, Dolmetscher müssen Sie mindestens 500 Dollar pro Tag rechnen. Dazu kommen Übertragungskosten. Das kann schnell ein finanzielles Abenteuer werden. Ansonsten ist es natürlich richtig, vor Ort zu sein, aber nur, wenn man weiß, was man will und wer die Abnehmer sind.“

„Man kann nicht aus dem Stand über komplexe Vorkommnisse berichten.“

Hätten Sie das gemacht?

Fröhder: „Ich bin nicht über die Verhältnisse von Herrn Gutjahr unterrichtet. Ich kann für mich nur sagen, dass ich es immer abgelehnt habe, im Schnellschußverfahren aus einem Land zu berichten, in dem ich zuvor nie gewesen bin, zu wenig Wissen habe und keine Kontakte. Ohne diese Voraussetzungen ist eine hintergründige und verlässliche Berichterstattung nicht möglich. Man kann nicht einfach aus dem Stand über sehr komplexe Vorkommnisse berichten.“

Wird man noch ernst genommen, wenn man solche Aufträge ablehnt?

Fröhder: „Wer nachdenkt, sollte ernst genommen werden. Der Mut, einen Auftrag abzulehnen, ist leider nicht sehr entwickelt. Viele denken, sie können alles. Das Ergebnis sehen wir gerade.“

Auch die Tageszeitungen haben offensichtlich niemanden vor Ort. Warum?

Fröhder: „Weil die nicht miteinander reden und kooperieren und keinen Sinn für spannende Berichterstattung haben. Wer hindert die großen Zeitungen daran, ein Team zu schicken, das Kontakte hat, sich auskennt und fundiert von vor Ort berichten kann? Die Kosten? Das ist lächerlich. Man begnügt sich mit Agenturmeldungen.“

Das Internet hat erkennbar an Bedeutung zugenommen.

Wie beurteilen Sie das Internet und seine Rolle für die Berichterstattung?

Fröhder: „Es hat erkennbar an Bedeutung zugenommen. Das gilt für Informationen von Akteuren vor Ort genauso, wie für die Online-Redaktionen und Blogs der großen Redaktionen. Allerdings ist gerade das Niveau sehr schwankend. Wenn ich zum Beispiel lese, dass der Chef eines großen Mediums einen Diktator wie Mubarak kumpelhaft als „der Bursche“ bezeichnet, sträuben sich mir die Haare. Man muss nicht versuchen, sich durch eine solche Sprache jungen Menschen anzudienen. Die fallen auf solche Plumpheiten nicht herein. Sorge habe ich vor den vielen Videoaufnahmen mit Handies. Sie sind – auch wegen ihrer schlechten Qualität – sehr leicht zu fälschen. Hier sollten Redaktionen sehr zurückhaltend sein und solche Bilder nur in Ausnahmefällen übernehmen.“

Links:

Christoph Maria Fröhder, wikipedia, tagesschau.de, Spiegel: „Lösegeld und süßer Tee“

Richard Gutjahr, Gutjahr’s blog

Al JazeeraLive-Übertragung

New York Times

El Pais

Le Monde

Krieg der Eitelkeiten

Netzwertig.de über den freien Korrespondenten Ulrich Tilgner, der das ZDF wegen „Bündnisrücksichten“ verlassen hat.

Netzwerk Recherche

Anmerkung der Redaktion:
Wir haben verschiedene Links auf wikipedia gesetzt, das wir selbst für die Recherche benutzen – aber niemals den dort angegebenen Informationen „trauen“, solange wir keine anderen Belege für diese Informationen recherchiert haben.

Die freien Journalisten Christoph Maria Fröhder und Hardy Prothmann sind Gründungsmitglieder von Netzwerk Recherche. Sie kennen sich seit 1996.