
Stefan H. wurde vom Mannheimer Landgericht zu sieben Jahren Haft wegen eines heimtĂŒckischen Mordversuchs verurteilt.
Heddesheim/Mannheim/Rhein-Neckar, 16. Februar 2012. (red/jt) Mit einem „Kragenschnitt“ rund um den Hals wollte der 29-jĂ€hrige Stefan H. seine Chefin töten. Gestern wurde er zu sieben Jahren Haft fĂŒr versuchten Mord und schwere Körperverletzung durch das Landgericht Mannheim verurteilt. Die Tat ist ensetzlich – das Opfer körperlich entstellt, ihre Seele krank.
Von Jörg Theobald
Es ist Dienstag der 07. Juni 2011. Stefan H. hat heute keinen Dienst hinter der Theke einer Ladenburger Gastronomie. Vermutlich wegen des dort herrschenden guten Klimas und des guten VerhÀltnises der Kollegen untereinander besucht er am Nachmittag seine Kolleginnen im Gastronomiebetrieb.
Im GesprĂ€ch kommt man auf das Thema Zierfische. Stefan H., selbst im Besitz zweier Aquarien, bietet seiner sehr an dem Thema interessierten Schichtleiterin an, ihr seine Aquarien am Abend zu zeigen. Da er weiĂ, dass sie Prosecco mag, bietet er ihr an, dabei zusammen ein GlĂ€schen zu trinken. Sein spĂ€teres Opfer sagt zu, Stefan H. verlĂ€sst spĂ€ter den Gastronomiebetrieb.
Kurze Zeit danach sagt seine Kollegin mit Hinweis auf den Geburtstag der Mutter ab. Bei ihnen ist es Usus, in den Geburtstag hinein zu feiern. Daher könne sie leider nicht kommen. Stefan H. antwortet knapp mit: âDas ist okay.â
Ahnungsloses Opfer
Was bis zum Abend passierte, ist nicht mehr genau nach zu vollziehen. Stefan H. schreibt seiner Schichtleiterin gegen 22 Uhr nochmals eine SMS, ob sie ihn nach Dienstschluss nach Hause fahren könne. Sein Auto springe nicht an. Das Opfer schreibt ebenfalls per SMS, dass das in Ordnung sei. SpÀtestens jetzt hat Stefan H. die spÀtere Tat beabsichtigt, so die Ansicht der Strafkammer.
Kurz nach Mitternacht fĂ€hrt die Schichtleiterin den Kollegen nach Hause, kurz vor der Ankunft bittet Stefan H. sie, umzukehren. Er habe seinen HaustĂŒrschlĂŒssel im Auto vergessen. Die beiden fahren zurĂŒck, Stefan H. holt etwas aus seinem Fahrzeug â was ist fĂŒr sein Opfer nicht zu erkennen.
Seltsames Verhalten
Erneut machen die zwei sich auf den Weg nach Heddesheim. Bereits wÀhrend der Fahrt verhÀlt sich Stefan H. sehr wortkarg und seltsam. Das Opfer versucht mehrfach sich mit ihm zu unterhalten. Aber schon jetzt reagiert Stefan H. kaum, spÀter wÀhrend der Tat spricht er dann kein einziges Wort.
Knapp 200 Meter vor seiner Wohnung bittet Stefan H. sein Opfer darum den Wagen anzuhalten und ihn rauszulassen. Die beiden verabschieden sich mit KĂŒsschen auf die Wange.
Ein „Kragenschnitt“ sollte die Kehle aufschlitzen
Im nĂ€chsten Moment zieht Stefan H. ein KĂŒchenmesser aus der Jacke, setzt dem noch angeschnallten Opfer das Messer an den Hals und zieht die Klinge von rechts nach links durch. UnwillkĂŒrlich weicht das Opfer zurĂŒck. Das rettet ihr nach Ansicht der SachverstĂ€ndigen das Leben. WĂ€re der 10 cm lange, sogenannte âKragenschnittâ 2-3 mm tiefer gewesen, hĂ€tte man die Blutung nicht mehr stoppen können.
Das Blut flieĂt in Strömen aus der massiv aufklaffenden Wunde. Das Opfer ist noch immer angeschnallt und vollkommen wehrlos. In Todesangst bricht die Frau in lautes, furchtsames Geschrei aus.
Kampf um ihr Leben
Mit einer âPsychofratzeâ sticht Stefan H. weiter auf sein Opfer ein. Schnitt- und Stichwunden an Kinn, Armen und Beinen sind die Folge. Verzweifelt versucht sich das Opfer in der dunklen, engen Fahrerkabine mit Tritten zu wehren. Stefan H. sticht ihr dadurch in die Wade, anschlieĂend verfĂ€ngt sich die Klinge im Gurt des Opfers.
Stefan H. reiĂt die Klinge zurĂŒck, vermutlich wird die Klinge dabei bereits gelockert. Er dringt weiter auf sein Opfer ein. Die junge Frau greift verzweifelt mit den HĂ€nden in die offene Klinge, irgendwie gelingt es ihr, das Messer festzuhalten. Die bereits gelockerte Klinge löst sich und Stefan H. hĂ€lt nur noch den Griff des Messers in der Hand.
Ohne das zu bemerken sticht er weiter auf sein Opfer ein. Das Opfer sagt spÀter aus, zu diesem Zeitpunkt habe er vornehmlich auf den Unterleib gezielt.
Durch das panische Geschrei des Opfers verunsichert und aus Angst entdeckt zu werden, verlĂ€sst Stefan H. schlieĂlich das Fahrzeug und entfernt sich in Richtung seiner Wohnung. Kurze Zeit spĂ€ter kehrt er zu dem Opfer zurĂŒck. In welcher Absicht ist nicht zu erkennen.
Panische Angst
Vermutlich durch das Geschrei flĂŒchtet Stefan H. erneut. Das Opfer verlĂ€sst aus Angst vor einer erneuten RĂŒckkehr des TĂ€ters den Wagen und lĂ€uft auf der Suche nach Hilfe blutĂŒberströmt und völlig aufgelöst ĂŒber die StraĂe.
Als erstes möchte ein junger Mann der Frau helfen, scheinbar aus Angst, es könne sich dabei um einen Freund des TĂ€ters handeln, der ihr noch weitere Gewalt antun will, weicht das Opfer zurĂŒck. Kurz darauf kommt eine Frau hinzu, gemeinsam wird ein herannahendes Fahrzeug angehalten. GlĂŒcklicherweise befindet sich unter den 4 Insassen ein als SanitĂ€ter ausgebildeter Mann.
Der TĂ€ter kehrt zurĂŒck
Wenig spĂ€ter treffen auch Polizei und RettungskrĂ€fte ein. Schaulustige sammeln sich auf der StraĂe. Auch Stefan H. kehrt erneut zurĂŒck und beobachtet als vermeintlich Schaulustiger das Geschehen.
Als das Opfer ihn erkennt und in Geschrei ausbricht, behauptet er:
âDie hat doch angefangen.â
Die Polizei nimmt ihn in Gewahrsam. Ein weiteres Messer, ein sogenanntes Springmesser, wird bei dem Verurteilten sichergestellt.
Grabesstille im Gericht
WĂ€hrend der Schilderung des Tathergangs durch den Richter herrscht Grabesstille im Raum. Das blanke Entsetzen steht den 23 Gerichtsbesuchern ins Gesicht geschrieben. Fassungslos schĂŒtteln viele den Kopf, vor allem die Frauen haben ihre Emotionen nicht im Griff, TrĂ€nen flieĂen.
Auch die Familie des Verurteilten ist geschockt, mit erstarrten Gesichtern schauen sie zur Anklagebank. Die Mutter des TÀters weint. Eine der beiden Schöffinnen hÀlt die ganze Zeit den Kopf gesenkt, ihr Gesicht ist gerötet und sie schnieft.
Auch Dr. Meinerzhagen, dem vorsitzenden Richter, einem hageren Mann mit schmalem Gesicht, ist das Entsetzen anzumerken. WÀhrend er den Tathergang schildert, rÀuspert er sich immer wieder, seine Stimme ist belegt.
Stefan H. schaut wÀhrend der ganzen Zeit angespannt und betroffen in Richtung Boden. Auch er kÀmpft mit seinen Emotionen, immer wieder zucken seine Mundwinkel nach unten.

ErschĂŒtternde Schilderungen der Tat waren hier im Sitzungssaal 1 zu hören.
„AuffĂ€llig unauffĂ€llig“
WĂ€hrend der Beweisaufnahme sagt Dr. Hartmut Pleines – Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut sowie Facharzt fĂŒr Forensische Psychiatrie â aus. Im Auftrag des Gerichts hat er ein Gutachten ĂŒber Stefan H. erstellt. Er beschreibt ihn:
âStefan H. ist auffĂ€llig unauffĂ€llig.â
Der Arzt trĂ€gt einen grauen Anzug, seine Stimme ist angenehm, weich und gleichmĂ€ssig. Stefan H. sei ein freundlicher, zugewandter Mensch. Stets höflich und aufgeschlossen, eine manipulative AttitĂŒde habe er nicht feststellen können.
AuffÀllig seien lediglich zwei Dinge. Zum einen der Konsum von psychotropen Substanzen. Schon seit dem sechzehnten Lebensjahr habe Stefan H. viele verschiedene Drogen konsumiert. Irgendwann kam auch Heroin dazu. Im Zeitraum von 2009 bis 2010 sei zudem eine geringe SuchtausprÀgung nachzuweisen. WÀhrend seiner Untersuchungshaft in der JVA habe er aber keinerlei Entzugserscheinungen gezeigt.
„Kaum Ecken und Kanten“
Daneben habe er ein âschlaff-apathisches Auftretenâ, er wirke aggressionsgehemmt und zeige kaum Durchsetzungswille. Auch zeige er fĂŒr sein Alter nur wenig Loslösung von seiner Familie. Insgesamt seien, und das ist aus Sicht des Gutachters fĂŒr das Alter ungewöhnlich, kaum âEcken und Kantenâ erkennbar.
WĂ€hrend der TatausfĂŒhrung stand Stefan H. unter dem Einfluss eines Opiats. Eine Konzentration von 44 Nanogramm/Milliliter habe man im Blut gefunden. Das sei, so der Gutachter, aber durchaus im therapeutischen Bereich und zudem seien als Wirkung eher MĂŒdigkeit, SchlĂ€frigkeit und geistige Abwendung zu erwarten. Aggressives Verhalten werde dadurch nicht begĂŒnstigt.
Die SchuldfĂ€higkeit des TĂ€ters beurteilte der Arzt als gegeben. WĂ€hrend der TatausfĂŒhrung haben, so der Gutachter, bei Stefan H. keinerlei seelisch-geistigen MĂ€ngel vorgelegen.
Leben voller Angst
âEr hat meine Seele zerstörtâ,
sagt das Opfer vor Gericht aus. Und:
Ich fĂŒhle mich entstellt.
Die junge Frau ist nicht dazu in der Lage, einer Arbeit nachzugehen. Das wird auch noch auf unbestimmte Zeit so bleiben. Seit der Tat kann die GeschÀdigte auch ihre Wohnung nicht mehr betreten, sie lebt zur Zeit bei ihrer Mutter.
Immer wieder hat die heute 33-jĂ€hrige Frau Panikattacken, Flashbacks an das Geschehen machen ihr zusĂ€tzlich zu schaffen. Die elterliche Wohnung kann sie alleine nicht verlassen, zu groĂ ist die Angst. Der Mordversuch hat ihr die Lebensfreude komplett genommen. Ihr Leben ist zerstört. Seit der Tat ist sie krank geschrieben – wie lange sie die Tat noch lĂ€hmen wird, ist nicht klar.
Auch in der Familie des TĂ€ters âsteht kein Stein mehr auf dem anderenâ, so der Strafverteidiger. Das einstmals harmonische Familienleben ist total zerrĂŒttet, die Eltern sind zutiefst erschĂŒttert. Unfassbar ist es auch fĂŒr sie, dass ihr Sohn sich zum Herren ĂŒber Leben und Tod aufgeschwungen hat.
HeimtĂŒckischer Mordversuch
Der vorsitzende Richter, Dr. Ulrich Meinerzhagen, begrĂŒndet nach der UrteilsverkĂŒndung wie die Hohe Strafkammer zum StrafmaĂ kam. Anzurechnen seien das straffreie Vorleben des TĂ€ters sowie das Tatnachverhalten. Hierunter fallen das volle GestĂ€ndnis und die freiwillige Zahlung von 20.000 Euro Schmerzensgeld.
Negativ lastete man Stefan H. an, dass die Tat vorsĂ€tzlich geschehen sei. Daran bestĂŒnde keinerlei Zweifel. Auch den Strafbestand der HeimtĂŒcke sah man als erwiesen an. Das noch angeschnallte und wehrlose Opfer habe zu keinem Zeitpunkt mit einem Angriff rechnen können.
Das von Stefan H. angegebene Motiv der Habgier sei zudem nicht haltbar. Er kenne die betrieblichen AblĂ€ufe. Ihm habe klar sein mĂŒssen, dass das Opfer die Tageseinnahmen nicht bei sich habe. Die Vorstellung, dass Stefan H. einen Mord fĂŒr den kleinen Geldbetrag in der Börse des Opfers begehen wollte, bezeichnete das Gericht als âabsurdâ.
Richter Meinerzhagen sagte weiter, dass man keinerlei anderes Motiv habe finden können. Daher mĂŒsse man davon ausgehen, dass er aus âniederen BeweggrĂŒndenâ gehandelt habe:
Der Angeklagte handelte in dem Bewusstsein, dass er kein Motiv fĂŒr diese Tat hatte.
AnschlieĂend schildert Richter Meinerzhagen detailliert den rekonstruierten Tathergang. Ăber eine Stunde fĂŒhrt er das Verbrechen genau aus. Stefan H. schaut wĂ€hrenddessen immer wieder zur Richterbank.
Die Frage nach dem „Warum“ bleibt unbeantwortet.
WĂ€hrend seines PlĂ€doyers verglich die Staatsanwaltschaft die Tat mit dem Film âPsychoâ, genauer mit der Messerszene unter der Dusche. Im Gegensatz zur GeschĂ€digten, habe das Opfer im Film aber noch die Möglichkeit gehabt, dem Angriff auszuweichen.
Das Opfer hat ein unfassbares Trauma erlitten. Das Wort Alptraum reicht hier bei weitem nicht aus, um das Geschehen verbal zu bezeichnen.
Auf Grund der hohen kriminellen Energie und dem Fehlen eines erkennbaren inneren Konfliktes forderte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe in Höhe von acht Jahren.
FĂŒr die Vertreterin der Nebenklage, Sabrina Hausen, war die Frage nach dem âWarumâ von Anfang an die einzige Besonderheit in dem Verfahren. Das Motiv war ihrer Meinung nach vollkommen unglaubhaft:
Hier liegt wohl ein anderes Motiv vor, fĂŒr das sich der TĂ€ter zu sehr schĂ€mt, um es offenzulegen.
Die freiwillige Zahlung der 20.000 Euro Schmerzensgeld, die man âirgendwie zusammengekratztâ habe, hĂ€tten nur eine Strafmilderung zum Ziel. Zudem seien weitere Zahlungen seitens des TĂ€ters eher ânicht zu erwartenâ.
Den Rechtsanspruch auf eine Strafmilderung durch den sogenannten âTĂ€ter-Opfer-Ausgleichâ erachtete die AnwĂ€ltin als nicht gegeben. Sie forderte insgesamt elf Jahre Haft fĂŒr den Angeklagten.
Rotlicht, Drogen, Spielhöllen
FĂŒr Verteidiger Steffen Lindberg war das unauffĂ€llige Leben seines Mandanten eine Maske. Man habe klare Hinweise, dass sein Mandant sich im Rotlicht-Milieu bewegte und hĂ€ufiger in Spielhallen verkehrte. Das habe viel Geld verschlungen. Zudem fĂ€rbe der Umgang mit den Menschen in einem solchen Milieu ab.
In einer Prozesspause sagte der Verteidiger Steffen Lindberg, fĂŒr ihn sei jedes Ergebnis im einstelligen Bereich ein Erfolg.
Der andere Verteidiger, Peter Slania, bezeichnete die Forderung der Nebenklage nach elf Jahren Haft als âunverschĂ€mtâ.
Mit sieben Jahren Haft und 40.000 Euro Schmerzensgeld blieb die Strafkammer deutlich unter diesen Forderungen.
„Unfassbar“, „nicht zu glauben“, „entsetzlich“ ist von den Zuschauern zu hören, die tuschelnd nach dem Urteilsspruch den Saal verlassen.
Stefan H. werden Handschellen angelegt und er wird abgefĂŒhrt. Da kein eindeutiges Motiv zu erkennen war, kann er dazu nicht therapiert werden – vermutlich muss er deshalb die sieben Jahre absitzen.
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