Freitag, 02. Juni 2023

50.000 Euro für den Feinschliff des Förderantrags

Metropolregion kommt EU-Mitteln näher

RegioWIN-Foto

Vertreter der Metropolregion Rhein-Neckar mit Minister Alexander Bonde bei der Prämierungsveranstaltung RegioWIN. Foto: Verband Region Rhein-Neckar

Rhein-Neckar, 16. Januar 2014. (red/pm) Der Förderantrag der Metropolregion Rhein-Neckar mit dem Titel „Smart Innovation, Smart Distribution and Smart Energy“ wurde bei der Vorausscheidung des Wettbewerbs „RegioWin“ in Stuttgart prämiert und hat somit die erste große Hürde genommen. [Weiterlesen…]

„Stuttgart 21 bremst die S-Bahn in der Region aus“

Guten Tag!

Rhein-Neckar/Stuttgart, 15. November 2011. In Stuttgart und anderswo streitet man sich auf allen möglichen Ebenen, Sinn und Unsinn, Kosten und Nutzen werden gegeneinander aufgewogen. Und natürlich ist der Großraum Stuttgart am meisten betroffen. Doch Stuttgart 21 hat schon jetzt konkrete negative Wirkungen in unsere Region. Und wenn Stuttgart 21 kommt, werden die Nachteile für uns vor Ort noch größer, sagt Michael Löwe, Experte des Fahrgastverbands Pro Bahn, im Interview. Am 27. November sind die Bürger zur Volksabstimmung aufgerufen.

Interview: Hardy Prothmann

Herr Löwe, hat Stuttgart 21 direkte Auswirkungen auf die Region Nordbaden?

Michael Löwe: Ganz sicher. Um das zu erklären, muss ich ein wenig ausholen.

Tun Sie das.

Löwe: Es gibt verschiedene Finanzierungstöpfe für Eisenbahnprojekte. Einer davon sind die sog. BSchwAG-Mittel (Mittel gemäß dem Bundesschienenwegeausbaugesetz, die zur Finanzierung der Projekte des Bundesverkehrswegeplans – BVWP – dienen). Wie alle Mittel können diese natürlich nur einmal ausgegeben werden. Es gibt etwa 80 BVWP-Schienen-Projekte mit einem Gesamtvolumen von etwa 46 Milliarden Euro. Rund 1,5 Milliarden Euro werden jährlich aus diesem BSchwAG-Topf ausgegeben. Die 5-600 Millionen Euro, die für Stuttgart 21 eingesetzt würden, fehlen dann natürlich bei anderen Projekten, beispielsweise der geplanten Neubaustrecke (NBS) zwischen Frankfurt und Mannheim.

„Die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim kommt nicht vor 2025.“

Das heißt konkret?

Bahn-Experte Michael Löwe - Privatfoto von einer Norwegenreise 2011: "Wir waren nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, das war toll."

Löwe: Es gibt einige Projekte, die aktuell im Gang sind, die bekommen das Geld zuerst, damit diese fertig gestellt werden können, beispielsweise Nürnberg-Erfurt bis 2017. Hier fließen also große Summen ab, die für andere Projekte nicht mehr zur Verfügung stehen. Dann werden Prioritätslisten neu erstellt und aktuell ist die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim aus der Prioritätsliste 1 in die zweite oder dritte Reihe gerutscht.

Aber die ersten Planungen laufen doch schon seit 1998?

Löwe: Richtig. Aber der Bundesverkehrsminister lässt aktuell das Projekt neu ausschreiben, dann müssen Pläne und Gutachten gemacht werden und das wird dauern.

Wann könnte diese für unsere Region wichtige Linie fertig sein?

Löwe: Im optimalen Fall bis 2023, eher aber 2025 und das nur, wenn alles wie am Schnürchen klappt. Berücksichtigen muss man dabei, dass dies ein relativ einfaches Projekt wäre, weil es nicht viele Tunnels braucht und das Gelände in der Ebene verläuft.

Hat Stuttgart 21 Einfluss darauf?

Löwe: Sicher, wenn Stuttgart 21 kommt, fehlen über mehrere Jahre mehrere hundert Millionen Euro. Die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim würde nach Schätzungen der Bahn gut zwei Milliarden Euro kosten, also viel mehr als in einem Jahresbudget für alle Bahnprojekte in Deutschland vorhanden ist. Und jeder woanders ausgegebene Euro fehlt hier, z.B. übrigens auch für die S-Bahn.

„Das Argument des Zeitgewinns  durch S21 ist regional gesehen Quatsch.“

Wieso die S-Bahn?

Löwe: Weil auch hier das Geld fehlt, beispielsweise für den Ausbau der Strecke Mannheim-Heidelberg, die zu 40 Prozent aus dem BSchwAG-Topf bezuschusst werden muss. Dieser Abschnitt wird für alle S-Bahn-Linien benötigt und muss drei-, bzw. viergleisig ausgebaut werden. Nur dann können z.B. die S-Bahn-Linien von Eppingen und Aglasterhausen wie geplant bis Worms, bzw. Mainz durchgebunden werden. Heute muss man in Heidelberg umsteigen und verliert Zeit. Das gilt übrigens auch für die Debatte um Stuttgart 21 und die Zeitvorteile.

Was meinen Sie?

Löwe: Das Argument der S21-Befürworter, der Bahnhofsumbau würde Zeitvorteile bringen, ist Quatsch. Diese könnte man jetzt schon haben. Man hat sie aber nicht, weil man in dem vorwiegend als Regionalbahnhof genutzten Hauptbahnhof kaum Regional-Züge „durchfahren“ lässt. Man muss umsteigen, hier wird die Zeit verloren. Würden die Züge ein- und weiterfahren, wäre ein ähnlicher Zeitvorteil zu gewinnen. Der einzig echte Zeitvorteil entsteht durch die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, doch überwiegend für Durchreisende in Richtung München. Der Umbau des Bahnhofs ist nicht entscheidend.

„Ich befürchte durch S21 eine deutliche Verzögerung für die S-Bahn Rhein-Neckar.

Nochmal zurück zur zweiten Ausbaustufe der S-Bahn. Befürchten Sie, dass die nicht kommt?

Löwe: Sie kommt, aber sicher nicht so, wie das viele behaupten. Die Bahnen fahren, aber die Frage ist, ob man durchfahren kann oder umsteigen muss. Das ist zeitrelevant. Der „Knoten Mannheim“, das Herzstück der S-Bahn rutscht auch durch S21 nach hinten bei den Prioritäten.

In einer aktuellen Umfrage haben wir die Bürgermeister im Wahlkreis 39 Mannheim befragt, ob S21 Vor- oder Nachteile bringt. Alle sagten, „keine Meinung, haben wir uns noch nicht mit befasst.“

Löwe: Das hängt wohl von der Perspektive ab. Sicher gibt es auf kommunaler Ebene keine direkten Verbindungen – aber im Gesamtzusammenhang schon. Und wenn Gelder für den Knoten Mannheim fehlen, ist die Leistungsfähigkeit der S-Bahn enorm eingeschränkt. Sie fährt, aber eben weit unter ihren Möglichkeiten. Wer das erkennen will, tut das, wer nicht, schaut weg.

Was kostet dieser Ausbau?

Löwe: Rund 213 Millionen Euro. 40 Prozent muss die DB Netz tragen, 60 Prozent werden übers Gemeindeverkehrswegefinanzierungsgesetz geregelt. Somit tragen dann Bund und Land 80 Prozent, Kreise und Kommunen 20 Prozent.

„Vielleicht ist man hier froh über die Verzögerung.“

Wie hoch ist der Anteil auf kommunaler Ebene konkret?

Löwe: Gut 42 Millionen Euro für Kreise und Kommunen – wenn die Finanzierung klappt. Wohlgemerkt nur für den Abschnitt Mannheim – Heidelberg, wobei nach einem komplizierten Schlüssel nicht nur die direkten Anlieger zahlen sollen, sondern auch die weiter entfernten, da die dort verkehrenden S-Bahn-Linien ja auch vom Ausbau Mannheim-Heidelberg profitieren.

Könnte das der Grund sein, aus dem die Kommunen gar nicht so traurig sind, wenn der Ausbau hier vor Ort nicht kommt, weil sie das Geld nicht haben?

Löwe: Das haben Sie jetzt vermutet. Man sollte dazu die Entscheidungsträger fragen. Ich vermute eher, dass man die S-Bahn schon will, aber über eine zeitliche Streckung ganz froh ist. Dass ein Ausbau stattfindet, wie jetzt der neue Haltepunkt „Arena-Maimarkt“ im Dezember 2011 ist unbestritten – aber er wird zusehends langsamer und ich befürchte durch Stuttgart 21 eine weitere, deutliche Verzögerung.

Wie ist die Haltung von Pro Bahn zu Stuttgart 21 und wie werden Sie abstimmen?

Löwe: Die Verbandshaltung ist klar gegen Stuttgart 21 und ich stimme auch für den Ausstieg. Gerade für unsere Region gibt es wichtigere Projekte und der Bahnhofsumbau bringt den Reisenden in der Großregion Stuttgart keine erkennbar wesentlichen Vorteile.

Zur Person:
Michael Löwe (57 Jahre) wohnt seit 16 Jahren in Weinheim, ist Diplom-Mathematiker und war von 1997-2007 Vorsitzender des Regionalverbands Pro Bahn Rhein-Neckar, einer Untergliederung von Pro Bahn Baden-Württemberg e.V..
Der gemeinnützige Fahrgastverband hat bundesweit rund 5.000 Mitglieder und findet durch seine konstruktive Zusammenarbeit und durchdachten Vorschläge zur Entwicklung der Bahn hohe Anerkennung.
Als Verband, der sich für die Verbesserung der Zugverkehre einsetzt, ist er politisch unverdächtig, eine Parteilinie zu verfolgen.

Lesetipp: Isenhart – spannender Mittelalterkrimi mitten unter uns


Spannend, nachdenklich, tiefgründig: Holger Karsten Schmidts Debütroman "Isenhart" ist ein Schmöker und ein nachdenkliches Buch. Quelle: KiWi

Rhein-Neckar, 15. September 2011. (red) Heute beginnt der Verkauf von Isenhart (Kiepenheuer&Witsch). Der Autor Holger Karsten Schmidt ist gebürtiger Hamburger. Die Idee zu seinem Roman ist in Mannheim entstanden. Vor mehr als zwanzig Jahren. Der erfolgreiche Drehbuchautor (Grimme-Preis 2010 für „Mörder auf Amrum“) legt einen mitreißenden Schmöker vor, der mehr als nur Unterhaltung ist.

Die Geschichte von Isenhart ist ein spannender und unterhaltsamer Krimi. Aber auch ein sehr nachdenkliches Buch. Der Konflikt zwischen freiem Denken und herrschenden Gewalten durchzieht die Handlung. Es geht um Verstand und Wissen, Liebe und Schmerz, Ehre und Verrat, Unterdrückung und Befreiung. Es geht um die Freiheit des Denkens und der Gefühle.

Die Schauplätze der Handlung reichen bis ins (damals sehr) ferne Toledo – die Kerngeschichte allerdings findet im Raum Rhein-Neckar statt. Die Handlung spielt im Mittelalter – doch das ist gar nicht so fern, könnte man meinen.

Von Hardy Prothmann

Ich warte schon seit über zwanzig Jahren darauf, endlich den „Isenhart“ erstens lesen und zweitens besprechen zu können. Im Sommerurlaub hatte ich dazu Gelegenheit mit einem „Vorabexemplar“. 816 Seiten, Hardcover, aufwendig gestaltet.

Irgendwann 1989 oder 1990 hat mir Holger Karsten Schmidt von Isenhart erzählt. Einem Mittelalter-Roman, den er schreiben wollte. Holger hat Isenhart geschrieben. Ab heute ist das Buch im Handel erhältlich.

Wir studierten damals Germanistik in Mannheim. In irgendeinem Seminar der Mediävistik stieß Holger auf das Adjektiv „isenhart“. Und dieses kleine Wort hat eine Geschichte in seinem Kopf in Gang gesetzt.

Holger hat schon damals viel geschrieben. Nein, eigentlich hat Holger immer geschrieben. Seit ich ihn kenne und davor – wenn er keine Schreibmaschine oder später einen Computer in der Nähe hatte, dann beobachtete er die Menschen und hörte, was sie sagten und überlegte, wie man das Erlebte in einer Geschichte dramaturgisch umsetzen könnte.

Viele Geschichten

Um über die Runden zu kommen fuhr er Taxi – da trifft man viele Menschen, hört viele Geschichten.

Isenhart ist nicht sein erster Roman, wohl aber der erste veröffentlichte, der den erfolgreichen Drehbuchautor mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem erfolgreichen Buchautor machen wird.

Die spannende Geschichte um Isenhart beginnt mit einem unerhörten Ereignis. Ein Kind wird geboren, verliert die Mutter und stirbt ebenfalls. Ein mysteriöser fremder Mann taucht auf und haucht dem Kind neues Leben ein. Ein weiterer Mann, Walter von Ascisberg, will das Kind töten, schafft es aber nicht und beschließt es Isenhart zu nennen, sofern der schwächliche Säugling den Winter überleben sollte. Es gibt eine Verbindung zwischen dem Fremden und Ascisberg und Isenhart – der Roman erzählt diese Geschichte spannend bis zum Schluss.

Isenhart erweist seinem Namen alle Ehre, nährt sich an der Brust einer fremden Frau und wächst fortan als Sohn eines trunksüchtigen Schmieds auf. Und er findet in der Burg der Laurins einen Freund, den Fürstensohn Konrad. Die Freundschaft der beiden wird immer wieder teils harten Prüfungen unterzogen. Konrad ist adelig, Isenhart ein Knappe, aber viel schlauer als der körperlich überlegene und vom Stand dominante Konrad.

Präzise und wortreich – herzlich und tödlich

Holger Karsten Schmidt porträtiert die ungleichen Charaktere sehr genau – seine präzise, wortreiche Sprache reißt den Leser mitten in die Abenteuer, die die beiden erleben. Man fühlt den Schmerz, die Verzweiflung, die Hoffnung. Verstand und Herz sind im Wettstreit. Der Verstand öffnet den Personen im Buch die Welt, das Herz umarmt sie. Immer, wenn das Herz fehlt, geht es grausam zu. Kalt. Tödlich.

Der erfolgreiche Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt (45) erzählt in seinem Debütroman das Abenteuer von Isenhart wortreich und präzise - die Spannung lebt in den Figuren und dem, was sie denken. Foto: Ira Zehender

Holger Karsten Schmidt ist mit Isenhart ein Schmöker im besten Sinne gelungen. Der Autor verzettelt sich nicht in verschwurbelten Beschreibungen und epischen Ausbreitungen. Schmidt erzählt eine spannende Abenteuergeschichte und treibt sie voran – die Rahmenhandlung ist ein Krimi.

Schmidt forder die Leser heraus

Ein grausiges Verbrechen geschieht – ein Unbekannter schneidet der Schwester von Konrad von Laurin das Herz heraus, nachdem er dem Mädchen zuvor die Brust abgetrennt hat. Dem jungen Isenhart wird brutal und unersetzlich seine erste und für lange Zeit einzige Liebe geraubt.

Dann wird die Burg der Laurins überfallen. Vermeintlich wegen einer rechtsmäßigen Fehde. Der Fürst Sigimund fällt im Kampf, seine Frau Mechthild vergiftet sich, viele werden gemeuchelt, Konrad lebensgefährlich verletzt. Isenhart rettet den Freund in letzter Sekunde – nachdem auch er einen Gegner erschlagen und einem anderen die Gurgel durchgeschnitten hat. Schmidt fordert die Leser heraus. Man muss viel Ungerechtigkeit ertragen und auf eine glückliche Wendung hoffen. Die kommt, aber nicht ohne Verluste.

Trotzdem strahlt das Buch eine Hoffnung aus, die man unbedingt lesen möchte. Seite um Seite.

Isenhart ist, obwohl ganz überwiegend flüssig und spannend zu lesen, kein einfaches Buch – wer sich auf die Gedanken des Autoren einlässt, spürt den existenzialistischen Einfluss des großartigen Philosophen Albert Camus. Nicht umsonst zitiert Schmidt den Dramatiker Victor Hugo am Ende des Romans. Der Autor verbirgt nicht, wer und was ihn beeindruckt. Er lässt uns Leser teilhaben an seinem Inneren. Und diese Offenheit ist die größte Stärke dieses Buchs.

Schauder über Schauer

Mitunter gibt es sehr eindringlich anmutende Gewaltschilderungen, die aber niemals den Eindruck erwecken, der Autor habe Spaß am Schock. Die erzählerischen und dramaturgischen Mittel würden einem Drehbuchautor Schmidt jederzeit ausreichen, die Gewaltszenen „auszuschmücken“. Doch als Romanautor tut er das nie. Er schildert gnadenlos nüchtern, wie brutal „Nahkämpfe“ nun einmal sind, wenn es um Leben und Tod geht und wie lebensbedrohlich aus heutiger Sicht „behandelbare“ Verletzungen im Mittelalter waren.

Wirklich schaudern machen einen dagegen eher die anderen Gewalten, die herrschen – die der Kirche und ihrer nahezu absoluten Macht, das freie Denken zu verbieten. Das ist weitaus brutaler.

Besonders stark ist der Roman in der Schilderung der Zwischenmenschlichkeit, da, wo Ruhm und Ehre eine untergeordnete Rolle spielen. Stand und Schönheit, Reichtum und Macht angesichts der Liebe und der Zuneigung, der Vertrautheit und des gemeinsamen Lebens zurücktreten müssen.

Die Geschichte von Isenhart ist die eines Mannes, der neugierig auf die Welt ist und sie ergründen will. Nicht einfach möchte, sondern ganz klar will. Immer wieder stößt er an Grenzen, die Kirche und Adel und die damalige Gesellschaft ihm teils schier unüberwindbar anmutend aufwerfen.

Gottesfurcht und Neugier

Holger Karsten Schmidt versteht sein Handwerk. Er ist ein geschickter Erzähler. Ein Vater-Sohn-Konflikt, die unerfüllte Liebe, die Sehnsucht nach Erkenntnis, die unbekannte Gefahr, die scheinbar ausweglose Situation und die glückliche Fügung – er bedient die dramatischen Momente des (Er-)Lebens gekonnt und stilsicher.

Wer den Autor kennt, erfährt ihn in dem Buch, wer ihn nicht kennt, lernt ihn kennen. So gegensätzlich Isenhart und Konrad nach Stand, Abstammung und Verstand sind – beide lernen den christlichen Glauben mittels Schlägen auf die Knöchel. Isenhart verliert später durch ein Urteil des Bischofs zu Spira einen kleinen Finger – eine glimpfliche Strafe angesichts der Tatsache, dass Konrad seine Familie wegen der Habsucht eines Abts verlieren musste.

Beide Protagonisten sind auf eine Art „gottesfürchtig“, aber auch beseelt – durch Anteilnahme und vor allem durch ihre charakterliche Entwicklung. Einer ihrer schlimmsten Gegenspieler ist die Religion – vor allem die christliche.

Liebe und Freundschaft vs. Gott und entzündete Därme

Holger Karsten Schmidt, der Anfang zwanzig, zu der Zeit, als ihm Isenhart in den Sinn kam, aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, lässt keinen Zweifel daran, wie kritisch er der Kirche als selbstherrlicher Verwaltungsinstitution des Glaubens und des daraus resultierenden Lebens gegenüber eingestellt ist. Den Bischof, der ständig Probleme mit einem entzündeten Darm hat, die vermutlich auf „Fingerübungen“ eines Ministranten mit Dreck unter den Nägeln zurückzuführen sind, lässt er dann später auch an einer Darmentzündung sterben.

Der Roman ist vor dem ekelhaften, bekannt gewordenen Missbrauch von katholischen Geistlichen an Schutzbefohlenen entstanden und thematisiert doch genau diese Vergehen wider die Menschlichkeit. So schlimm das anmutet, ist das große Thema des Buchs aber die Unterdrückung des Urteilsvermögens. Und der Kampf um die Kraft des eigenen Verstands, der bis heute durch Kirche und „Glauben“ in der Gesellschaft eine so große Rolle einnimmt. Und den Isenhart beharrlich führt, bis er erkennt, dass es nichts besseres auf dieser Welt zu wissen gibt, als Liebe und Freundschaft. Gott spielt dabei keine Rolle mehr.

Auch zum Ende des Buches, als das dramatische Finale durch ein „Gottesurteil“ entschieden wird, muss man sich fragen, was Gott damit zu tun haben soll.

Schmöker und Aufklärung

Obwohl Isenhart ein spannend zu lesender Schmöker ist, gelingt es Holger Karsten Schmidt seine Faszination für die Logik, für die Mathematik, die Philosophie und die Lust am Wissen, am Kennenlernen des Unbekannten immer wieder fast beiläufig einzustreuen. Auch über die Sprache, die wir selbstverständlich benutzen und doch oft nicht wissen, warum wir sagen, was wir sagen. Wer nicht weiß, warum man „alles ist in Butter“ sagt, wird ganz nebenbei „aufgeklärt“.

Man merkt dem Buch eine umfangreiche Recherche an – sehr genau werden viele Details des mittelalterlichen Lebens beschrieben, die teils seltsam, oft lustig, immer interessant und manchmal auch verwunderlich wirken. So mutet der Vollzug einer Hochzeit unter Beisein eines Geistlichen wie eine Live-Sex-Show auf der Reeperbahn an – allerdings ohne jeden Schmuddel. So gesehen war das Mittelalter unserer Zeit um einiges voraus.

Ob Isenhart und Konrad in Norditalien tatsächlich „Fäden aus Teig“ gegessen haben, wird der Autor nicht beweisen können – allerdings kann man nicht mit Sicherheit wissen, ob die Spaghetti nicht doch schon erfunden waren. Das Mittelalter ist wie die Zeit davor eine überwiegend mündlich tradierte Geschichte – viele Geheimnisse werden sich nie auflösen lassen, „Wissen“ wird alle Jahre durch neue Erkenntnisse ebenso neu definiert.

Schicht um Schicht

Isenhart ist kein Historienroman, sondern ein Krimi. Leider muss man kritisch anmerken, dass die Verlagswerbung vom „frühen Profiler“ im Mittelalter, der einen „Serienmörder“ überführt, reichlich zweifelhaft ist.

Isenhart ist kein „Profiler“, sondern einer, der seinen Verstand benutzt und dem oft der Zufall hilft – und mindestens genauso oft das Schicksal übel mitspielt. Und der angebliche Serienmörder tötet zwar in Serie – das macht ihn aber noch lange nicht zu einem Serienmörder. Letzlich ist er eine tragische Figur.

Ganz im Gegenteil gelingt es Schmidt das klassischste aller Dramenmotive, das Dilemma, gekonnt zu entwickeln, aufzubauen, Schicht um Schicht zu schürzen und letztlich ist der Knoten aus vielfältigen Verwerfungen des Lebens so dick, dass man ihn nur noch zerschlagen kann – mit Gewalt versteht sich. Als Leser ist man an dieser Stelle so weit, dass man das will und versteht – auch wenn die Folgen fürchterlich sind. Das Buch zwingt die Leser, Leid und im Mitleid Milde zu erfahren. So gerät die Kritik am Christentum zur christlichsten aller Handlungen. Ganz sicher schafft Holger Karsten Schmidt diese Entwicklung ohne jede Legitimation durch die Kirche.

Am Ende bleibt kein Held übrig, sondern viele. Und alles haben etwas verloren. Manche davon das wertvollste, was sie haben, ihr Leben.

Trotz aller Widrigkeiten

Es bleibt aber auch etwas übrig, das man als zutiefst christlich bezeichnen könnte, wenn man nicht die Abneigung des Autoren gegenüber der Kirche und ihrem unheilvollen Wirken deutlichst vorgeführt bekommen hätte: Die Hoffnung und die Liebe. Vertrauen und Freundschaft. Trotz aller Widrigkeiten des irdischen Lebens.

Mehr soll nicht verraten werden, denn das Buch will gerne gelesen werden.

Nach der Lektüre hoffe ich sehr, nicht noch einmal zwanzig Jahre auf den nächsten Roman warten zu müssen – Holger hat mir verraten, dass in seinem Kopf mindestens zwei weitere Bücher gerade entstehen. Auf die bin ich mehr als gespannt.

Man darf ebenfalls gespannt sein, wie der renommierte Verlag Kiepenheuer&Witsch seinen neuen Autor und das Buch voranbringen wird. Mittelalterkrimis sind neu für den Verlag und sicher ein Experiment. Mit Holger Karsten Schmidt als Autor geht der Verlag sicher kein Risiko ein – mit dem Stoff schon eher. Der ist neu für die Leserschaft. Doch nicht umsonst haben sich KiWi und Schmidt getroffen. KiWi hat einen seriösen Autoren unter Vertrag genommen, der weiß, wofür er steht. Verlag und Autor fordern die Kraft des Denkens heraus und die Lust am Lesen. Eine bessere Kombination ist kaum vorstellbar.

Holger Karsten Schmidt hat aus mittelalterlicher Sicht eine Abenteuerreise hinter sich: Der gebürtige Hamburger lebt im schwäbischen Asperg.

Zum Autor:
Holger Karsten Schmidt (Jahrgang 1965) ist in Hamburg geboren und aufgewachsen.

1989 hat er in Mannheim Germanistik und Politikwissenschaften studiert, 1992 abgebrochen, um in Ludwigsburg an der Filmakademie Drehbuch zu studieren.
Nach erfolgreichem Abschluss hat er dort ebenfalls unterrichtet. Mit „14 Tage lebenslänglich“ ist ihm 1996 der Durchbruch gelungen. Seitdem zählt er zu den renommiertesten Drehbuchautoren Deutschlands.

Der mehrfach preisgekrönte Autor wurde bereits fünf Mal für den Grimme-Preis nominiert. 2010 hat er ihn für „Mörder auf Amrum“ erhalten.

Isenhart erscheint im hochwertigen Hardcover am 15. September 2011 bei Kiepenheuer & Witsch, Köln. Preis: 19,99 Euro. ISBN: 978-3-462-04332-7

Ortskunde:
Isenhart wächst in der Burg Laurin auf, ziemlich genau da, wo der Autor Holger Karsten Schmidt mit seiner Frau Ira wohnt und lebt: Am Fuße der Festung Hohenasperg.

Walter von Ascisberg (Asperg) lebt in Tuttenhoven, heute bekannter unter dem Namen Dudenhofen, westlich von Speyer, das im Roman Spira heißt.

Das Kloster in Sunnisheim ist Sinsheim. Und Muhlenbrunn ist selbstverständlich was? Sie werden darauf kommen. Bruchsal ist Bruchsal. Weinheim ist Weinheim. Regensburg ist Regensburg. Das unbedeutende Dorf Mannenheim (damals 700 Einwohner) ist heute das Oberzentrum Mannheim. Cannstadt ist die Keimzelle des heutigen Stuttgart.

Helibrunna ist selbstverständlich Heilbronn. Worms und Mainz sind wie geheißen. Und Hammerburg ist der Geburtsort von Holger Karsten Schmidt, nämlich Hamburg.

Heiligster hingegen ist eine Erfindung von Schmidt, irgendwo in der Nähe von Heiligenstein am Rhein – um die Ecke vom Römerberg. Viel Spaß bei der Spurensuche. Es handelt sich um vereinzelt gelegene Höfe.

Transparenz:
Holger Karsten Schmidt und Hardy Prothmann sind seit über zwanzig Jahren Freunde im Geiste. Während des Studiums gab es intensive Kontakte, danach sah man sich „regelmäßig“ alle paar Jahre, telefonierte ab und an und blieb in Kontakt – das letzte persönliche Treffen liegt gut acht Jahre zurück.

Eine Frage der Kohle – in Sachen Pfenning ist noch alles offen

Guten Tag!

Heddesheim, 10. Dezember 2009. In Mainz sollten über eine Milliarde Euro in ein neues Kohlekraftwerk investiert werden. Der Stadtrat hat den Bau jetzt endgültig gestoppt.
Die Parallelen zu Heddesheim sind frappierend. Erst waren sich alle Parteien einig, dann stiegen die Grünen nach und nach aus. Die IFOK moderierte einen „Dialog“. Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, „Zukunftssicherheit“ lauteten auch hier die Argumente der Befürworter – gegen den begründeten Willen der Gegner kamen sie nicht an.

Kommentar: Hardy Prothmann

In Mainz und Wiesbaden dürfte die Meldung vom Stopp des umstrittenen „Kohleheizkraftwerk Ingelheimer Aue“ heute die Nachricht des Jahres gewesen sein. Fast fünf Jahre kämpften verschiedene Interessenverbände und Organisation gegen die Investitionsentscheidung in markanter Höhe: 1,2 Milliarden Euro wollte der Betreiber KWM AG in den Bau investieren.

Die Gemeinsamkeiten zu Heddesheim und Pfenning sind frappierend. Auch in Mainz wurde das Projekt ohne ausreichende Bürgerbeteiligung aufgesetzt. Auch hier sind die Argumente: Investition in die Zukunft, Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, „Umweltfreundlichkeit“, usw.

Als der Widerstand größer wurde – gab es einen „Gesprächskreis“. Moderator, die IFOK.

Auf der unternehmenseigenen Informationsseite der KMW AG zum Projekt: Die gleichen konzentrierten, adretten, nett lächelnden Mitarbeiter wie bei „Pfenning“. Es scheint, dass die IFOK-Beratung wie eine fertige Schablone für solcherart Websites dient, wo nur noch die Bilderchen und die immer gleich lobhudelnden Texte ausgetauscht werden.

kkw

Schöne Seiten für gute Stimmung - in Mainz ist das Geschichte. Quelle: KMW AG

Am 2. September 2008 „informiert“ die KMW AG per Pressemitteilung:

„Falsche Vermutungen werden nicht dadurch richtig, dass man sie einfach alle paar Monate wiederholt. Mit dieser Feststellung reagiert die Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG auf den neuerlichen untauglichen Versuch von externen Betriebswirten das geplante Kohleheizkraftwerk auf der Ingelheimer Aue künstlich schlecht zu rechnen. Bereits im März 2008 hatten gut zwei Dutzend Unterzeichner anhand von längst überholten und zwei bis drei Jahre alten Berechnungen versucht, die Wirtschaftlichkeit des Projektes in Frage zu stellen. (…)“

Ein Jahr später ist klar, dass die KMW AG das Projekt finanziell nicht stellen kann.

pfenning

Schöne Seiten für gute Stimmung - in Heddesheim noch offen. Quelle: "Pfenning"

Bei „Propfenning“ liest sich das im September 2009 so:

„Von den Projekt-Gegnern wurden immer wieder Unwahrheiten und falsche Gerüchte gestreut, um unser Unternehmen in Misskredit zu bringen. (…) Die oben zitierte unwahre Behauptung ist nur eines von vielen Beispielen, das die systematische Vorgehensweise der Projekt-Kritiker verdeutlicht.“

Die Verbindung der Zitate liegt im „angeblichen Schlechtreden“ durch die „Gegner“. Gar „systematisch“ sei das – das liest sich wie eine „Verschwörung“. Das Opfer: Die armen Investoren.

In Mainz ist das Projekt tatsächlich der politischen Klugheit geopfert worden. Dort hatten sich gemäß einer Forsa-Umfrage nur ein Drittel der Menschen definitiv gegen das Projekt ausgesprochen – Unsicherheit genug für die neue „Ampelkoalition“ aus SPD, FDP und Grünen, um in ihrem Koalitionsvertrag definitiv das Projekt zu beerdigen.

In Heddesheim hat sich die Hälfte der befragten Bürger gegen die „Pfenning“-Ansiedlung ausgesprochen. Im Gemeinderat fand sich eine dünne Mehrheit inklusive der Stimme des Bürgermeisters Michael Kesslers für den Bauvorentwurf. Eine abweichende Stimme im Lager der bisherigen Unterstützer hätte das Projekt zu Fall gebracht.

Ohne eine kritische Öffentlichkeit würde „Pfenning“ längst bauen.

Dabei haben die Befürworter so gut wie keine Fragen – sie winken jedes Gutachten einfach so durch, als könne man allem blind vertrauen. Sicherlich ist bis heute ein großer Teil gekränkte Eitelkeit daran Schuld – die CDU und die SPD haben bei den Wahlen enorm Federn lassen müssen, am Ende auch die FDP. Man ist halt einfach dafür. Und erst recht, weil die anderen dagegen sind. Basta.

Gewonnen haben bislang die Grünen – an Sitzen und an Vertrauen. Dieses muss sich die Öko-Partei aber nun durch Arbeit sichern – wollen sie Willen ihrer Wähler transparent machen.

Zur Zeit sind die Pläne und Gutachten auf dem Weg zu den zuständigen Behörden, die zur Stellungnahme aufgefordert werden. Ende Januar sollen nach Informationen des heddesheimblogs die Ergebnisse vorliegen.

Danach wird es noch einige Gemeinderatssitzungen geben und Zeit, die Bürger umfassend über die Risiken und Nachteile der Ansiedlung zu informieren. Bis hin zur Veröffentlichung der Unterlagen. Dann können die Bürger ihre Bedenken vorbringen. Die Bürger hierbei zu unterstützen, ist Aufgabe der Grünen.

Aber auch die anderen Parteien wären gut beraten, wenn Sie zeigten, dass sie nicht nur zum Abnicken da sind, sondern sich ebenfalls kritisch zum Wohl der Gemeinde mit dem Thema befassen.

Denn bislang sind alle Einschränkungen einzig ein Erfolg des öffentlichen Drucks: so das Versprechen, keinen Verkehr durch oder um den Ort zu lenken und keine hochgefährlichen Güter zu lagern (wie zuvor geplant) oder umfangreichere Öko-Massnahmen vornehmen zu wollen, als das Gesetz vorschreibt, .

Der wurde durch die IG neinzupfenning erreicht, die die Bürger mobilisieren konnte. Und durch die Grünen sowie einzelne Gemeinderäte, die den Druck aufgenommen und in den Gemeinderat getragen haben haben. Und durch die kritische Berichterstattung und Dokumentation hier auf dem heddesheimblog.

Ohne diese Kritik zum Wohl der Bürger und der Gemeinde Heddesheim würde „Pfenning“ ohne jede Auflage bereits heute schon bauen.

Wenn „Pfenning“ kommen sollte, was noch lange nicht sicher ist, dann zu Bedingungen, die das Beste für den Ort und seine Bürger herausholen. Wenn das nicht möglich ist, kann auch ein Projekt „Pfenning“ sicher gestoppt werden.

Dem geplanten Kraftwerk in Mainz ist buchstäblich erst die „Kohle“ und dann die Unterstützung ausgegangen. Vielleicht auch, weil eine Aktiengesellschaft transparenter informierten muss als eine GbR Phoenix 2010.

Mal sehen, ob man „Pfenning“ in ein paar Monaten noch zutraut, das Projekt finanziell krisensicher zu stemmen und einfach dem Versprechen glaubt, das dem so sei ohne eine einzige Information zu haben außer der, das Karl-Martin Pfenning ein „Familienunternehmer“ ist.

Das ein Richtungswechsel möglich ist, haben die Mainzer und hier vor allem die SPD mit ihrer Entscheidung deutlich gemacht.