Samstag, 01. April 2023

Zukunft es Schulstandorts Heddesheim/Hirschberg

Trend zur Gemeinschaftsschule?

Heddesheim/Hirschberg/Rhein-Neckar, 31.10.2012 (red/ld) Individualisiertes Lernen könnte die Zukunft fĂŒr den Schulstandort Heddesheim-Hirschberg sein. Die Gemeinden und die Eltern möchten die Schule vor Ort behalten. Angesichts der sinkenden SchĂŒlerzahlen in den Werkrealschulen ist aber fraglich, ob sie in dieser Schulform lange ĂŒberleben wird. Individuelles Lernen und die Umwandlung in eine Gemeinschaftsschule könnte eine Chance sein. Eltern und BĂŒrger sind skeptisch.

Von Lydia Dartsch

Der Trend der geschlossenen Werkrealschulen lĂ€sst sich nicht stoppen. Endrick Ebel vom Staatlichen Schulamt in Mannheim erklĂ€rt den etwa 40 Anwesenden am 24. Oktober in Heddesheim die Situation, wie sie ĂŒberall im Land anzutreffen ist:

Unsere Versuche, die Entwicklungen aufzuhalten oder umzukehren, sind gescheitert

Von ursprĂŒnglich 120 Werkrealschulen in der Rhein-Neckar-Region gibt es aktuell nur noch 80. Ebel spricht von einem Schulsterben (siehe Bericht vom 23.10.2012). Grund dafĂŒr ist zum Einen der demografische Wandel, durch den die SchĂŒlerzahlen seit 30 Jahren zurĂŒckgehen.

Zum anderen verstÀrkt die fehlende Grundschulempfehlung diesen Trend vor allem bei den Hauptschulen. Das Schulsystem entwickle sich von einem dreigliedrigen in ein zweigliedriges Schulsystem, hat Ebel beobachtet:

Es wird versucht, möglichst viele Abiturienten hervorzubringen.

So kĂ€men 35 Prozent der Abiturienten mittlerweile aus beruflichen Gymnasien, nachdem sie zuerst eine Realschule abgeschlossen hatten. Denn immer mehr Eltern meiden die Werkrealschulen: Der Ruf der Hauptschule und Zweifel an der GĂŒte der Mittleren Reife an einer Werkrealschule sind schuld daran. Zwar sollte es keinen Unterschied zwischen den Schultypen geben. Die Eltern erleben das aber anders und entscheiden sich deshalb lieber gleich fĂŒr die Realschule – oder das Gymnasium. In Heddesheim-Hirschberg gilt der Trend noch nicht. Herr Ebel befĂŒrchtet aber, dass es frĂŒher oder spĂ€ter auch die Karl-Drais-Schule treffen wird und sie geschlossen werden muss.

Lieber lÀnger gemeinsam lernen

Auch in Hirschberg gab es einen Informationsabend fĂŒr Eltern. BĂŒrgermeister Manuel Just sagte auf Anfrage, dass es ihm zuerst um die Einbindung der Eltern, SchĂŒler und Lehrer gehe. Er sei fĂŒr alle Möglichkeiten offen, also einerseits eine Gemeinschaftsschule mit Heddesheim, aber auch ohne die Nachbargemeinde. Und es könne sich auch herausstellen, dass nur noch die Grundschule in Hirschberg verbleibt: „Wir mĂŒssen alle Optionen vernĂŒnftig prĂŒfen.“ Aus seiner Sicht sei eine Gemeinschaftsschule sinnvoll, aber nicht um jeden Preis und nicht ohne solide Zukunftsaussichten. FĂŒr eine Gemeinschaftsschule mĂŒsse ein zuverlĂ€ssiges pĂ€dagogisches Konzept erarbeitet werden, eine MindestschĂŒlerzahl sei Voraussetzung. Der Vorteil seien das lĂ€ngere gemeinsame Lernen und ein Schulstandort vor Ort. An einer Gemeinschaftsschule könnten auch FĂ€cher wie Latein unterrichtet werden.
Durch den Wegfall der Grundschulempfehlung habe sich die Situation grundlegend verĂ€ndert, zur Zeit gebe es gerade noch genug SchĂŒler – aber die Tendenz sei klar, die SchĂŒlerzahlen werden schon in den kommenden Schuljahren nicht mehr fĂŒr eine Werkrealschule reichen. In Hirschberg nahmen rund 50 Personen an der Informationsveranstaltung teil.

Eine Gemeinschaftsschule könnte den Schulstandort Hirschberg-Heddesheim sichern, schlĂ€gt Ebel vor und berichtet aus seiner Erfahrung, dass die 42 Gemeinschaftsschulen in Baden-WĂŒrttemberg gerade einen SchĂŒlerzulauf erleben. Eine Karl-Drais-Gemeinschaftsschule wĂŒrde bedeuten, dass die Kinder entweder ab der ersten oder der fĂŒnften Klasse bis zur zehnten Klasse zusammen auf die Schule gehen, ohne Unterschied ihres Lernniveaus. FĂŒr die SchĂŒler in Heddesheim-Hirschberg hieße das, sie könnten dann weiter in den Gemeinden auf die weiterfĂŒhrenden Schulen gehen, ungeachtet ob sie Abitur, Mittlere Reife oder den Hauptschulabschluss machen.

Jedes Kind soll den bestmöglichen Abschluss erreichen, findet Ebel. Zwar gibt es weder Noten, noch bleiben Kinder sitzen. Es finden aber Leistungskontrollen statt, um festzustellen, wie schnell die SchĂŒler in dem jeweiligen Fach vorankommen. Entsprechend ihrer Leistungen wĂŒrden sie dann gefördert und sich in den letzten Schuljahren gezielt auf einen Abschluss vorbereiten. Nach der zehnten Klasse wechseln die AbiturschĂŒler in die zehnte Klasse des Gymnasiums und machen dort ihr (neunjĂ€hriges) Abitur.

Lieber lernen durch Erfolgserlebnisse

Alle SchĂŒler werden individuell gefördert. Sie gehen gemeinsam in eine Klasse ungeachtet ihres Lernniveaus. Rektor Jens Drescher hat auch schon eine Idee, wie das aussehen könnte. So hat er sich Anregung von der Schule BĂŒrglen, in der Schweiz, geholt, die ihre SchĂŒler seit einiger Zeit in LernbĂŒros unterrichtet. Der Film „Individualisierung – das Geheimnis erfolgreicher Schulen“ von Reinhard Karl zeigt wie es dort zugeht: Dort werden die SchĂŒler angeleitet, selbstĂ€ndig zu lernen, ohne den traditionellen Frontalunterricht.

Wer Fragen hat, kann Lehrer ansprechen oder MitschĂŒler und sich den Stoff erklĂ€ren lassen. In dieser „Lernlandschaft“, wie es die Schule nennt, arbeiten 64 SchĂŒler und 4 Lehrer gemeinsam an dem Stoff. Die Lehrer im Film zeigen sich begeistert, die Kinder lernten SelbstĂ€ndigkeit und kĂ€men mit der ArbeitsatmosphĂ€re gut klar. Es gebe weniger Störer und auch außerhalb der Schule weniger Randalierer.

Ein LernbĂŒro gibt es auch schon an der Karl-Drais-Schule. Er habe damit bisher gute Erfahrungen gemacht, erklĂ€rt Rektor Drescher und erklĂ€rt die Idee dahinter. Das bestehende System frustriere die SchĂŒler. Jeder SchĂŒler habe in der gleichen Zeit den gleichen Stoff zu lernen, sonst bleibt er sitzen und muss schließlich ein Schulniveau nach unten wechseln. Das GefĂŒhl, an dem Lernstoff und der Schule zu versagen, frustriere und macht ihnen keine Lust, zu lernen. Außerdem vernachlĂ€ssige das bestehende System, dass SchĂŒler unterschiedliche FĂ€cher unterschiedlich schnell lernen:

Das Kind kommt beispielsweise in Englisch gut mit, hat aber Schwierigkeiten in Mathe.

Die Kinder haben Erfolgserlebnisse in der Gemeinschaftsschule und sieht Rektor Drescher eine bessere Chance – fĂŒr alle SchĂŒler:

Lernen funktioniert nur durch Erfolg.

Das stĂ€rke das SelbstwertgefĂŒhl der SchĂŒler und ihre Motivation in die Schule zu gehen. Erste Schritte habe er bereits gemacht sagt er und zeigt sich begeistert von seinen Erfahrungen mit dem LernbĂŒro. Darin plane jeder SchĂŒler seine Lernziele individuell mit den Lehrern. Gleichzeitig finde eine kontinuierliche Elternberatung statt, in der die Lehrer RĂŒckmeldung ĂŒber die individuelle Lern- und Leistungsentwicklung ihrer SchĂŒler geben.

Versuchslabor Kind?

Gemurmel ist aus den Reihen der Eltern zu hören, als Drescher und Ebel vorschlagen, die Karl-Drais-Schule zur Gemeinschaftsschule umzuwandeln, mit Grundschule oder ohne. „Versuchslabor Kind“, ist als Kommentar zu hören. Die Anwesenden fragen nach:

  • Wie ist es mit der Lehrerausbildung?
  • Welche Lehrer unterrichten?
  • Richtet sich die Lehrerabdeckung nach den Grundschulepfehlungen?
  • Gibt es dann eine Bestandsgarantie fĂŒr die Gemeindeschule?
  • Was sind die Alternativen?

„Alles andere ist besser als so, wie es jetzt ist. Ich weiß nicht, wie sie es umsetzen wollen“, sagt Andrea Robers, ElternbeirĂ€tin. Eine andere Mutter ist begeistert:

Ich sehe das als Chance. Ich bin ein großer Freund von gemeinsamen Lernen.

Aber auch skeptische Stimmen sind zu hören: „Wir brauchen noch mehr Informationen. Wir können uns das kaum vorstellen, wie das funktioniert“, findet eine Besucherin und eine andere berichtet:

Mein Enkel macht gar nichts selbstÀndig. Den muss man immer erst anschubsen, damit er was macht.

Die Werkrealschule ist „angezĂ€hlt“

Es mĂŒssen Lehrer aller Schulen an einer solchen Gemeinschaftsschule unterrichten, antwortet Ebel. Um den Bedarf an Lehrern zu decken, wĂŒrden Stellen ausgeschrieben und die bestehenden Lehrer könnten in Fortbildungen an der neuen Lehrmethode ausgebildet werden. Bisher seien die Reaktionen von Lehrern und Eltern auf den Vorschlag gemischt, berichtet Drescher. FĂŒr die Option, an dem bestehenden festzuhalten, sieht Ebel aber keine Zukunft:

Wenn genĂŒgend SchĂŒler angemeldet werden, geht das. Noch ist das zwar der Fall. Aber meine Erfahrung zeigt, das hat keinen Sinn.

Eine Entscheidung ob die Gemeinschaftsschule kommt, soll es erst im Herbst 2013 geben. „Um die weiterfĂŒhrenden Schulen am Ort zu behalten, muss man sich frĂŒh auf den Weg machen, um ein Alleinstellungsmerkmal zu haben“, erklĂ€rt Ebel. Dazu mĂŒssen sich Eltern, Lehrer und die Stadt zuerst einigen und einen Antrag fĂŒr die Gemeinschaftsschule stellen. Dann brauche es etwa zwei Jahre Entwicklungszeit.

Im November soll daher zunĂ€chst eine Besichtigungsfahrt an eine bestehende Gemeinschaftsschule stattfinden. Im FrĂŒhjahr 2013 soll die Diskussion dann in die heiße Phase ĂŒbergehen und im Herbst zu einer Entscheidung aller Beteiligten fĂŒhren. Rektor Drescher hofft auf die Gemeinschaftsschule und auf Leben in den SchulgĂ€ngen:

Es tat mir als Schulleiter weh, als ich vor den Sommerferien durch die GÀnge gelaufen bin, und diese gÀhnende Leere gesehen habe.