Dienstag, 30. Mai 2023

„Ort der Kunst“ – „Kunst kommt von Leben“


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Ort der Kunst - Kunst des Ortes.

Guten Tag!

Heddesheim, 27. Oktober 2011. Die zehn ausstellenden Künstler des Heddesheimer Kunstvereins präsentierten am vergangenen Sonntag auch im zweiten Teil der Ausstellung „Ort der Kunst“ Heddesheim als Kunstort. Waren im ersten Teil noch die Künstler selbst in den Fotografien des Heddesheimer Fotografen Martin Kemmet Objekt der Kunst – abgelichtet in ihrer Schaffensphase – stellten sie jetzt ihre Kreativität in ihren Bildern, Skulpturen und Worten unter Beweis.

Von Sabine Prothmann

Die Künstler hatten den Auftrag, sich mit Heddesheim als Ort der Kunst auseinanderzusetzen. Das Experiment ist gelungen, die zehn Künstler und die Literaturgruppe überzeugten die gut 50 Besucher mit einer beeindruckenden Vielfalt.

Veronika Drop, Vorsitzende des Kunstvereins, begrüßte und zitierte den chinesischen Konzeptkünstler Ai Wei Wei mit den Worten „Ein Kunstwerk zu schaffen, das kein gewisses Unbehagen bei den Menschen erregt, oder schlicht ihre Gefühle verändert, ist der Mühe nicht wert. Das ist der Unterschied zwischen einem Künstler und einem Narren, …“.

Der Künstler Bernd Gerstner nahm die Besucher mit auf einen Rundgang durch den „Ort der Kunst“. Habe man bei dem ersten Teil der Ausstellung auf den Fotografien den Entstehungsprozess betrachten können, so stehe man heute den fertigen Arbeiten gegenüber.

„Kunst kommt von Leben“

„Kunst kommt von Leben. Wo man lebt, wie man lebt, mit wem man lebt. Das prägt unser Dasein und damit auch die Kunst, die aus uns entsteht“, sagte Gerstner.

Es sei nicht verwunderlich, dass sich ein großer Teil der Kunstwerke in Heddesheim den Scheunen und dem Tabak widme. Als ehemalige Tabakgemeinde hat dies Spuren hinterlassen.

Martine Herm – die ihre Bilder mit ihrem Mädchennamen Maiffret signiert – zeigt so auch in ihren Bildern Scheunen und Tabakpflanzen. Die Pflanzen scheinen nach unten zu verlaufen, sich aufzulösen, wie der Tabakanbau in Heddesheim verschwunden ist. Sie malt mit Acryl und Pastell auf ungrundierter Leinwand.

In ihrem Bild „Das Nichts über den Köpfen“ setzt sich die junge Künstlerin Caroline Przybyla mit Kirche und Religion auseinander. Ein Kreuz aus unzähligen Köpfen entstanden. Es ist in Acryl und aus Modellierpaste gearbeitet. Der Entstehungsort ist die katholische Kirche in Heddesheim, wie man auf der Fotografie von Martin Kemmet erkennen kann.

Albert Lurwig bezeichnet Gerstner als den experimentierfreudigsten Künstler der Gruppe. Über sein Bild „Lady abgefahren“ ist er mehrfach mit den Auto gefahren. Das war am Heddesheimer Vogelpark, damit ist der Bezug zu Heddesheim hergestellt, erzählt Gerstner und lacht.

Eine Ortschaft im Wandel

Auf dem Bild „Arbeit“ von Veronika Drop sieht man Bauarbeiter, die auf einer Baustelle im Neubaugebiet arbeiten. Ein weiteren Bild ist mit „Bevor die Bagger kommen“ betitelt. Die Landwirtschaft verschwindet. Veronika Drop fängt damit den Wandel der Ortschaft ein. Sie arbeitet mit Acryl und Eitempera.

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Die Skulpturen von Roland Geiger entstehen aus Altem, das er zu Neuem verarbeitet. Fundstücke werden in einen neuen Zusammenhang gestellt. So entsteht aus einem alten Amboss seine Skulptur „Stier“.

Roland Schmitt ist Schreiner und arbeitet auch als Künstler vor allem mit Holz. Seine Kunstwerke, die er ausstellt, sind Teile aus einer alten Scheune. Hier verarbeitet er seine Erinnerung an den Geruch und die Arbeit seiner Jugend. Da, wo er das Material aus der Scheune holt, fehlt es am Ursprungsort, ein Sinnbild für die Auflösung der Scheune.

Bernd Gerstner verarbeitet für seine Bilder viele verschiedene Erdsorten, Russ und Asche. Sein eines Bild zeigt die Dorfansicht von Heddesheim, in den Ecken hat er die Längen- und Breitengrade notiert. Im zweiten Bild erkennt man das Alte Rathaus – den „Ort der Kunst“ -, die notierten Zahlen sind die Einwohnerzahl und das Entstehungsjahr.

Scheunen und Tabak stehen auch im Mittelpunkt der Bilder des Künstlers Stefan Birker. Der Tabakbrunnen ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen.

Ort der Kunst – einzigartig und unverwechselbar

Das Bild von Irene Kunze zeigt den Torbogen auf dem Kreisel beim Gewerbegebiet. Sie arbeitet mit Acryl auf Leinwand und kombiniert dazu andere Materialien wie Granulat und Aluminiumplatten.

Indem sie die Kunst im Ort, die schon besteht, in ihr Bild aufgenommen hat, hat sie den Ort einzigartig und unverwechselbar gemacht.

Die Literaturgruppe mit Heidi Rei, Lioba Geier, Dörthe Klumb und Heide Raiser lasen aus ihrem Projekt „Bücherwelten“, das sie im Oktober 2010 in der Gemeindebücherei aufgeführt hatten. Und schlossen mit dem Satz „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Wort in uns“.
Die Ausstellung ist noch bis zum 27. November 2011 zu sehen. Öffnungszeiten: Sonntags von 14 bis 17 Uhr. Der Kalender zur Ausstellung kann im Fotoatelier bei Martin Kemmet erworben werden.

Viel Freude mit den Fotos:

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Auf den Spuren der Unbeugsamkeit


Das Mittelalter ist kein Epoche - es ist die menschliche Natur.

Guten Tag!

Heddesheim, 03. Juli 2011. Margret Wagener, Eva Martin-Schneider, Heide Raiser, Heidi Rei, Lioba Geier, Gudrun Libnau sowie die Acapellagruppe Aylin Can, Sophie Grossmann, Rita Rössling mit Eva Martin- Schneider befanden sich auf der Spurensuche unbeugsamer Frauen. Unter dem Titel „Starke Frauen – Verletzte Seelen“, durchstreifte die Heddesheimner Literaturgruppe mit Unterstützung der Acapellagruppe 2000 Jahre der Unbeugsamkeit von der Griechischen Antike bis zu einer fiktionalen Zeit 2050.

Von Sabine Prothmann

„Mittelalter ist keine Epoche es ist der Name der menschlichen Natur“, heißt es ganz zum Schluss bei der Szenischen Lesung auf dem Heddesheimer Dorfplatz am Mittwoch, 22. Juni 2011.

Schon im April 2010 hatte die Heddesheimer Literaturgruppe um die Schauspielerin und Regisseurin Eva Martin-Schneider gemeinsam mit dem Heddesheimer Kunstverein unter dem Titel „Hexen, Heiler und Sündenböcke“ dieses Stück aufgeführt. Doch die Aufführung am 22. Juni bekam durch das Ambiente des Dorfplatzes an der alten Scheune einen ganz besonderen Charme verliehen.

Gemälde und Skulpturen des Heddesheimer Künstlers Bernd Gerstner aus dem Zyklus „Verletzte Seelen“ gestalteten eindringlich den Platz vor der alten Tabakscheune.

100 Stühle wurden aufgestellt, doch sie reichen nicht aus für die Zuschauer, die sich mit auf diese Reise begeben wollen.

Die Darstellerinnen und der Chor sind in schwarzen Gewändern und dunkelrote Schals gekleidet. Die Atmosphäre ist fast gespenstisch, es erklingt „Menag Jamport Em“ von Djivan Gasparyan. Die Frauen bilden einen Kreis, Feuer zischt in einem Kessel. Vergangene Riten scheinen lebendig zu werden.

Das Publikum wird sofort in Bann gezogen.

Eine Zeitreise in die Unbeugsamkeit beginnt

Die Zeitreise beginnt mit „Antigone“ von Sophokles, die Ungehorsame, die ihren Bruder begraben hat. Sie stellt ihr Gewissen über das Gebot des König Kreon. Sie ist bereit dafür ihr Leben zu lassen. Die erste Unbeugsame in einer langen Reihe von unbeugsamen, starken Frauen.

Und führt weiter in die Zeit der Hexenverfolgung vom 14. bis zum 17. Jahrhundert. Hexen werden angeklagt und verurteilt. Es sind Frauen, wie Johanna von Orlèans, die verbrannt wurde oder Agnes Bernauer, die man ertränkte. Es sind Frauen, die stark und tapfer sind, die ihre Meinung äußern, die helfen und heilen oder einfach auch nur anders aussehen. Es sind „verletzte Seelen“.

Die Hexenprozesse werden durch das intensive Spiel der Literaturgruppe lebendig.

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Unkonventionelles Ambiente.

Es wird ein Auszug aus dem „Hexenhammer“ vorgelesen, ein Werk, das zur Legitimation der Hexenverfolgung im Jahre 1487 veröffentlicht wurde. Das geht unter die Haut.

13 Frauen werden ermordet

Dann der Sprung ins vergangene Jahrhundert, in die Zeit des Nationalsozialismus. Angst, Obrigkeitsglaube führte zur Denunziation. Zwischen 1933 und 1945 wurden im Gefängnis Plötzensee 2.891 Todesurteile vollstreckt, darunter Mitgliedern der Roten Kapelle. Am 5. August 1943 werden 13 Frauen am Plötzensee in Berlin ermordet.

Die Literaturgruppe stellt sechs Kurzbiografien, unter anderem auch die der Heidelberger Reformpädagogin und Widerstandskämpferin Elisabeth von Thadden, vor. Es sind Frauen aus dem Widerstand, es sind starke Frauen. Es sind „verletzte Seelen“.

Es dauert noch an

Die Zeit rückt immer näher, Hexenverfolgungen zwischen 1970 und 2010. Eindringlich werden Nachrichten aus Asien, Afrika und Südamerika vorgetragen. Tod, Krankheit, schlechtes Wetter und schon wird die Hexe ausgemacht. Die Verfolgung macht auch vor Kindern keinen Halt. Es ist die Hexenverfolgung der Gegenwart.

Die letzte Station der Zeitreise ist das Jahr 2050, die Protagonistinnen spielen eine Szene aus dem Theaterstück „Corpus Delicti“ von Juli Zeh.

Die Zuschauer werden mitgenommen in eine Gerichtsverhandlung gegen Mia Holl wegen methodenfeindlicher Umtriebe.

Der Staat kontrolliert das Individuum. Mia Holl hat sich schuldig gemacht, sie hat ihren Bruder geliebt, ihren Verstand gebraucht und sich versucht unabhängig zu machen. Sie hat sich den Kontrollsystemen der Gesellschaft verweigert.

Und es geht weiter?

Mia Holl wird als schuldig verurteilt. Sie soll eingefroren werden. Sie ist eine starke Frau und eine „verletzte Seele“.

Mit großer Intensivität spielen die Darstellerinnen ihre Rollen, eindringlich verkörpern sie die Frauengestalten. Es ist großes Theater, was hier auf dem Heddesheimer Dorplatz geboten wird.

Großartig sind auch die Musikstücke, die die einzelnen Zeitabschnitte verbinden. Die Acapellagruppe mit den Sängerinnen Aylin Can, Sophie Grossmann, Rita Rössling, Eva Martin- Schneider zeigt eine beeindruckende Leistung.

„Isabella“ von Corvus Corax und das Chorlied „Tourdion“ (französisches Sauflied von Pierre Attaingnant von 1530) umrahmen die Hexenverfolgung vom 14, bis 17. Jahrhundert. Das „Bürgerlied“ von Max Reger, das 1848 zur Revolution geschrieben wurde, führt zu der Zeit des Nationalsozialismus.

Spätestens mit dem jiddischen Lied „Doss Kelbl“ von Shalom Secunda (1940) gelingt es den Sängerinnen das Publikum völlig zu begeistern.

Mit der tschechische Volksweise „Dobra noc“ liefert der Chor noch einen fantastischen Abschluss.

Die Protagonistinnen bekommen frenetischen Applaus und beweisen einmal mehr, dass die Literaturgruppe um Eva Martin-Schneider auf hohem Niveau und unkonventionell arbeitet.

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