Dienstag, 30. Mai 2023

Gabi´s Kolumne: Sind wir Helden?

Guten Tag!

Heddesheim, 07. November 2009.

Sind wir Helden?, fragt sich Gabi. Etwa weil wir eine Kindheit ohne Fahrradhelme und Kindersitze überlebt haben? Weil Arznei- und Putzmittel noch keinen Sicherheitsverschluss hatten und es noch keine Handys gab? Ganz zu schweigen von Babyphon, Türschutzgitter und Steckdosensicherungen?

Als ich mein erstes Kind bekam tauchte ich gleich ein in einen Ozean der Gefahren. Nein, eigentlich schon in der Schwangerschaft wusste ich, dass Rohmilchkäse für das Ungeborene fast genauso gefährlich werden kann wie Alkohol oder Zigaretten.

Kaum hatte ich meinen Sohn im Arm wurde ich von allen Seiten – wenn ich es nicht schon im Ratgeber gelesen hatte – über die drohenden Gefahren aufgeklärt: Das Neugeborene durfte nicht auf dem Bauch schlafen, ich durfte keine Zwiebeln oder Schlimmeres essen, dann bekam mein Baby Koliken und auf Kaffee musste ich in der Stillzeit völlig verzichten. Bestimmte Schnuller gaben gefährliche Chemikalien ab und über den Sinn oder Unsinn von Impfungen konnte man stundenlang diskutieren.

Risiken für die Kinder – wie alt sie auch sind und wo sie auch sind…

Kaum war diese Neugeborenenphase überlebt, kam das risikobehaftete Kleinkindalter. Die Wohnung musste sicher gemacht werden. Riegel für Schranktüren, Treppenabsperrungen, Herdsicherung, um nur einiges zu nennen, mussten her, damit das Kleinkind gefahrlos durch die Wohnung krabbeln konnte – ich erinnere mich an ein Kinderbild von mir im Laufstall, aber das war pädagogisch ein absolutes „No go“ und es gab in dieser Zeit bestimmt genug Menschen, die rückwirkend Hersteller von Laufställen verklagt hätten.

Wenn Kind und Eltern das alles bis zum Kindergarten überlebt hatten, begann der Stress mit dem geeigneten Kinderrad nebst Tüv-geprüftem Fahrradhelm. Beim Elternabend wurden wir darüber informiert, welche Teufel sich in der Frühstücksbox verstecken können und wie gesundheitsschädlich, der von der Werbung angepriesene Kinderriegel, eigentlich war.

Spätestens jetzt wurden uns auch die Gefahren der Medienwelt bewusst. Brutale Zeichentrickfilme, Computerspiele, die schon Kleinkinder abhängig machen, führten uns direkt ins Einschulungsalter.

Auch hier lauerten tausend Gefahren: Der Schulranzen musste nicht nur hübsch, sondern er musste auch ergonomisch geformt sein, um spätere Haltungsschäden zu vermeiden. Der Schulweg sollte sicher, aber auf alle Fälle zu Fuß – Bewegung muss schließlich sein – begangen werden. Und immer wieder die Diskussion um die Pausenbrote.

Nach der Grundschulzeit verließ mein Sohn die Sicherheit Heddesheims und musste in die große Stadt zur Schule fahren. Über die dort lauernden Gefahren möchte ich gar nicht schreiben …

Ist es ein Fortschritt, vor allem Angst zu haben?

Dass wir unsere Kinder behüten und beschützen wollen, versteht sich von selbst. Dass bei dem heutigen Verkehr Fahrradhelm und Autositz nicht zu umgehen sind, kann man nicht abreden. Aber manchmal frage ich mich, wie viel Freiräume geben wir noch unseren Kindern und auch uns, die sie und wir brauchen, um erwachsen zu werden, Erfahrungen zu machen bzw. los zu lassen.

Ist unsere Welt so gefährlich geworden, dass unsere Kinder ohne Handy nicht mehr „unterwegs“ sein können? Da fragt man sich nur, wer behütet werden muss.

Und man fragt sich, worin eigentlich der Fortschritt begründet ist, wenn nichts mehr geht und alles angstbesetzt ist? Ist das nicht ein Rückschritt?

Vielleicht waren wir Helden, weil und wie wir unsere Kindheit überlebt haben – aber heutzutage bewachen wir manchmal zu ängstlich die Kindheit und Jugend unserer Kinder. Denn Angst war noch nie ein guter Begleiter durchs Leben.