Freitag, 24. MĂ€rz 2023

Kuhn-Nachfolge: GrĂŒne Bundestagskandidaten stellten sich vor

„Wir spielen nicht auf Platz!“

FĂŒnf Bewerber als Bundestagskandidaten (Dierk Helmken, Franziska Brantner, Rudolf Witzke, Caja Thimm und Jonas Jenis v.l.)

Schriesheim/Rhein-Neckar, 06. Juni 2012. (red/cr) FĂŒnf Kandidaten bewerben sich um die Nachfolge von Fritz Kuhn als Kandidat fĂŒr den Bundestag. Neben der Europaabgeordneten Franziska Brantner und der Spitzenkandidatin im letzten OB-Wahlkampf in Heidelberg, Caja Thimm, sind auch drei MĂ€nner angetreten.

Von Christian Ruser

Bei der Kreisversammlung  von BĂŒndnis90/Die GrĂŒnen im Schriesheimer Hotel zur Pfalz ging es um die Nachfolge von Fritz Kuhn. Von Heddesheim bis Heidelberg sind viele Parteimitglieder des Wahlkreises gekommen. Uli Sckerl ist sich ziemlich sicher, dass sich Fritz Kuhn im Oktober 2012 bei den OB Wahlen in Stuttgart durchsetzen wird. Deshalb möchten die Mitglieder möglichst bald einen neuen Kandidaten fĂŒr die Bundestagswahlen 2013 vorstellen.

Bereits bei der BegrĂŒĂŸung macht Sckerl klar, dass es nicht einfach nur um das Bundestagsmandat geht. Als eine GrĂŒne Region möchte er mehr:

Wir spielen nicht auf Platz.

Dies ist eine Kampfansage an die CDU und Karl Lamers.  Die GrĂŒnen wollen das Direktmandat und dies soll der am 18. Juli zu wĂ€hlende Kandidat holen. FĂŒr Sckerl ist es bezeichnend, dass sich bei den GrĂŒnen nicht nur ein Bewerber findet, sondern fĂŒnf Kandidaten mit unterschiedlichen Ideen antreten.

FĂŒr Europa in Berlin

Franziska Brantner hat drei wichtige GrĂŒnde zu kandidieren. Sie möchte fĂŒr Europa eintreten. Ihrer Ansicht nach werden in Berlin bald wichtige Entscheidungen dazu anstehen. Sie stimmt JĂŒrgen Trittin zu, dass Europa nicht zu retten sein wird, wenn nicht in Deutschland ein Umdenken in der Politik stattfindet. Die momentane Politik zwischen den Regierungen und am EU-Parlament vorbei ist nicht zukunftsfĂ€hig. Sie möchte eine kritische Debatte voranbringen.

Ein weiterer Punkt ist fĂŒr sie die Frauenpolitik – die soll gestĂ€rkt werden. Die gegenwĂ€rtige Familienpolitik ist ihrer Auffassung nach eine Antifamilienpolitik. Im Wahlkampf 2013 wird das einer der zentralen Punkte sein. Beispielsweise darf Kinderbetreuung nicht nur quantitativ, sondern muss auch qualitativ gesichert werden.

Auch mĂŒssedas Arbeitsleben an das Familienleben angepasst werden und nicht das Familienleben an die Arbeitszeiten. In den skandinavischen LĂ€ndern werde es von Arbeitgebern und Kollegen als ungewöhnlich empfunden, wenn ein Mann abends noch in der Firma, statt bei seiner Familie ist.

Die Interessen der Region möchte Frau Brantner in Berlin fĂŒr die Bergstraße vertreten. Hier will sie sich bewusst auf den Dialog mit der Basis vor Ort festlegen.

Verfilzung zwischen Politik und Wirtschaft

Dierk  Helmken war Staatsanwalt und Richter am Heidelberger Landgericht. Seit 47 Jahren lebt er  in Heidelberg. FĂŒr ihn sind aus vielen Themen zwei besonders wichtig.

Die wachsende soziale Ungerechtigkeit sei ein Problem, das die BĂŒrger direkt betrifft und gegen das dringend vorgegangen werden muss. Obwohl er bei seinem Vortrag, anders als seine Vorrednerin, stark auf sein Manuskript fixiert ist, hat er das Thema interessant gestaltet und arbeitet mit Polemik, so dass es, trotz blumiger Beispiele, interessant ist, ihm zuzuhören.

Ein weiterer Punkt ist die parlamentarische Demokratie. Er spricht von einer Verfilzung zwischen Politik und Wirtschaft. Dies mĂŒsse bekĂ€mpft werden. So fordert er, dass Politiker ausschließlich vom Staat bezahlt werden. Abgeordnete sollten ĂŒber ihre EinkĂŒnfte Rechenschaft ablegen mĂŒssen. Außerdem möchte er, dass Abgeordnete keine NebentĂ€tigkeiten wahrnehmen dĂŒrfen. Sie haben eine verantwortungsvolle Aufgabe und werden gut bezahlt. Der BĂŒrger kann erwarten, dass sich ein Abgeordneter mit all seiner Kraft fĂŒr seine Belange einsetzt.

SelbstverstÀndlich nimmt er sich selbst von diesen Forderungen nicht aus. Sollte er gewÀhlt werden,  möchte er nicht mehr als zwei Legislaturperioden wahrnehmen, da seiner Meinung nach Demokratie durch personellen Wandel lebt.

Die Rainbow ist das schönere Schiff

Jonas Jenis sieht sich als Pirat unter den Kandidaten. Mit seinem Slogan: „Hallo Piraten, die Rainbow ist das schönere Schiff“, möchte er Junge wĂ€hler ansprechen. FĂŒr ihn ist es ein deutliches Zeichen, dass die Piraten durch die Nutzung moderner Kommunikationsmittel, aber vielen LĂŒcken im Parteiprogramm so erfolgreich sein konnten.

Auch er ist der Meinung, dass es wichtig ist, als Bundestagsabgeordneter nur eine beschrĂ€nkte Zeit das Mandat wahrzunehmen, um nicht den Blick auf das wesentliche zu verlieren. Deshalb wĂ€ren fĂŒr ihn zwei Legislaturperioden das Maximum.

Als Volkswirt sieht er am Arbeitsmarkt deutlich die Diskriminierung von Frauen. Frauen seien am Markt weniger wert als MĂ€nner. Das kann sich Deutschland seiner Meinung nach nicht leisten. Dies ist fĂŒr ihn ein Problem, dem er entgegenwirken möchte.

Ein zentraler Punkt der grĂŒnen Politik und fĂŒr Jenis deshalb sehr wichtig, ist die ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Wohlstand sei endlich, und eine gute Ausbildung kein Garant mehr fĂŒr einen Arbeitsplatz.

Energiewende, ein grĂŒnes Thema

Mit fast 30 Jahren Erfahrung als grĂŒne Politikerin ist Caja Thimm eine erfahrene Kommunalpolitikerin. Als UniversitĂ€tsprofessorin fĂŒr neue Medien kennt sie sich auch mit wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen aus. Um mit den Konzernen auf Augenhöhe diskutieren zu können, ist es von Vorteil einen Kandidaten zu haben, der selbst aus der Wissenschaft kommt und deshalb mit den Themen vertraut ist.

Nachwievor ist ihrer Meinung nach die Energiewende politisch brisant. Sie ist aber das Leitthema von BĂŒndnis90/Die GrĂŒnen. Politik könne nicht mehr von oben gemacht werden, sondern mĂŒsse mit den BĂŒrgern erfolgen. Dies zeigt auch die Energiewende.

Auch stimmt sie mit Dierk Helmken ĂŒberein, dass die Frage der sozialen Gerechtigkeit auch von den GrĂŒnen thematisiert werden muss. Als Expertin fĂŒr neue Medien ist sie sicher,  das auch die GrĂŒnen ein Programm entwickeln mĂŒssen, um der digitalen Revolution zu begegnen.

Das von Uli Sckerl genannte Ziel fĂŒr BĂŒndnis90/Die GrĂŒnen, das Direktmandat zu holen, ist fĂŒr Caja Thimm auch eine persönliche Herausforderung. Im Heidelberger Stadtrat hatte sie schon oft mit Lamers zu tun und freut sich im Wahlkampf auf die Konkurrenz.

Europa rutscht zurĂŒck in die Krise und droht die Welt mit sich zu reißen

Rudolf Witzke ist sich sicher, dass die Europakrise auch Deutschland nicht kalt lassen wird. Merkels Politik ist aus seiner Sicht gescheitert. Deshalb benötigen die GrĂŒnen kompetente Abgeordnete die kompetente VorschlĂ€ge zu alternativen ökonomischen Konzepten entwickeln können.

Europa rutscht zurĂŒck in die Krise und droht die Welt mit sich zu reißen. Aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er hat man die Lehren nicht gezogen. Er rĂ€umt ein, dass ihm als Altenpfleger die wirtschaftlichen Kompetenzen nicht berufsbedingt nahe stehen. Privat beschĂ€ftigt er sich aber seit Jahren intensiv mit wirtschaftlichen Fragen und seine Meinung wird in Fachkreisen geschĂ€tzt.

Der wirtschaftliche Faktor ist fĂŒr ihn die zentrale Frage der Zeit. Die politischen PlĂ€ne der GrĂŒnen haben nur dann eine Chance, wenn die Krise durch Wachstumsimpulse abgewendet oder aufgehalten werden kann. Es sei nicht das Problem, dass es kein Geld gibt, sondern, dass die Deutschen mehr sparen, als wirtschaftlich vertrĂ€glich ist.

Was die Basis wissen will

Nach der Vorstellungsrunde folgen zwei Fragerunden, in denen sich die fĂŒnf Kandidaten den Fragen des Plenums stellen. Vor allem ist die Basis an der Bildungspolitik, an AbrĂŒstung und dem Kontakt zwischen Abgeordnetem und Wahlkreis interessiert.

Rudolf Witzke geht hauptsĂ€chlich auf die Frage der AbrĂŒstung ein. Er ist nicht gegen militĂ€risches Engagement, wenn es notwendig ist. Die deutsche Politik könne sich nicht heraushalten, wenn Entwicklungen aus dem Ruder laufen. Als Soziologe weiß er, dass ein Gewaltmonopol des Staats erforderlich ist.

Caja Thimm weiß als Professorin, dass Bildungspolitik ein Thema mit vielen Baustellen ist. Da es aber in der Hoheit der Landespolitik liegt, sieht sie Schwierigkeiten in den Kompetenzen.

Einsparpotential fĂŒr die Politik ist fĂŒr sie im BĂŒrokratieabbau und Ă€hnlichen Maßnahmen gegeben. Sollte sie als Abgeordnete in den Bundestag gehen, ist es fĂŒr sie sehr wichtig ein BĂŒro in der Region einzurichten, um den Kontakt zum Wahlkreis zu halten.

FĂŒr Jonas Jenis ist AbrĂŒstung kein Thema zum Geldsparen. Als Regierung habe man eine Verantwortung gegenĂŒber der Soldaten, die man in Krisenregionen schickt. Nicht nur im Einsatz, sondern vor allem nach dem Einsatz brauchen Soldaten Hilfe, das Erlebte zu verarbeiten. Hierauf ist die Bundeswehr nicht eingestellt. Seiner Meinung nach kann man Soldaten nicht guten Gewissens in Missionen schicken, weshalb er AbrĂŒstung befĂŒrwortet.

Bei der Bildung gebe es keine Patentlösung. Eine Ganztagsschule mag fĂŒr einige sozialschwache Kinder vorteilhaft sein, fĂŒr andere aber eine unangenehmer Zwang.

Der wirtschaftlichen Problematik möchte er gerne nach französischem Vorbild begegnen. Nicht kĂŒrzen ist die Lösung, sondern eine steuerliche Belastung der Vielverdiener und der Abbau von Subventionen.

FĂŒr den Wahlkampf hĂ€lt er sich nicht nur wegen seiner rhetorischen FĂ€higkeit, sondern auch wegen der UnterstĂŒtzung von Uli Sckerl gewachsen.

Bei Bildungspolitik denkt Dierk Helmken an eine neue Gesellschaftsform. Auch wenn dies in zwei Legislaturperioden nicht zu machen sein wird, mĂŒsse ein Grundstein gelegt werden. Seiner Meinung nach ist die Autonomie des Einzelnen wichtiger als Hierarchie. Diese DenkansĂ€tze mĂŒssten bereits bei der frĂŒhkindlichen Bildung vermittelt werden.

Hierzu sei es nötig, das Bild der Erzieherin zu stÀrken. Die Aufgabe der Kinderkrippe liegt nicht die Aufbewahrung von Kindern, sondern in der Erziehung zu jungen Demokraten. Dies sollte auch durch angemessene Löhne zum Ausdruck kommen.

Franziska Brantner will fĂŒr Europa in den Bundestag.

FĂŒr die Europapolitikerin Franziska Brantner ist AbrĂŒstung fĂŒr auch eine europaweite Frage. AbrĂŒstung beginnt unter anderem mit der AbrĂŒstung in den ExportlĂ€ndern wie Griechenland. Statt Armeen sollte mehr in die Entwicklung ziviler KonfliktprĂ€ventionen investiert werden.

Die momentane Wirtschaftskrise, davon ist Brantner ĂŒberzeugt, hĂ€tte nicht diese Dimensionen, wenn die Bankenaufsicht bereits vor zwei Jahren beschlossen worden wĂ€re. Die Spanische Krise hĂ€tte abwendet werden können.

Bildungspolitik ist fĂŒr sie auch auf der bundespolitischen Ebene zu fĂŒhren, auch wenn es unpopulĂ€r ist.

FĂŒr den Wahlkampf verspricht sie sich gute Grundvoraussetzungen. Durch ihre TĂ€tigkeit als Europaabgeordnete ist sie bekannt und hat gute Kontakte zu vielen Kommunen der Pfalz und der Bergstraße.

Nach interessanten Fragen endet der Abend. Den Anwesenden wurden fĂŒnf unterschiedliche Kandidaten prĂ€sentiert, die in vielen Punkten aber auch ĂŒbereinstimmen. Sicherlich können Franziska Brantner und Caja Thimm als Favoriten gesehen werden, doch auch die anderen Bewerber haben ihre Ernsthaftigkeit deutlich gemacht.

Wahrscheinlich wird es aber darauf hinauslaufen, dass sich die Basis fĂŒr den Kandidaten entscheidet, den man sich am besten am Rednerpult im Bundestag vorstellen kann.