Dienstag, 30. Mai 2023

Eine Studie gibt Einblick, welche Bürger protestieren und Beteiligung verlangen

Zeit, Wissen und eine gut gefüllte Kriegskasse

Die Bürgerinitiative zum Erhalt der Breitwiesen bei der Übergabe von mehr als 5.000 Überschriften. Der Lohn: Der Bürgerentscheid am 22. September 2013. Ganz links: OB Bernhard, Mitte: Fritz Pfrang.

 

Weinheim/Heddesheim/Ilvesheim/Ladenburg/Rhein-Neckar, 07. März 2013. (red/zef/tegernseerstimme.de) Egal, ob die aktuellen Debatte um den Neubau der Neckarbrücke an der L597 oder die Proteste gegen den Bau eines Logistiklagers der Firma Pfenning in Heddesheim oder die Auseinandersetzung um die Weinheimer Breitwiesen. Schaut man sich die Veränderungen der letzten Jahre in der Lokalpolitik an, wird eines offensichtlich: Es gibt vermehrt Protest. Die spannende Frage, die sich dahinter verbirgt: Wer sind die Bürger, die protestieren und was bezwecken sie? [Weiterlesen…]

Transparente Politik: Wie die kleine Gemeinde Seelbach anderen zeigt, was die Zukunft ist

Guten Tag!

Rhein-Neckar/Seelbach, 16. November 2011. Während sich die Bundesregierung seit kurzem scheinbar transparent gibt, gibt es sie bereits seit langem: Die echte Transparenz. Ein kleiner Ort im Schwarzwald macht vor, was andere nur vorgeben zu tun: transparente Politik. Die Gemeinde Seelbach überträgt, als wäre das eine Selbstverständlichkeit, die Gemeinderatssitzungen übers Internet. Einfach so. Und alle sind zufrieden.

Kommunalpolitik zuhause über den Bildschirm des Computers im Internet verfolgen – was vor zehn Jahren schier undenkbar schien, ist heutzutage kein Problem mehr. Zumindest technisch gesehen – in vielen Köpfen hingegen ist das noch eine „unerhörte“ Sache.

Weniger Zuschauer im Saal können es nicht werden.

Dabei ist die Zuschauerresonanz bei den Gemeinderats- und Ausschusssitzungen meist mehr als überschaubar. Häufig kommen gar keine Gäste.

Dabei ist das politische Interesse der Bevölkerung durchaus gegeben – aber zwei, drei Stunden, manchmal noch länger zum Schweigen verurteilt im Raum zu sitzen, dafür haben nur wenige Zeit. Dabei interessieren sich die Menschen für die Ortspolitik. Reden auf der Straße, in der Kneipe, im Freundeskreis über das, was sie aus zweiter, dritter, vierter Hand haben.

Viele Themen sind nicht wirklich spannend – andere dafür aber von großer Bedeutung.

Wer noch arbeitet, gerade müde nach Hause gekommen ist oder sich um die Kinder kümmern muss, kann eventuell den Sitzungstermin nicht wahrnehmen, würde sich aber gerne später anschauen, was verhandelt worden ist.

Transparenz gibt Antworten und vermeidet Spekulationen.

Wer will es aber dem eigentlich interessierten Bürger verübeln, sich den Weg ins Rathaus zu sparen, wenn Entscheidungen und Beschlüsse in den Medien nachzulesen sind? Aber berichten diese Medien wirklich vorbehaltlos? Haben sie wirklich alle wichtigen Informationen richtig übermittelt? Oder wird gerne was vergessen, was nicht „in den Bericht passt“?

Wer wirklich informiert sein will, kennt das Original und vergleicht das mit der „Übermittlung“ durch andere.

Wird jemand falsch oder nicht zutreffend zitiert? Wie soll man das wissen, wenn man nicht dabei war? Was sagen Bürgermeister und Gemeinderäte in den öffentlichen Sitzungen tatsächlich? Wer sagt was? Worüber und wie wird abgestimmt?

Alles live oder im Archiv abrufbar: Die Seelbacher Gemeinderatssitzungen werden bereits seit 2004 im Internet übertragen.

Eine Live-Berichterstattung kann den Bürgern all diese Fragen beantworten, ohne dass diese das Haus verlassen müssen – beispielsweise auch ältere Menschen, von denen immer mehr das Internet als Anschluss zur Welt schätzen lernen.

Widerstand kommt vor allem von den Gemeinderäten.

Die Betreiber lokaler Blogs und Internet-Lokalzeitungen kämpfen gegen viel Widerstand – gegen verstaubte Hauptsatzungen und viele Vorurteile lokaler Politiker. Einen (vorerst) weiteren, bedingt erfolgreichen Versuch, Lokalpolitik live ins Netz zu übertragen, gab es im September in Passau, wo einiger Wirbel um das Thema entstand.

Vor allem die SPD machte die Modernisierung zur Provinzposse – die SPD-Mitglieder wollten sich auf keinen Fall aufnehmen und zeigen lassen. So hätte die Übertragung mit jeder SPD-Wortmeldung unterbrochen werden müssen. Nachdem sich die SPD in Passau der Lächerlichkeit preisgegeben hat, hat man sich besonnen und ist nun doch „auf Probe“ einverstanden, wie der Bayerische Rundfunk berichtet.

Engagierte Schüler und 5.000 Euro Budget fürs Bürgerfernsehen.

Es geht aber auch anders, wie eine kleine Gemeinde im Schwarzwald zeigt. Unter dem Titel Seelbach-TV überträgt die Gemeinde Seelbach bereits seit 2004 alle Gemeinderatssitzungen ins Netz und bietet sie anschließend lückenlos zum Download übers Internet an.

Das Gesamtbudget dafür beträgt vergleichsweise günstige 5.000 Euro pro Jahr. Acht bis neun Schülerinnen und Schüler der örtlichen Realschule führen in wechselnden Teams zwei Kameras und bedienen die sonstige Technik. Die Fachhochschule Kehl betreut das Projekt als Partner.

In den Sitzungen haben wir nie so viele Zuschauer, sagt Pascal Weber.

Hauptamtsleiter Pascal Weber ist begeistert: „Aus unserer Sicht ist das Projekt ein toller Erfolg.“ Das zeigen die „Einschaltquoten“ der 5.000-Einwohner Gemeinde: mehrere Dutzend bis weit über 100 „Zuschauer“ hat das Bürger-TV in Seelbach. Regelmäßig.

Rechnet man diese Zahlen hoch, wären das beispielsweise für Hirschberg an der Bergstraße 60-180 Besucher pro Sitzung, für Ladenburg 70-200, für Weinheim 250-720 Besucher. Tatsächlich nimmt in Hirschberg oft niemand, manchmal wenige und sehr selten vielleicht ein Dutzend Besucher teil. Der aktuelle Besucherrekord in Weinheim war 2011 im Oktober mit rund 130 Zuschauern zum Aufregerthema „Breitwiesen“ – sonst sind ein paar bis höchstens ein Dutzend Zuschauer die „Höchstgrenze“ an Interesse.

SeelbachTV.de - Transparenz als Normalzustand.

Die Skepsis war schnell vorbei.

Gab es keine Bedenken? „Doch“, sagt Hauptamtsleiter Weber:

Zu Beginn waren rund ein Drittel unserer 18 Gemeinderäte skeptisch. Was wenn ich stammle oder blöd wirke, so in der Art waren die Bedenken. Aber nach den ersten paar Sitzungen hat sich die Skepsis gelegt und seitdem achtet keiner mehr auf die Kameras. Die gehören dazu.

Wer denkt, Seelbach ist vielleicht ein Ort, den „Aktivisten“ übernommen haben, irrt. Seelbach ist eine absolut typische Gemeinde. Die CDU stellt sieben, eine Freie Wählerliste sechs und die SPD fünf Gemeinderäte – die meisten sind zwischen 50 und 60 Jahre alt.

Rechtlich abgesichert.

Rechtlich ist die Übertragung abgesichert: Alle Gemeinderäte und Verwaltungsangestellte haben ihre Zustimmung erklärt und Bürger werden in der Fragestunde um Erlaubnis gebeten: „Da hat noch nie einer widersprochen“, sagt Pascal Weber. Und laufen die Sitzungen anders als sonst? „Überhaupt nicht, die Gemeinderäte sprechen ihr breites Badisch und diskutieren die Themen wie immer.“

Seelbach ist insgesamt ein anschauliches Beispiel, wie transparente Lokalpolitik aussehen kann. Auf der Gemeindeseite werden die Beschlussvorlagen zu den Gemeinderatssitzung schon im Vorfeld veröffentlicht (inkl. aller Zahlen und Fakten) und auch die Sitzungsprotokolle stehen nach den Sitzungen schnell und dauerhaft online zur Verfügung.

Das sind traumhaft transparente Zustände – im Vergleich zu dem Großteil der Kommunen im Land ist Seelbach hier Spitzenreiter. Universitätsstädte wie Heidelberg sind dagegen altbacken – hier wurde Ende 2009 eine Live-Übertragung aus dem Gemeinderat per Beschluss verhindert.

Teilhabe erfodert auch mehr Transparenz der Entscheidungen.

Und wie traurig sind die Zustände in Nordbaden, unserem Berichtsgebiet: Pfenning in Heddesheim, der Sterzwinkel in Hirschberg und aktuell „Breitwiesen“ in Weinheim sind drei absolute Negativbeispiele. Intransparente Entscheidungen am Bürger vorbei präg(t)en diese „Vorhaben“. Vieles wurde im Hinterzimmer entschieden, nicht-öffentlich und es ist kein Wunder, dass die Menschen alle Formen von Klüngel mutmaßen.

Der Forderung nach Transparenz und Bürgerbeteiligung steht die Realität gegenüber. Hier vor Ort werden so viele Themen wie möglich sogar bevorzugt „nicht-öffentlich“ verhandelt.

Wer das ändern möchte, kann sich an den Gemeinderat seines Vertrauens wenden und nachfragen, wie lange das noch mit der Geheimniskrämerei weitergehen soll und ob man nicht endlich bereit ist, im 21. Jahrhundert anzukommen und sich das Interesses und die Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger zunutze zu machen.

Mehr zum Thema gibt es auf dem Politblog [x Politics]. Dort geht es um Trends und Bewegungen, die fernab der parteipolitischen Tagesagenda die gesellschaftliche Zukunft gestalten und verändern.

Anmerkung der Redaktion:
Der vorliegende Artikel ist eine überarbeitete Fassung. Das Original wurde von der Tegernseer Stimme im bayerischen Gmund veröffentlicht, die ein ähnliches Lokalzeitungsnetzwerk betreibt wie unser Angebot. Der Geschäftsführer der Lokalen Stimme, Peter Posztos und Hardy Prothmann, verantwortlich für dieses Blog, betreiben zusammen die Firma istlokal Medienservice UG (haftungsbeschränkt), deren Geschäftsziel der Aufbau von unabhängigen Lokalredaktionen zur Förderung der Meinungsvielfalt und Demokratie ist.

Unter istlokal.de sind bislang rund 50 lokaljournalistische Angebote in einer Arbeitsgemeinschaft organisiert. Die Lokaljournalisten tauschen über weite Strecken hinweg Themen und Erfahrungen aus, die woanders vor Ort ebenfalls wichtig sind. Dabei nutzen sie das „weltweite Netz“ heißt, um vor Ort kompetent, interessant, aktuell und hintergründig zu informieren.

Der Widerstand gegen die Breitwiesen-Bebauung geht weiter – Gegner planen „kassierendes“ Bürgerbegehren – die Zeit tickt

Darum gehts: Links in rot liegt das Gewann Breitwiesen. Hier soll Amazon ein riesiges Logistikzentrum planen. Rechts daneben liegt das Gewann Hammelsbrunnen, dessen Flächentausch der Gemeinderat am 19. Oktober 2011 beschlossen hatte. Bild: blogspot.breitwiesen.com

Weinheim, 04. November 2011. (red) Am 19. Oktober 2011 hat der Gemeinderat mehrheitlich den Flächentausch Hammelsbrunnen-Breitwiesen beschlossen. Die Gegner der Bebauung lassen nicht locker und haben nun ein Bürgerbegehren gestartet. Eine schwierige Aufgabe. Zudem ist unklar, ob überhaupt ein Bürgerbegehren möglich ist – spannend wird hierzu die Haltung der Verwaltung sein. Sie müssen innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses genau 2.500 Stimmen sammeln. Es gibt viele Gerüchte – hier sind die Fakten.

Auf einer Pressekonferenz am Freitagmorgen gaben die Vorsitzenden des Bauernverbands, Fritz Pfrang und Karl Bär, sowie die Stadträtinnen Elisabeth Kramer (GAL) und Susanne Tröscher (CDU) und der Stadtrat und Landtagsabgeordnete Uli Sckerl (Bündnis90/Die Grünen) ihre Entscheidung bekannt.

Der Text des Bürgerbegehrens lautet:

Bürgerbegehren „Schützt die Weinheimer Breitwiesen“
Antrag:
Die Unterzeichnenden beantragen einen Bürgerentscheid über die Frage:
Sind Sie dafür, dass im Bereich „Breitwiesen“ die Ausweisung von Gewerbeflächen unterbleibt?
Begründung:
Der Gemeinderat der Stadt Weinheim hat sich am 19. Oktober 2011 für eine Änderung des Flächennutzungsplans ausgesprochen. Dadurch sollen im Bereich „Breitwiesen“ im Wege der Verschiebung von Gewerbeflächen wertvolle landwirtschaftliche Anbauflächen in Baugelände für gewerbliche Ansiedlungen umgewandelt werden. Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung, auf Stadtbild, Umwelt und Klima sowie für die Zukunft unserer Landwirte. Wegen dieser erheblichen Bedeutung soll die Entscheidung mittels eines Bürgerentscheids von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Weinheim getroffen werden.
Kostendeckung gem. § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO: entfällt. Die Unterzeichnenden berechtigen die unten genannten Vertrauenspersonen, das benannte Bürgerbegehren zu vertreten und im Falle eines Kompromisses zurückzunehmen oder abzuändern, soweit dies für die Zulässigkeit erforderlich ist. Des Weiteren werden alle zukünftigen Unterzeichner des Bürgerbegehrens berechtigt, die auf dieser Liste bereits eingeschriebenen Daten einzusehen.

Das Bündnis gegen die Breitwiesen-Bebauung ist also überparteilich besetzt und wird von den Juristinnen Ingrid Hagenbruch und Andrea Reister unterstützt (bekannt aus dem „Bündnis für Weinheim“).

In einer ersten Unterschriftenaktion hatten die Breitwiesen-Gegner bereits knapp 2.000 Unterschriften als Protestnote gesammelt. Diese gelten nicht mehr – die erforderlichen 2.500 Unterschriften müssen neu auf den Listen zum Bürgerbegehren geleistet werden.

Sollte dies gelingen, kommt das Bürgerbegehren als Tagesordnungspunkt in den Gemeinderat. Der entscheidet über die Zulässigkeit. Wird diese bestätigt folgt ein Bürgerentscheid, bei dem 25 Prozent der wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner ihre Stimme abgeben müssen. Ist dies der Fall, entscheidet die jeweilige Mehrheit über das Ergebnis auf eine „Ja/Nein“-Frage. Wird die Mehrheit nicht erreicht, trifft der Gemeinderat die letztgültige Entscheidung.

Überschrift der Unterschriftenliste für das Bürgerbegehren gegen die Breitwiesen-Bebauung

Fraglich ist, ob das Bürgerbegehren zulässig ist. Würde es es sich um einen „klassischen“ Aufstellungsbeschluss handeln, wäre die Frage entschieden. Gegen einen solchen kann nach Auffassung des VGH Mannheim (Urteil „Rheinstetten“) nach der Gesetzeslage kein Bürgerbegehren und auch kein Bürgerentscheid stattfinden.

Hier gilt eine so genannte „Negativliste“.

§ 21
Bürgerentscheid, Bürgerbegehren

(1) Der Gemeinderat kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, dass eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist, der Entscheidung der Bürger unterstellt wird (Bürgerentscheid).

(2) Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über

1. Weisungsaufgaben und Angelegenheiten, die kraft Gesetzes dem Bürgermeister obliegen,
2. Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung,
3. die Rechtsverhältnisse der Gemeinderäte, des Bürgermeisters und der Gemeindebediensteten,
4. die Haushaltssatzung einschließlich der Wirtschaftspläne der Eigenbetriebe sowie die Kommunalabgaben, Tarife und Entgelte,
5. die Feststellung des Jahresabschlusses und des Gesamtabschlusses der Gemeinde und der Jahresabschlüsse der Eigenbetriebe,
6. Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften sowie über
7. Entscheidungen in Rechtsmittelverfahren.

Man darf gespannt auf die Haltung von Oberbürgermeister Heiner Bernhard sein. Der hatte die Unterschriftenleister als „schlecht informierte Bürger“ betitelt, die „gar nicht gewusst haben, was sie da unterschreiben“ – aus Sicht der Gegner eine „Unerhörtheit“, wie Elisabeth Kramer betont.

Sicherlich wird rechtlich von der Stadt geprüft werden, ob der „Aufstellungsbeschluss“ zu einer Änderung des Flächennutzungsplans gleichbedeutend mit einer „Bauleitplanung“ ist. In der Zusammenfassung nennt die Stadt den Beschluss „Aufstellungsverfahren“ und stellt den Sachverhalt so dar:

4. 8. Änderung des Flächennutzungsplans zur Vollziehung einer flächengleichen
Verschiebung gewerblicher Bauflächen vom Gewann „Hammelsbrunnen“ am
Kreiskrankenhaus in das Gewann „Breitwiesen“ nordöstlich des Autobahnkreuzes
Weinheim
hier: Aufstellungsbeschluss
Der Gemeinderat beschließt mehrheitlich:
Für die in der Anlage der Sitzungsvorlage gekennzeichneten Bereiche im Gewann „Hammelsbrunnen“ zwischen B 38, Westtangente und Mannheimer Straße sowie im Gewann „Breitwiesen“ nordöstlich des Autobahnkreuzes Weinheim und südlich des Brunnwegs wird die Aufstellung der 8. Änderung des Flächennutzungsplans für den Bereich „Hammelsbrunnen / Breitwiesen“ beschlossen. Ziel der Planung ist eine Verschiebung der gewerblichen Bauflächen vom Gewann „Hammelsbrunnen“ in das Gewann „Breitwiesen“. Eine sich aus städtebaulichen Erfordernissen ergebende Anpassung des des räumlichen Umgriffs der Flächennutzungsplanänderung bleibt vorbehalten.

Noch hat die Natur die Breitwiesen in der Hand - künftig soll hier ein riesiges Logistikzentrum für Amazon.de entstehen. Bild: breitwiesen.blogspot.com

Sollte die Stadt die Auffassung vertreten, dass es sich auch hierbei um einen „bauleitplanerischen“ Aufstellungsbeschluss handelt, würde es brenzlig für Oberbürgermeister Heiner Bernhard. Der hatte mehrmals gegenüber dem Gemeinderat klar betont: „Durch diesen Beschluss ist noch gar nichts entschieden.“ Sollte dem nicht so sein, wäre das eine glatte Lüge in aller Öffentlichkeit gewesen.

Fest steht, dass der OB den Flächentausch unter Druck durchbekommen wollte – eine mehr als fragwürdige Entscheidung.

Die Bürgerinitiative jedenfalls gibt sich entschlossen und klagebereit: „Rheinstetten ist ein anderer Fall, sagen unsere juristischen Berater. Wir sind guter Hoffnung, dass wir mit einer Klage durchkommen. Aber darum geht es jetzt nicht – sondern um 2.500 Stimmen für ein Bürgerbegehren. Das ist ein demokratisches Verfahren und wir sind sehr gespannt, wie die Verwaltung darauf reagiert“, sagte Elisabeth Kramer auf unsere Anfrage hin.

Eine erste Stellungnahme kam sehr flott kurz vor 13:00 Uhr:

„Die Stadtverwaltung Weinheim respektiert selbstverständlich die Bemühungen, über ein Bürgerbegehren einen Bürgerentscheid herbeizuführen. Ein solcher Weg ist ja ausdrücklich in der Gemeindeordnung vorgesehen und daher auch das gute Recht jedes Bürgers. Da die Zulassung eines solchen Bürgerentscheides im Gesetz genau geregelt ist, wird es die Aufgabe der Stadtverwaltung sein, diese Kriterien auch genau zu prüfen. Das kann aber erst geschehen, wenn das Bürgerbegehren vorliegt, bzw. wenn die erforderliche Zahl von Unterschriften erreicht ist.“

Unverständlich ist, wieso die Initiatoren sich selbst angesichts der in der Verfassung genannten sehr kurzen Frist von sechs Wochen selbst beschränken:

“ richtet es sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats, muss es innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein. „

Sechs Wochen sind genau sechs Wochen. Kein Tag mehr, keiner weniger. Das ist die Frist, die gilt, bis zum Ablauftag 24:oo Uhr nachts. Der Beschluss wurde am 19. Oktober gefasst. Wäre er am 20. Oktober 2011 verkündet worden, wäre das der „Starttag“ laut „Bekanntmachungssatzung“ der Stadt Weinheim:

„§ 1
Form der öffentlichen Bekanntmachungen
1. Öffentliche Bekanntmachungen der Stadt Weinheim ergehen, soweit gesetzliche Vorschriften nichts anderes bestimmen, durch einmaliges Einrücken des vollen Wortlautes der Bekanntmachungen in den „Weinheimer Nachrichten“.
2. Als Tag der Bekanntmachung gilt der jeweilige Ausgabetag der „Weinheimer Nachrichten“.“

Der „Zieltag“ wäre demnach Donnerstag, der 1. Dezember 2011, 24 Uhr nachts. Die Initiatoren rufen aber zur Stimmabgabe bis zum 28. November 2011 auf und „verschenken“ damit volle drei Tage der insgesamt sehr kurzen Frist.

Nach unserer vorläufigen Recherche ist der Beschluss noch nicht veröffentlicht worden. Dies konnten wir aber nur nicht gesichert feststellen – sobald wir genaue Kenntnis einer eventuell bereits vorgenommenen Veröffentlichung haben, korrigieren wir diese Stelle. Sollte es zutreffen, dass es noch keine Veröffentlichung gegeben hat, würde die Frist mindestens bis 17. Dezember 2011 laufen.

Dem Weinheimblog.de gegenüber bestätigte Oberbürgermeister Heiner Bernhard vor kurzem, dass das amerikanische Versandhaus Amazon.de Interesse angemeldet habe. Die Rede ist von einem 20 Hektar großen Logistikzentrum.

Durch den Flächentausch würden im Gewann Breitwiesen rund 42,5 Hektor Gewerbegebiet entstehen können. Die Landwirte um Fritz Pfrang und Karl Bär geben sich kämpferisch: Rund 7,8 Hektar verstreutes Gelände im Gewann gehört Bauern, die angeblich nicht verkaufen wollen. Das dautet auf eine schwierige und lange Auseinandersetzung hin.

Unsere Anfrage bei Amazon und eine Gesprächsbitte vom 25. Oktober 2011, beantwortete die Pressestelle heute, elf Tage später, spartanisch kurz:

„Amazon hat zu diesem Thema keinerlei Veröffentlichung vorgenommen, daher kann ich Sie hier leider nicht unterstützen. Wir bitten um Verständnis, dass wir zu Spekulationen keine Stellung nehmen.“

Spekuliert wird unter anderem auch, ob Amazon eventuell Interesse an dem unter großem Widerstand mittlerweile entwickelten Heddesheimer „Pfenning“-Gebiet haben könnte (siehe aktuell 366 Artikel dazu auf dem heddesheimblog.de).

Dort wurde 2009 die Planung für ein 20 Hektar großes Logistikgelände bekannt. Der Streit darum hat den Ort in zwei Lager gespalten. Versprochen wurden Arbeitsplätze und erhebliche Gewerbesteuerzahlungen. Im Herbst 2010 wurde der Bebauungsplan verabschiedet. Bislang gibt es allerdings keinerlei Anzeichen von Bauaktivitäten.

Im Gegensatz zu Weinheim hatten Heddesheimer Bauern und Bauernfamilien ihre Grundstücke dort klaglos für 47 Euro/Quadratmeter an die „Phoenix 2010 GbR“ der Viernheimer Unternehmer Karl-Martin Pfenning („pfenning logistics“) und Johann Georg Adler (Immobilien) verkauft. Das Gelände soll laut Heddesheimer Landwirten „einer der besten Böden“ sein.

Weitere Infos:

Die Initiative informiert auf einem Blog.

Der BUND auf seiner Homepage.

Unterschriftenlisten liegen hier aus:
Fritz Pfrang auf dem Bauernmarkt
Café Wolf am Rodensteiner Brunnen
Buchhandlung Hukelum am Rodensteiner Brunnen, Hauptstraße 21
Bauernhof Raffl / Törggelestube
Bauernladen Rauch, Bertleinsbrücke

Jeden Samstag vom 05. bis zum 26. November 2011 will die Initiative zudem an der Reiterin Unterschriften sammeln.

„Große Verneigung vor diesen Weinheimer Landwirten“

Der Sprecher des Weinheimer Bauernverbands, Fritz Pfrang (2. von links), kritisiert den Flächenfraß.

Guten Tag!

Heddesheim/Weinheim, 21. Oktober 2011 (red) Der Heddesheimer Gemeinderat und Umweltschützer Kurt Klemm prangert in seinem Gastbeitrag die Verantwortungslosigkeit Heddesheimer Landwirte an und lobt die Entschlossenheit Weinheimer Bauern, ihr Land zu verteidigen. Er fühlt sich bei der Entwicklung „Breitwiesen“ in Weinheim an „Pfenning“ in Heddesheim erinnert. Seit Fazit: „Beton kann man nicht essen.“

Leserbrief: Kurt Klemm

Große Verneigung vor diesen Weinheimer Landwirten, die den rigorosen Flächenverbrauch in unserer Region anprangern. Die Worte von Fritz Pfrang, Weinheimer Bauernverband, dass man sich nicht der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten berauben lassen will und man sich der Verantwortung für die nächste Generation durchaus bewusst ist, muss in den Ohren einiger Heddesheimer Bauern und besonders der Spitze des Bauernverbandes, wie blanker Hohn klingen.

Gerade in einem Dorf wie Heddesheim, wo landwirtschaftliche Tradition Hunderte von Jahren zurückreicht, wird mit angeblich halbherzigem Bedauern, bestes Ackerland einer Gemeinde und damit ungewisser Zukunft geopfert.

Versprechungen von 1.000 Arbeitsplätzen, hohen Gewerbesteuern und vieles mehr sind seit über einem Jahr nur Traumgespinste von CDU, SPD und FDP und eines Bürgermeisters.

Selbst die Weinheimer CDU-Stadträtin Susanne Tröscher sieht die Ansiedelung von Pfenning auf Heddesheimer Grund als eine Investition auf wackeligen Füßen. Ob sie recht hat?

Erinnerungen an die Anfänge der Pfenninggeschichte, als eine Heddesheimer CDU-Gemeinderätin den immensen Flächenverbrauch anprangerte und prompt Ärger mit der eigenen Fraktion bekam, kommen da wieder.

Bleibt zu hoffen, dass dieser tapferen Frau aus Weinheim nicht gleiches widerfährt. Bauer Fritz Pfrang prangerte die Vorgänge als einen ruinösen Wettkampf der Gemeinden, zulasten ihrer Flächen an, ja sogar von undurchsichtiger Politik innerhalb der Verwaltung ist die Rede. Wie sich doch die Praktiken der Kommunen gleichen.

Ich hoffe nur, dass dieser Protest nicht nur in Weinheim wahrgenommen wird, denn alle, die gegen diesen sinnlosen Verbrauch bester Ackerflächen sind, sollten sich angesprochen fühlen.

Beton kann man noch nicht essen.

Dokumentation:
Vor der Sitzung des Weinheimer Gemeindrats fuhren 23 Landwirte vor dem Rolf-Engelbrecht-Haus in Weinheim mit ihren Schleppern vor, die mit Schildern wie „Stoppt den Flächenfraß“ ihren Protest zum Ausdruck gebracht haben. Kurz vor der Sitzung hielt der Sprecher der Weinheimer Landwirte, Fritz Pfrang, eine kämpferische Rede: „Es wird der Stadtverwaltung nicht gelingen, die Herausgabe unseres Eigentums zu erzwingen.“

Zur Zeit steht in Heddesheim die erneute Aufgabe von Ackerland zur Debatte – Edeka plant ein neues Getränkelager, Dutzende von Hektar Ackerland werden dieser zum Opfer fallen. Der Rat hat dafür den Weg frei gemacht.

Im Heddesheimer Gemeinderat sitzen zwei Vollerwerbslandwirte, Reiner Hege und Volker Schaaf (beide CDU), die die Entwicklung begrüßen. Kritik am Flächenverbrauch äußern die Heddesheimer Landwirte nicht. Angst um ihre Zukunft scheinen sie auch nicht zu haben. Mehrere andere Gemeinderatsmitglieder haben familiär einen landwirtschaftlichen Hintergrund – auch hier ist keine Kritik zu hören.

Ganz im Gegenteil äußerte sich einer der beiden CDU-Landwirte gestern in der Pause der Gemeinderatssitzung in Heddesheim im Gespräch: „Wenn einer schon 150 Wohnungen hat, dann kämpft es sich leicht für irgendsoeinen Acker. Ich sage jetzt nicht, dass das so ist, ich kenne die Verhältnisse nicht, aber das kann man ja annehmen, dass das so sein könnte. Man muss das immer im Verhältnis sehen.“

Fast 400 Artikel zu „Pfenning“ finden Sie hier.