Freitag, 24. März 2023

Gläserner Gemeinderat: Mit Verlaub, Herr Kessler, Sie sollten sich besinnen

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Guten Tag!

Heddesheim, 25. Februar 2011. In einem offenen Brief wendet sich der partei- und fraktionsfreie Gemeinderat Hardy Prothmann an den Bürgermeister Michael Kessler. Der Inhalt benennt Schäden und hat zum Ziel, diese zu begrenzen, denn im Sinne der Gemeinde ist von einer weiteren „Eskalation“ dringend abzuraten.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Kessler,

ich darf Ihnen zu Anfang meines Schreibens den Paragrafen § 32 „Rechtsstellung der Gemeinderäte“, Absatz 3 in Erinnerung rufen:

„Die Gemeinderäte entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung. An Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht gebunden.“

Ich erlaube mir diese Erinnerung, weil ich bedauerlicherweise den Eindruck habe, dass Sie die Gemeindeordnung nicht wirklich verinnerlicht haben.

Gestern wurde dieser Eindruck leider wieder bestätigt, weil Sie nicht zum ersten Mal ihren Hauptamtsleiter bemühen mussten, der hektisch in dem Büchlein geblättert hat, um alles zu prüfen, was Ihren „Aufträgen“ dient.

Ihr Auftrag an die Gemeindebediensteten ist in der Sitzung vom 24. Februar 2011 öffentlich geworden. Mindestens einer war eindeutig damit beauftragt, meine Kommunikation über den Internet-Dienst Twitter während der Sitzung zu „überwachen“.

Sicherlich war es kein „Zufall“, dass Sie wortgenaue „Zitate“ aus diesen während einer Sitzung verfassten Kurznachrichten „übermittelt“ bekommen haben, die Sie dann in einer öffentlichen Stellungnahme zitiert haben.

Während der Sitzung und außerhalb der Tagesordnung haben Sie dann eine Stellungnahme zu meiner Person und meinem „Kommunikationsverhalten“ abgegeben (nicht zum ersten Mal) und mir eine direkte Erwiderung im Anschluss verweigert.

Sie sind laut Gemeindeordnung Leiter der Sitzungen des Gemeinderats und haben dort eine gleichberechtige Stimme. Nicht weniger und auch nicht mehr.

Sie sind aber kein Gemeinderat und Sie sind verpflichtet, die Sitzungen ordentlich und nicht nach Ihrem Gutdünken zu führen.

Sie dürfen keine Meinungshoheit über den Rat haben, Sie sind kein Richter und Sie sollten es tunlichst vermeiden, anderen das „Richten“ zu erlauben. Man muss von Ihnen erwarten können, dass Sie souverän die Sitzung leiten – und zwar im demokratischen Sinne.

Das Recht, die Sitzung zu führen ist mindestens die Pflicht, dies angemessen umzusetzen. Das ist mitunter eine schwere Aufgabe, aber als politischer Beamter haben Sie sich diese Aufgabe gewählt und die Öffentlichkeit muss von Ihnen erwarten können, dass Sie dieser Aufgabe souverän nachkommen.

Tatsächlich missbrauchen Sie, nicht nur nach meiner Auffassung, die Ihnen kraft Gemeindeordnung übertragene Aufgabe für „persönliche“ Stellungnahmen.

Sie haben öffentlich behauptet, ich würde den Rat missachten und andere Gemeinderäte beleidigen. Das steht Ihnen nicht zu. Damit überschreiten Sie Ihre Kompetenzen.

Sie können eine Meinung äußern, müssen dann aber auch andere zulassen. Als guter Demokrat sollten Sie das beherzigen.

Sie haben mir noch mehr unterstellt, was ich gar nicht wiederholen möchte.

Besonders empört bin ich aber über die von Ihnen angeordnete Form der „Observierung“.

Ich fordere Sie auf, im Sinne der Würde Ihres Amtes und in Anerkennung des Grundgesetzes sowie der Gemeindeordnung und der Stellung von frei und demokratisch gewählten Gemeinderäten, Ihr mehr als „bedenkliches“ Verhalten umgehend einzustellen.

Sie haben kein Recht, die Mitarbeiter der Verwaltung mit „Observierungen“ zu beauftragen. Sie überschreiten Ihre Kompetenzen in einer Art und Weise, die unerträglich für alle demokratisch gesinnten Menschen ist.

Als freier und unabhängiger Kandidat habe ich den Bürgerinnen und Bürgern von Heddesheim ein Wahlversprechen gegeben (Sie können das gerne nachlesen):

„Mein Wahlversprechen ist, dass ich mich für mehr Transparenz einsetze. Freier Zugang zu Informationen wird die Zukunft unserer Gesellschaft bestimmen.

Klüngel und bürokratisches Denken führen in den Abgrund. Es darf kein Meinungsmonopol geben, für niemanden.

Artikel 5 des Grundgesetzes ist für mich ein zentraler Stützpfeiler unserer Demokratie.

Ich bin sehr froh, in Deutschland zu leben, weil es nirgendwo auf der Welt so viele Freiheiten gibt und nirgendwo auf der Welt so viele Menschen, die sich dieser verpflichtet fühlen.“

Mit Verlaub, Herr Kessler, Sie sollten sich besinnen. Auf unseren Rechtsstaat, auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und auf Ihre Pflichten.

Diese Pflichten sind, wie für alle Gemeinderäte, so auch für Sie, der Gemeinde zu dienen, ihr Wohl zu fördern und Schaden vor der Gemeinde abzuwehren.

Ihr Kleinkrieg gegen einzelne Gemeinderäte, insbesondere gegen meine Person, ist kontraproduktiv.

Ich werfe Ihnen vor, dass Sie selbstherrlich der Gemeinde und ihrem Ansehen Schaden zufügen, indem Sie sich verhalten, wie Sie es tun.

Kommen Sie zur Besinnung und realisieren Sie, dass nicht Sie die Gemeinde sind.

Unsere Gemeinde Heddesheim hat über 11.000 kleine und große Bürgerinnen und Bürger. Der Gemeinderat hat die Aufgabe, zum Wohl aller zu wirken und nicht nur zum Wohl derer, die Ihnen gefallen.

Dafür müssen Entscheidungen getroffen werden, die nicht immer allen gefallen. Manchmal sind die Mehrheiten groß und die Minderheiten klein, manchmal halten sich Zustimmung und Ablehnung fast die Waage.

In allen Fällen halte ich es für eine unbedingte Pflicht, der „unterlegenen“ Minderheit Ehre und Respekt zu erweisen, denn je kleiner die Minderheit ist, umso schwerer hat sie es, ihre „Position“ zu vertreten.

Die Anerkennung von Minderheiten, deren Achtung und Förderung ist das, was meiner Auffassung nach Demokratien stark und gegenüber Diktaturen überlegen macht.

Es ist keine Kunst, Minderheiten zu unterdrücken. Es ist ganz im Gegenteil Zeichen von Stärke, Minderheiten zu achten und ernst zu nehmen.

Im Heddesheimer Gemeinderat bin ich die kleinste vorstellbare Minderheit. Ich bin der einzige partei- und fraktionsfreie Gemeinderat.

Ich bin jederzeit präsent, bin immer gut vorbereitet auf die Sitzungen und in Bezug auf die Wortbeiträge sicher nach Ihnen und Herrn Dr. Doll ganz vorne mit dabei.

Und ich respektiere, dass es viele Gemeinderäte gibt, die so gut wie nichts sagen. Und ich halte das für sehr problematisch. Aber ich habe noch niemals behauptet, dass diese stummen Gemeinderäte den Gemeinderat durch Schweigen missachten.

Obwohl das nahe liegt, denn Demokratie lebt von der Debatte und nicht vom schweigenden Abnicken.

Was ich an Argumenten vorbringe, mag Ihnen und anderen nicht gefallen. Aber ich äußere mich öffentlich und verantwortlich und habe das Recht dazu. Ob Ihnen oder anderen das gefällt oder nicht.

Und ich höre anderen im Rat zu und nehme deren Äußerungen zur Kenntnis, ob mir das gefällt oder nicht.

Dass Sie mir vorwerfen, ich missachtete den Rat, weil ich mich mit „etwas anderem beschäftige“ ist so unverhohlen unverschämt, wie die Frage des Herrn Hasselbring, ob ich nun gut oder schlecht höre.

Herr Bürgermeister Kessler, ich habe eine körperliche Behinderung, weil ich auf einem Ohr taub bin. Ich habe Sie darum gebeten, mir die Teilnahme an den Sitzungen zu erleichtern, indem ich mich umsetzen darf.

Das haben Sie mir verweigert. Außerdem Herr Dr. Doll, Herr Merx und Herr Hasselbring.

Herr Bürgermeister Kessler, ich habe Sie darum gebeten, mich ebenso zu informieren wie die Fraktionen, da ich keiner Fraktion angehöre und damit einen Nachteil gegenüber anderen „gleichen“ Gemeinderäten habe.

Das haben Sie mir verweigert.

Herr Bürgermeiser Kessler, ich habe mich in der Sitzungsunterbrechung am 24. Februar 2011 persönlich an Sie gewandt und Ihnen mitgeteilt, dass eine von Ihnen aufgefasste „Beleidigung“ nicht Ihnen gegolten hat. Ich habe mehrmals versucht, Ihnen persönlich das Missverständnis zu erläutern und davon abzusehen, dass zu tun, was Sie letztlich getan haben.

Das haben Sie mir verweigert.

Ganz im Gegenteil haben Sie mehrmals mit einer „hau-ab-Gestik“ darauf reagiert und wörtlich gesagt: „Verschwinden Sie hier.“ Begleitet von einer Handbewegung, als würden Sie einen „Fiffi“ oder eine lästige Fliege davonjagen wollen.

Sie waren auch nicht im Ansatz bereit, eine Deeskalation anzustreben.

Ihre Gestik und Haltung waren mehr als eindeutig. Und beides war mehr als beleidigend.

Ich erinnere mich gut an die nicht-öffentliche Sitzung, im Schutz einer „geschlossenen Gesellschaft“, in der Sie mich als „ekelhaft“ bezeichnet haben, was Sie dann auch später öffentlich zugeben mussten.

Angeblich haben Sie sich während dieser Sitzung für Ihren Ausfall entschuldigt.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Sie sich persönlich und ehrlich für diese klar und explizit geäußerte Ausfälligkeit mir gegenüber entschuldigt hätten. Andere im Gemeinderat haben das so „interpretiert“.

Ich habe weder den Rat noch sonstige Instanzen bemüht, Ihre Ausfälligkeit zu bestätigen. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie sich dafür geschämt haben und dass es damit „gut ist“.

Sie können aber gerne eine abschließende Bestägigung vornehmen. Gerne erwarte ich dazu die von Ihnen veranlasste Veröffentlichung des „nicht-öffentlichen“ Protokolls.

Sie hingegen haben in der Sitzung vom 24. Februar 2011 eine dahingezischte Bemerkung meinerseits als „persönliche Beleidigung“ Ihrer Person „interpretieren wollen“ und trotz meiner mehrfach vorgebrachten Distanzierung darauf bestanden, persönlich von mir als „Arschloch“ bezeichnet worden zu sein.

Weiter haben Sie diese „Interpretation“ zum Anlass genommen, um Ihren Kleinkreig gegen mich voranzutreiben.

Ich stelle hiermit nochmals in dieser Form eines öffentlichen Briefes fest, ebenso wie in der öffentlichen Sitzung, dass meine Bemerkung außerhalb der Sitzung gefallen ist und definitiv nicht Ihnen gegolten hat.

Und ich ersuche Sie dringendst, dass Sie diese Bemerkung nicht auf sich beziehen sollten, wenngleich ich leider den Eindruck habe, dass Sie diese dringend auf sich bezogen haben wollen.

Was ich Ihnen bestätigen kann und wozu ich öffentlich stehe, ist, dass ich Ihre Form der Sitzungsleitung ablehne.

In meinen Augen ist Ihr Verhalten selbstherrlich, unausgewogen und nicht akzeptabel.

Ich habe schon mehrfach kritisiert, dass Ihre Informationspolitik vollkommen unzureichend ist. Und es ist eine Zumutung, dass wir ehrenamtlichen Räte erst in Sitzungen mit Informationen konfrontiert werden, über die man vor einer „Abstimmung“ nachdenken müsste, aber keine Chance dazu hat.

Wenn ich mich deshalb schon mehrfach „enthalten“ habe, dann vor allem deshalb, weil mir eine Meinungsbildung aufgrund der von Ihnen unzureichend gelieferten Informationen nicht möglich war.

Ich habe gestern nach meinem Ausschluss aus der Sitzung eine Beschwerde an das Kommunalrechtsamt mit der Bitte um Prüfung verfasst.

Gemäß dem Ausspruch: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“, müssen Sie und ich den Ausgang abwarten.

Es gibt aber noch eine andere Lösung, die ich sofort akzeptieren würde.

Sie informieren die anderen Mitglieder des Gemeinderats, dass der von Ihnen gestern gestellte Antrag übereilt war und mit Einverständnis der Fraktionen als nichtig erklärt werden soll.

Dann gäbe es von meiner Seite keinen Grund mehr auf eine „übergeordnete“ Klärung.

Vielleicht gelingt es Ihnen, sich zu besinnen.

Das wäre sicherlich von enormen Vorteil für alle Beteiligten, für die Gemeinde und das Ansehen des Gemeinderats in Heddesheim und auch außerhalb unserer Gemeinde.

Mit freundlichen Grüßen

Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.