Rhein-Neckar, 22. Januar 2013. (red/ms) Die grĂŒn-rote Landesregierung hat im Wahlkampf eine „Politik des Gehörtwerdens“ versprochen. Jetzt steht ein Mammut-Projekt kurz vor seinem Abschluss: Am ersten MĂ€rz 2014 – also noch kurz vor den Kommunalwahlen – wird eine neue Verwaltungsvorschrift in Kraft treten, die die BĂŒrgerbeteiligung verbessern soll: Das Volk soll fortan frĂŒher in die Planungsvorhaben mit einbezogen werden, auf offener Dialogbasis will man die bestmöglichen Lösungen fĂŒr die Gestaltung gröĂerer Bauprojekte finden. Doch lohnt sich dieser Aufwand? Oder gibt es am Ende nur mehr BĂŒrokratie und höhere Kosten?
Von Minh Schredle
Bislang seien gesetzliche Beteiligungsformate „vorrangig auf Protolollierung und Rechssicherheit angelegt, [aber] nicht auf Diskurs“, heiĂt es im „Leitfaden fĂŒr eine neue Planungskultur“, der parallel zum ausgearbeiteten Verordnungsentwurf publik gemacht wurde. Das soll sich kĂŒnftig Ă€ndern: Noch bevor ein Aufstellungsbeschluss verabschiedet wird, sollen BĂŒrger beteiligt werden – zumindest bei den groĂen MaĂnahmen.
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Ein Beispiel fĂŒr gelungene nicht-förmliche BĂŒrgerbeteiligung: Die Konversion des ehemaligen MilitĂ€rgelĂ€ndes.
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Das soll gewÀhrleisten, dass aus möglichst vielen Blickwinkeln Bedenken und Anregungen, Alternativen und Bedarf dargelegt werden. Auch in den folgenden Projektphasen muss fortan nach einer passenden Beteiligungsmethode gesucht werden. Der Leitfaden suggeriert, dass eine solche Vorgehensweise beispielsweise bei Stuttgart21 hÀtte helfen können.
FĂŒr das Land hat die Verordung die gleiche Verbindlichkeit wie ein Gesetz – fĂŒr die Kommunen gelten die Vorgaben aber nicht. Da sich Gemeinden selbst verwalten, kann das Land hier keine Vorgaben machen, sondern nur eine Empfehlung aussprechen. Gleiches gilt fĂŒr Unternehmen: Auch sie sind rechtlich nicht an die neuen Vorgaben gebunden.
Baden-WĂŒrttemberg will Vorbild werden
Baden-WĂŒrrtemberg will eine Vorbildfunktion in Sachen direktdemokratischer Verfahren einnehmen. Findet zumindest die Landesregierung. ErklĂ€rtes Ziel der Verordnung ist es, Augenhöhe zwischen Verwaltung, VorhabentrĂ€gern und BĂŒrgern zu schaffen – bei Bauprojekten wie groĂen Fabriken, Kraftwerken und Bahnhöfen.
Damit die BĂŒrokratie dabei keine ungekannten AusmaĂe annimmt, werden die Vorschriften immer nur dann bedeutend, wenn ein Vorhaben als „beteiligungsrelevant“ eingestuft wird. Das bedeutet in dem Fall: Wird ein Planungsverfahren oder ein förmliches Genehmigungsverfahren durchgefĂŒhrt, muss die Ăffentlichkeit frĂŒhzeitig beteiligt werden.
Vorgabe: Flexibel bleiben
Zu Beginn der Projektplanung wird ein sogenanntes Beteiligungsscpoping durchgefĂŒhrt – eine Art „Fahrplan“, in dem festgelegt wird, zu welchen Umsetzungsschritten des Projektes welche Form der BĂŒrgerbeteiligung angebracht ist. Wie genau die BĂŒrgerbeteiligung zu erfolgen hat, wird nicht durch viele Formalien festgelegt. Es bleibt bewusst offengehalten: So könne FlexibilitĂ€t gewahrt bleiben und die fĂŒr den vorliegenden Fall angebrachteste Lösung gefunden werden.
Das können zum Beispiel Podiumsdiskussionen sein. Oder Aktionstage an Schulen, die Kinder frĂŒhzeitig fĂŒr politische Probleme sensibilisieren sollen. Oder auch alles andere, was den VorhabentrĂ€gern sinnvoll erscheint.
Auch hier gilt: Das Beteiligungsscoping ist nur dann ein Muss, wenn VorhabentrĂ€ger des Projekts das Land Baden-WĂŒrttemberg ist. Dennoch kann es auch fĂŒr Unternehmen und Kommunen reizvoll sein. Denn gerade bei umstrittenen Vorhaben ist die Zustimmung der Bevölkerung von immenser Bedeutung.
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BĂŒrgerin beim 2. BĂŒrgerforum zum Thema Konversion im Stadthaus N1 Anfang Dezember 2012.
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Einige Formulierungen in Verordnung und Leitfaden sind schwammig. Vieles wird offen gelassen. Zu offen?
Können GroĂvorhaben glĂŒcken, ohne dass formal ein Vorgehen festglegt wurde? Der Leitfaden verweist auf zahlreiche Praxisbeispiele, in denen eine nicht-förmliche Beteiligung gut gelungen sei. Etwa in Mannheim: Die Konversion der alten MilitĂ€rflĂ€chen.
Hier gab es fĂŒr das Vorgehen keine formalen Verbindlichkeiten. Die BĂŒrger hĂ€tten nicht miteinbezogen werden mĂŒssen. Trotzdem wurden sie nach einigen Informationsveranstaltungen gebeten, ihre Ideen ebenfalls miteinzubringen – und mehr als 1.000 VorschlĂ€ge kamen zusammen. Die Stadt zeigte sich zufrieden und lobte die „groĂe Ideenvielfalt“.
Kostenfaktor unklar
Doch wie sieht es mit den Kosten aus? SchlieĂlich ist es ein immenser Aufwand, tausende interessierte BĂŒrger in eine Diskussion mit einzubeziehen: Die BĂŒrger mĂŒssen erreicht werden, komplexe Sachverhalte verstĂ€ndlich geschildert und zugĂ€nglich gemacht werden. FĂŒr Diskussionen mĂŒssen geeignete RĂ€ume gefunden werden, gemietet werden, jemand muss sich um die Moderation kĂŒmmern.
Die Verordnung sieht vor, dass alle Einwendungen und Anregungen, die BĂŒrger einbringen, dokumentiert, beantwortet und öffentlich einsehbar gemacht werden. Ein riesiger Verwaltungsaufwand?
Lohnt sich das? Eine konkrete Antwort gibt es noch nicht. Im Planungsleitfaden heiĂt es:
Es wurde durch das Forschungsinstitut fĂŒr öffentliche Verwaltung eine Kosten-Nutzen-Analyse erstellt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass mehr BĂŒrgerbeteilung im Idealfall sogar Stellen einsparen kann.
Wie das in weniger idealen FĂ€llen aussieht, wird leider nicht erwĂ€hnt. Mit Sicherheit kann das auch keiner sagen. Mal wird es sich lohnen, mal nicht. Bislang gibt es in Deutschland keine Verordnung, die in einem Ă€hnlichen AusmaĂ so intensive BĂŒrgerbeteiligung vorsieht. Somit fehlen Daten, die fĂŒr einen Vergleich geeignet sind. Ob sich der Mut auszahlen oder ob man fĂŒr den Mut draufzahlen mĂŒssen wird, wird erst die Zukunft zeigen.
Die Vorschrift wird am ersten MĂ€rz 2014 in Kraft treten und dann sieben Jahre lang gĂŒltig sein. Den Entwurf zur neuen Verwaltungsvorschrift und den „Leitfaden fĂŒr eine neue Planungskultur“ finden Sie hier als pdf-Dateien.
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