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Heddesheim, 22. März 2010. Der Bebauungsplanentwurf für das Projekt „Pfenning“ liegt seit einer Woche offen. Der Gemeinderat Michael Bowien schreibt in seinem Gastbeitrag auf, was ihm an diesem Vorhaben nicht gefällt.
Und Michael Bowien kommt zu einem Schluss: „Alles, was an Verbesserungen der Planung erreicht wurde, ist nur durch den Druck der Kritiker zustande gekommen.“
Das wird seiner Partei, der SPD, nicht gefallen – denn die gehört zu den „Befürworterfraktionen“.
Gastbeitrag: Michael Bowien
Falsche Zahlen, falsche Gutachten, falsche Fronten, falsche Versprechen und eine falsche Abstimmung

SPD-Gemeindrat und Volkswirt Michael Bowien mahnt zur Vernunft. Bild: hblog
Zwischenstand nach einem Jahr Pfenning-Projekt
Vor gut einem Jahr bewirkte der damalige Gemeinderat den Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplanverfahren „Nördlich der Benzstraße“ zur Ansiedlung der Firma Pfenning.
Wesentliche Eckdaten, die damals für den Beschluss zu sprechen schienen, waren die Größe des Investors und die Zahl der Arbeitsplätze. Der Investor stellte sich als ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 220 Millionen (Mio) Euro dar und gab an, 1.000 Arbeitsplätze in Heddesheim schaffen zu wollen.
Falsche Zahlen
Schon damals konnte man bei einem Blick in die letzte veröffentlichte Bilanz (2007) verwundert feststellen, dass der Pfenning Konzern-Umsatz (konsolidierte Bilanz der KMP Holding GmbH) nur bei rund 175 Mio Euro lag.
Das bedeutete ja, dass Pfenning von 2007 auf 2008 einen Umsatzzuwachs von 45 Mio, also ein Wachstum von rund 25% erreicht hätte!
Man durfte daher mit Spannung den Jahresabschluss 2008 erwarten, musste aber davon ausgehen, dass sich darin die 220 Mio Euro finden würden, denn die ungefähren Zahlen zu 2008 musste Pfenning ja Anfang 2009 schon kennen.

Pfenning-Lagerhalle in Viernheim. Bild: hblog
Inzwischen liegt der veröffentlichte Konzern-Jahresabschluss 2008 vor. Und weist einen Umsatz nicht von 45 Mio mehr, sondern von 6 Mio weniger, nämlich nur noch rund 169 Mio Euro aus!
Dass Pfenning in der Krise einen Umsatzrückgang hinnehmen musste, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Dass er wider besseres Wissen mit falschen Umsatzzahlen hantierte, aber sehr wohl!
Und angesichts eines Investitionsvorhabens in der Größenordnung von 100 Mio Euro ist es auch keineswegs unerheblich, ob der Investor 220 oder nur 169 Mio Umsatz macht.
Nur nebenbei: in dieser Konzernbilanz sind die Umsätze der Tochtergesellschaften in Berlin und in Rumänien mit enthalten. Was haben die aber mit dem Standort Viernheim bzw. Heddesheim zu tun?
Alles in allem: Was ist von der Transparenz und Vertrauenswürdigkeit der Selbstdarstellung dieses Konzerns zu halten?
Der Arbeitsplatz-Trick
Die meisten von uns sind abhängig Beschäftigte. Wir alle hängen ab von einer ausreichenden Anzahl zur Verfügung stehender Arbeitsplätze.
Deshalb reagieren wir auf jede Aussage, die Arbeitsplätze verspricht, fast reflexartig positiv. Aber was verspricht Pfenning denn? Es sollen Arbeitsplätze um ein paar Kilometer verlagert werden.
Was in Heddesheim dazukommt, wird in Viernheim künftig fehlen. Was ist daran toll?
Pfenning argumentiert selbst, dass es für die Arbeitnehmer nicht darauf ankomme, die paar Kilometer mehr oder weniger zur Arbeit zu fahren.
Das gilt doch aber auch umgekehrt. Ist es für einen Heddesheimer nicht letztlich egal, ob er, wenn er ihn denn überhaupt bekommt, zu seinem Pfenning-Arbeitsplatz nach Heddesheim oder nach Viernheim fahren würde?
Rechtfertigt das bloße Verlagern von Arbeitsplätzen um ein paar Kilometer, dass wir unser bestes Stück Gewerbegebiet zubetonieren und Heddesheim für die absehbare Zukunft in eine Logistik-Monokultur verwandeln?
Der „Bis-Zu“-Trick
Die Zahl von 1.000 Arbeitsplätzen wurde von Pfenning selbst relativiert: Es gehe um „bis zu“ 1.000 Arbeitsplätze.
Das ist die Art, die Wahrheit zu sagen, die einer Unwahrheit gleichkommt: Was sich beim Gesprächspartner einprägen soll, ist die Zahl 1.000.
Das „bis zu“ ist so unkonkret, dass es in der Wahrnehmung untergeht.
Zunächst sind von den „bis zu“ Tausend Arbeitsplätzen 250 Subunternehmer.
Die haben ihren Sitz irgendwo und fahren heute hier, morgen dort.
Mit dem gleichen Recht könnte man den Lieferanten, der dem Heddesheimer Bäcker das Mehl liefert, als Subunternehmer und damit Heddesheimer Arbeitsplatz zählen.
Absurd! Bleiben also in Wirklichkeit „bis zu“ 750 Arbeitsplätze.

Angeblich bis zu 1.000 Arbeitsplätze will "Pfenning" schaffen - nach der Ankündigung wird relativiert. Bild: hblog
Davon werden von Pfenning selbst 250 als Leiharbeiter beziffert. Wir alle wissen, was in der Krise mit Leiharbeitern passiert ist.
Dummerweise gibt es auch über die verbleibenden „bis zu“ 500 Arbeitsplätze keine exakten Angaben von Pfenning.
Um wie viele Festangestellte, um welche Lohnsumme geht es? Denn davon hängt ab, wie hoch der Anteil der Gemeinde Heddesheim am Umsatzsteueraufkommen, der sich an der Lohnsumme bemisst, sein könnte.
Leider keine Aussage hierzu.
Übrigens: Der Konzern-Bilanzgewinn im Jahr 2008 betrug gerade noch 22.000 Euro. Bei einer Verschuldung von über 50 Mio Euro!
Als ich Bürgermeister Kessler in einem Gespräch, das Herr Landenberger (BUND) und ich letztes Jahr mit ihm führten, fragte, ob denn das Vorhaben der Firma Pfenning von der Gemeinde auf seinen Gehalt an Realismus und Finanzierbarkeit überprüft worden sei, lautete die Antwort: Wenn man jedes Vorhaben in Deutschland auf sämtliche denkbaren Risiken hin untersuchen würde, gäbe es überhaupt keine Investitionen mehr. Nun denn!
Falsche Gutachten
Ein weiterer wesentlicher Knackpunkt im Pfenning-Projekt ist der Verkehr.
Der Verkehr in Heddesheim ist einerseits den beiden sich in der Ortsmitte kreuzenden Landstraßen zu verdanken, die eine Menge Überland-Verkehr durch den Ort führen, anderseits aber auch der Tatsache, dass der Ort seit den fünfziger Jahren sich nach der Zahl der Einwohner verdoppelt hat. (Und natürlich die Zahl der PKWs je Haushalt sich erhöht hat).
Auch dieser „hausgemachte“ Verkehr muss bewältigt werden. Muss durch die Ortsmitte, ohne dass man diese dem wachsenden Verkehrsaufkommen anpassen könnte.
Nun legte die Verwaltung im Rahmen des Pfenning-Projekts ein Verkehrs-Gutachten über den Kreisel vor, der in das Gewerbegebiet südlich und nördlich der Benzstraße führt (Edeka-Kreisel).
Das kommt, nur in Bezug auf diesen Kreisel, zu einem positiven Ergebnis: der Kreisel könne den durch Pfenning verursachten zusätzlichen Verkehr aufnehmen und bleibe dabei noch in einer guten Qualitätsstufe.
Erst auf Druck der Kritiker schob die Verwaltung ein weiteres Gutachten nach, das nun den Hirschberger Kreisel berücksichtigt. Hier sieht das Ergebnis schon anders aus: Zwar werden insgesamt noch gute Werte erreicht, aber für die morgendliche Spitzenstunde nun schon deutlich ungünstigere Werte „für die Zufahrt über die L541 aus östlicher Richtung zum Knotenpunkt, für den die für den Knotenpunkt insgesamt maßgebliche Verkehrsqualitätsstufe D erreicht wird.“
„D“ ist die Qualitätsstufe, die „eine Verkehrssituation beschreibt, die zwar eine gegenseitige Beeinflussung von Fahrzeugen mit merkbaren Wartezeiten beinhaltet, jedoch ohne die Gefahr eines Zusammenbruchs der Verkehrsabwicklung generell befürchten zu müssen.“
Qualitätsstufe knapp oberhalb des Verkehrszusammenbruchs – wie beruhigend!
Aber selbst beide Gutachten zusammen sind immer noch falsch. Nicht weil die Gutachten nicht korrekt wären. Niemand wirft der Gemeinde oder den Gutachtern vor, die Ergebnisse seien manipuliert.
Sehr wohl aber ist der Verwaltung vorzuwerfen, dass sie die falschen Gutachten in Auftrag gegeben hat.
Mit der Wahrheit dieser beiden Gutachten wird der Blick auf eine ganz andere Wahrheit verstellt: Nämlich die Wahrheit, die sich ergibt, wenn man den gegenwärtigen Verkehr plus den Verkehr, der sich nach der Umsetzung der bereits rechtskräftigen Bebauungspläne für weitere Wohngebiete ergibt, betrachtet. Plus die gegenseitigen Abhängigkeiten der beiden Kreisel, die auch im zweiten Gutachten noch immer nicht geprüft sind, plus die Abhängigkeit von Zu- und Abfahrt der A5, auf der bezeichnenderweise seit einigen Monaten schon fest installierte Stau-Warnschilder montiert sind – schon jetzt, ohne Pfenning-Verkehr.
Falsche Fronten
Wer die Sitzungen des Gemeinderats verfolgt, glaubt sich im falschen Film.
Die Pfenning-Unterstützer, die das Projekt zwar befürworten, aber selbstverständlich „kritisch begleiten“ und dafür sorgen wollten, dass „keine ökologischen oder verkehrsbedingten Nachteile für den Ort entstehen“, taten dafür – nichts.

Ohne Kritiker keine Erfolge: Chemielager wurde reduziert. Quelle: Pfenning
Alles, was an Verbesserungen der Planung erreicht wurde, vom Verkehrslenkungsvertrag über weitere Begrünung bis zu weiteren Beschränkungen bei der Lagerung von Chemikalien, ist nur durch den Druck der Kritiker zustande gekommen.
Beobachtet man die Befürworter des Projekts, bekommt man den Eindruck: Sie kämpfen an der falschen Front.
Sie kämpfen nicht um das Gemeinwohl Heddesheims, sondern befinden sich in einem dramatischen Western: Der Sheriff und zwölf Geschworene gegen die Nein-zu-Pfenning-Bande und ihre gesetzlosen Helfershelfer!
Und so möchte man Ihnen zurufen: Halt! Aufwachen! Meine Damen und Herren. Es geht nicht um den Sieg über die IG oder das heddesheimblog.
Es geht nicht darum, dass man „vor denen nicht einknickt“.
Sondern es geht um das Wohl unserer Gemeinde Heddesheim!
Und nach allem, was inzwischen auf dem Tisch liegt, muss sich jeder Gemeinderat, der ursprünglich für den Aufstellungsbeschluss gestimmt hat, selbst fragen, ob wirklich B sagen muss, wer A gesagt hat.
Oder ob sich nicht inzwischen gezeigt hat, dass A falsch war.
Falsche Versprechen
Hier ist noch eine Beobachtung anzufügen. Die Befürworter weisen immer wieder darauf hin, dass sie ihr Versprechen halten, „zu ihrem Wort stehen“.
Welches Wort meinen sie? Eins, das sie dem Bürgermeister gegeben haben?
Das wäre verheerend, den ein solches Führungs-Gefolgschafts-Verhältnis hätte mit Demokratie nichts zu tun.
Eins, das sie dem Wähler gegeben haben?
Darüber lässt sich reden.
Natürlich erwarten wir von politisch Tätigen – egal, auf welcher Ebene – dass sie ihre Aussagen nicht täglich nach Belieben revidieren.
Andererseits: In letzter Konsequenz gilt nur ein Wort für jeden Gemeinderat, an das er sich zu halten hat – sein Gelöbnis, zum Wohle der Gemeinde zu handeln.
Im Übrigen hat er seine Aussagen und Entscheidungen immer wieder neu entsprechend dem erreichten Sach- und Erkenntnisstand zu überprüfen und mit der Messlatte dieses Gelöbnisses in Einklang zu bringen.
Und da kann – und in Sachen Pfenning gilt für meine Begriffe ein Muss- durchaus heute ein anderes Ergebnis resultieren als vor einem Jahr.
Insofern sind absolute Versprechen in der Politik fast immer falsche Versprechen.
Aber ist das nicht alles Schnee von gestern?
Hatten wir nicht eine Bürgerbefragung mit einem knappen Votum für die Pfenning-Ansiedlung?
Ist die Sache nicht längst abgehakt?
Eine falsche Abstimmung
Für Wahlen und Abstimmungen, auch für Bürgerentscheide, gilt: Beeinflussungen während der Wahlhandlung sind verboten. Deshalb dürfen bei Wahlen und Abstimmungen in und direkt vor den Wahllokalen keine Plakate aufgestellt werden und dürfen selbstverständlich auf den Stimmzetteln selbst nur neutrale Angaben stehen.
Ein Bürgerentscheid war in Sachen Pfenning nicht möglich.
So griff man auf das gesetzlich weniger streng geregelte Instrument einer Bürgerbefragung zurück.
Anstatt sich aber freiwillig analog den gesetzlichen Regelungen für Bürgerentscheide zu verhalten und eine neutral formulierte Frage zur Abstimmung zu stellen, formulierte die Verwaltung einen höchst manipulativen Katalog von drei Fragen und ließ sich diesen vom Gemeinderat absegnen.
Man stelle sich vor, wie das Ergebnis ausgesehen hätte, wenn man stattdessen beispielsweise folgende drei Fragen zur Abstimmung gestellt hätte:
- Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Heddesheim die nationalen und internationalen Klimaschutz-Ziele auf ihrem Gebiet außer Acht lässt?
- Sind sie dafür, dass die Gemeinde Heddesheim weiteren Zuwachs an Verkehr, insbesondere an Schwerlastverkehr, hinnimmt?
- Sind Sie dafür, dass der Gemeinderat das Bebauungsplanverfahren zur Ansiedlung von pfenning Logistics im Heddesheimer Gewerbegebiet weiter betreibt?
Das Ergebnis der Bürgerbefragung war sicher korrekt ausgezählt.
Aber die Befragung selbst war so manipulativ, dass man sie insgesamt nur als falsche Abstimmung bezeichnen kann.
Deshalb ist nichts abgehakt und nichts erledigt.
Vielmehr haben die Kritiker nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht, in der jetzt anstehenden entscheidenden Phase nochmal alles in die Waagschale zu werfen, damit dieser Bebauungsplan keine Rechtskraft erlangt!
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