Freitag, 09. Juni 2023

Top 6 abgelehnt

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Die Grünen bringen zwei Anträge für Basisdemokratie ein – CDU, FDP und SPD lehnen dies entschieden ab. Die Gemeinderätin Ulrike Lochbühler tritt aus der CDU aus. All das vor „großem“ Publikum: rund 60 Bürger sind anwesend.

von Hardy Prothmann

Soviel Besuch ist ungewohnt bei Gemeinderatssitzungen. Alle warten auf Tagesordnungspunkt 6. Denn die Fraktion Bündnis90/Die Grünen hat zwei Anträge gestellt: 1. Einen Bürgerentscheid durchzuführen, ob die Bauleitplanung zur Pfenning-Ansiedlung durchgeführt werden soll oder nicht. Und 2. Einen Ergänzungsantrag, wenn der Bürgerentscheid „aufgrund der schwierigen Rechtslage“ nicht möglich sein sollte, eine Bürgerbefragung durchzuführen.

Die Anträge

Abgelehnt: Bürgerbeteiligung entwertet Wahl, sagt die CDU

Abgelehnt: Bürgerbeteiligung entwertet Wahl, sagt die CDU

Grünen-Fraktionschef Klaus Schuhmann begründet die Anträge: „Viele Bürger sind mit dem bisherigen Verfahren zur Pfenning-Ansiedlung unzufrieden“, sagt er.
Er bemägelt die 2005 veränderte gesetzliche Regelung zu Bürgerentscheiden und kritisiert, dass Bürgern, die Einspruch gegen Planungen der Gemeinde einlegen wollten, zu wenig Zeit bleibe: „Tatsächlich blieben nur acht Tage, um gegen den Aufstellungsbeschluss Einspruch einzulegen.“ Weiter sagt er: „Ich bin der Meinung, dass wir das Votum bei einer so wichtigen Entscheidung an die Bürger zurückgeben müssen. Wir sind der Überzeugung, dass das Verfahren nicht richtig war.“

Dem Antrag nach, soll die Bürgerbefragung am Tag der Kommunalwahl 2009, dem 7. Juni, stattfinden.

Stellungnahmen

Jetzt nimmt Hans-Joachim Weitz (CDU) Stellung: „Wir können die Befragung nicht isoliert von der Kommunalwahl sehen und wenn das am selben Tag statt findet, wird eine Entscheidung möglicherweise nur in diesem einen Punkt vorweggenommen.“ Diese Aussage wiederholt er in mehreren Variationen.

„Bei ihrem Antrag geht es darum, das durch die Wahl erhaltene Mandat an die Bürger zurückzugeben. Da frage ich Sie: Was wollen wir eigentlich? Wir haben ein Mandat von den Bürgern übertragen bekommen und das üben wir aus.“

„Bürgerentscheid würde die Wahl entwerten“, sagt Herr Weitz (CDU)

Weiter sagt er, dass die Parteien mit ihrer gesamten geleisteten Politik bei dieser Wahl antreten und nicht nur mit diesem einen Punkt (Pfenning-Ansiedlung, d. Red.). Das würde die Wahl „entwerten“. Und sagt dann: „Denen geht es doch nur darum, als sei das der wesentliche Punkt. Das birgt eine Gefahr in sich.“

Diese Gefahr sieht er zudem in „einer Polarisierung der Befürworter und der Gegner„. Dann, so Weitz, habe Heddesheim ein ernsthaftes Problem, das man nicht so leicht wegbekomme.

SPD-Fraktionschef Jürgen Merx macht vor seiner Stellungnahme noch etwas Wahlkampf und sagt: „Wir wollen eine andere Verkehrsleitplanung. Pfenning muss einen Vertrag unterschreiben, der die Durchfahrt durch Heddesheim unter Strafe stellt.“

„Der Antrag ist rechtswidrig“, sagt Herr Merx (SPD)

Dann verweist er auf die Stellungnahme des Kommunalrechtsamt beim Rhein-Neckar-Kreis und sagt: „Das Amt hat unmissverständlich die Rechtswidrigkeit der vorliegenden Anträge bestätigt.“
„Deshalb können wir einem solchen Antrag nicht zustimmen. Der Bürgermeister könnte, wenn wir zustimmten, innerhalb von drei Wochen widersprechen, dann, mal angenommen, wir würden nochmal zustimmen, würde das Amt den Antrag verwerfen. Das verschwendet nur Zeit.“

„Alle vernünftigen Gründe sprechen gegen einen Bürgerentscheid“, sagt Herr Bauer (FDP)

Danach redet Hans Bauer, FDP-Gemeinderat: „Wir sind eine repräsentative Demokratie und die sieht nunmal die Vergabe von Mandaten vor. Das sollten wir nicht aufs Spiel setzen.“ Und weiter: „Für mich stellt sich das klar so dar, dass hier Partikularinteressen vorliegen. Als Repräsentanten dieser Gemeinde wägen wir aber die Chancen auf Vorteile für unsere Gemeinde mit den Nachteilen ab, die wir so regeln werden, dass die Bürger damit zu Recht kommen. Das ist eine Gestaltungsaufgabe. Alle systemischen und vernünftigen Gründe sprechen dafür, diese Entscheidung nicht per Bürgerentscheid zu treffen.“

„Das ist nicht demokratisch“, sagt Herr Kettner (Die Grünen)

Grünen-Gemeinderat Ulrich Kettner sagt: „Die Rechtslage ist offen. Und wir tun nichts Rechtswidriges, wir verstoßen nicht gegen Gesetze, Herr Merx.“ In Richtung FDP sagt er: „Im FDP-Wahlprogramm steht, dass Sie die Basisdemokratie auf Landes-und Bundesebene begrüßen. Die Kommunalebene ist ausgeklammert, obwohl hier 90 Prozent dieser Verfahren laufen. Das ist nicht besonders demokratisch.“

Dafür erhält er Beifall aus dem Publikum.

Bürgermeister Michael Kessler ruft zur Ruhe: „Ich darf Sie bitten, wir sind hier in einer Gemeinderatssitzung, von Applaus und anderem bitte ich abzusehen.“

Jetzt ergreift wieder Herr Weitz das Wort: „Sie tun diesen Punkt isoliert betrachten. Und ich lasse mir von Ihnen nicht meine demokratische Auffassung absprechen. Es gibt Kräfte in dieser Gemeinde, die wollen das, indem sie polarisieren. Ich erinnere daran, wir sind das Kommunalparlament.“

FDP-Gemeinderat Hans Bauer sagt: „Ja-Nein-Betrachtungen widersprechen der repräsentativen Demokratie.“

Jetzt meldet sich Josef Doll CDU-Sprecher zu Wort: „Eine Bürgerbefragung ist rechtlich unverbindlich. Warum wollen Sie das? Mal angenommen, es kommt Nein heraus und der Gemeinderat lehnt dann das Bauleitverfahren ab, dann wäre das ein Bürgerentscheid zweiter Klasse und verbindlich. Deswegen ist die Mehrheit der CDU dagegen.“

4 Ja / 17 Nein

Bürgermeister Michael Kessler stellt den ersten Antrag zur Abstimmung: 4 Stimmen, die Grünen-Gemeinderäte Klaus Schuhmann, Ulrich Kettner, Joachim Schief sowie CDU-Gemeinderätin Ulrike Lochbühler stimmen für den Antrag, alle anderen 17 Gemeinderäte stimmen dagegen. Gemeinderat Volker Schaaff ist befangen und nimmt nicht an der Abstimmung teil.

Jetzt steht der Antrag auf eine Bürgerbefragung zur Debatte.

SPD-Fraktionschef Jürgen Merx sagt: „Wer wird da zugelassen, wer fragt, wie wird das Ergebnis ausgewertet?“ Für ihn ist die „Prozedur“ einer Befragung völlig unklar und nur in Verbindung mit einer Informationsveranstaltung für die Bürger denkbar, wo Gemeinde, Gemeinderat, Gutachter und die Firma Pfenning das Für und Wider vorstellen sollten.
Ohne eine solche Veranstaltung könnten die Bürger gar nicht befragt werden, da sie in „eine Informationskampagne durch die Interessengemeinschaft verwickelt“ seien und deshalb einseitig informiert seien.
„Wir können dem Antrag in dieser Form nicht zustimmen. Ja/Nein kann nicht das Ziel einer Meinungsbildung sein.“

Hans Bauer (FDP) sagt: „Gerade die Reduktion auf die Frage Ja oder Nein ist für uns nicht nachvollziehbar. Wir lehnen den Bescheid ab.“

4 Ja / 16 Nein / 1 Enthaltung

Bürgermeister Kessler leitet zur Abstimmung über: Wieder stimmen die Grünen und Frau Lochbühler für den Antrag, 16 Gemeinderäte lehnen ab, CDU-Gemeinderat Martin Winkler enthält sich der Stimme. Volker Schaaff ist weiterhin befangen.

„Hier wird entschieden“, Bürgermeister Kessler

Bürgermeister Kessler sagt: „Ich hoffe, dass wir nun wieder zur Sachlichkeit zurück kommen können. Es gilt vielfältige Entscheidungen zu treffen. In diesem Gremium sitzen Räte, die teilweise schon seit Jahrzehnten schwierige Entscheidungen treffen und in der Lage sind, Nachteile, die mit einer Maßnahme verbunden sind, so erträglich zu machen, dass am Ende ein gangbarer Weg gefunden wird.“
„Wir haben nicht die Mittel, alle vierzehn Tage Flugblätter zu drucken und diese in Briefkästen zu stecken. Es ist notwendig, die Zahlen besser zu transportieren. Wir sind in einer Phase, in der es darum geht, die Grundlagen zu erarbeiten. Ich bin mir sicher, dass der Gemeinderat genug Standhaftigkeit hat, um am Ende einen Standpunkt zu vertreten, der gewisse Belastungen mit sich bringt. Hier ist das Gremium, wo entschieden wird.“
Und weiter: „Wir werden die Informationen Stück für Stück fleißig prüfen, um die Bürger zu überzeugen, dass wir etwas tun.“

Gewissensfrage

Dann bittet überraschend Ulrike Lochbühler um das Wort. Sie sagt: „Ich finde, dass der Zeitpunkt zur Einbindung der Bürger gekommen ist. Und ich finde, dass der städtebauliche Vertrag veröffentlicht werden sollte. Wenn darin alles in Ordnung ist, steht dem doch nichts entgegen.“
„Ich habe versucht, hier im Rat verantwortlich und gewissenhaft mitzuwirken. Nachdem ich diese Entscheidung nicht mitgetragen habe, hatte ich keine Rückendeckung mehr. Für mich ist die Entscheidung der Pfenning-Ansiedlung die schwerwiegendste Entscheidung in meiner Zeit im Gemeinderat gewesen.“

Applaus und Austritt

Die meisten der rund 60 Gäste applaudieren lautstark. Der Bürgermeister guckt ernst. Der Applaus geht zu Ende.

Danach erklärt Ulrike Lochbühler ihren Austritt aus der CDU.

Josef Doll (CDU) sagt: „Ich muss sagen, ich finde das ja toll, was unsere Kollegin hier versucht. Von uns wurde niemand unterdrückt.“

Hans Bauer (FDP) sagt: „Also, ich finde, dass ist eine Verrohung der Sitten. Einen Parteiaustritt festzustellen, gehört nicht in diese Sitzung, auch wenn Sie an der ein oder anderen Stelle mal beleidigt gewesen sein sollten.“

Klaus Schuhmann (Grüne) sagt: „Ihre Entscheidung hat Courage, Sie haben meinen Respekt.“

Jürgen Merx sagt: „Das ist kein guter Stil, kein guter Abgang.“

Die Sitzung wird geschlossen.

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Artikel zum Thema:
Kommentar: Leerstunde der Demokratie
Satire: +++Verschlusssache+++ III
Meldung: Ulrike Lochbühler ist aus der CDU ausgetreten
Meldung: CDU, FDP und SPD lehnen Bürgerbefragung rundweg ab

Externer link:
Wie der Mannheimer Morgen über die Veranstaltung berichtet, lesen Sie hier.

Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.