Freitag, 02. Juni 2023

Vom Anschein einer Bürgerbeteiligung

Das Leidbild beim Leitbild

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Nachdem die „beteiligten Bürger“ auf die Bühne gingen – saß fast niemand mehr im Saal.

 

Heddesheim, 21. September 2013. (red/pro) 45 Leitsätze sollen die künftige Entwicklung des Dorfes mitbestimmen. Erarbeitet von rund 80 Personen. Aber ist das wirklich Bürgerbeteiligung? Oder nur der Anschein davon? Immerhin – es gibt nun etwas schriftlich, wenngleich die Leitbild-Broschüre viele Fragen aufwirft.

Von Hardy Prothmann

Als das Heddesheimblog vor über vier Jahren gestartet ist, gab es nach Meinung von CDU-Fraktionssprecher Dr. Joseph Doll bereits ein Leitbild: Ein Positionspapier zum demokrafischen Prozess (nicht mehr online).

Mehr war seiner Auffassung nach nicht nötig. Die überwiegende Mehrheit aus CDU, SPD, FDP und Bürgermeister Michael Kessler sah das genauso. Der Bürgermeister sagte am 03. August 2009:

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Stellt sich keinen kritischen Fragen, behindert die Pressefreiheit und ist ein Garant für intransparente Verfahren: Bürgermeister Michael Kessler will kommendes Jahr wieder antreten. Sollte er gewinnen, wird sich nichts im Ort ändern. Das Gemauschele wird dann weitergehen.

 

Ich habe im Gemeinderat wie im Dialogkreis gesagt, dass im Zuge der intensiven Diskussion über die Auswirkungen des demografischen Wandels, der Gemeinderat über die zukünftigen Aufgaben und Strategien zur Bewältigung dieser Aufgaben ein Papier (Umgang mit dem demographischen Wandel) einstimmig verabschiedet hat. Diese Strategie wurde in einer Gemeinderatssitzung wie auch beim Bürgertag der Öffentlichkeit vorgestellt. Die umfassende Ausarbeitung steht seit dieser Zeit auf unserer Homepage. Die letzten Wochen im zugänglichen Archiv, seit dieser Woche wieder im Bereich Aktuelles. Darüber hinaus finden des Öfteren Diskussionen über strategische Herangehensweisen im Gemeinderat statt. Sicher wird Gelegenheit sein in den nächsten Monaten das ein und andere Thema aufzugreifen.

Aktuell feiert sich der Bürgermeister als Bürgerbeteiliger. Ist er das? Wer sich an die vergangenen vier Jahre erinnert, weiß, dass er das nicht ist. Bürgermeister Michael Kessler bereitet sich auf seine dritte Amtsperiode vor und gibt den Anschein, als wäre er an Bürgerbeteiligung interessiert:

Das vorliegende Leitbild dient dem Gemeinderat als Orientierung und als Instrument, seine politischen Entscheidungen (noch) transparenter zu machen.

Fehlende Transparenz

„(Noch) transparenter“? Das ist ein Treppenwitz. Ich kenne keine Gemeinde, deren Verwaltung so intransparent agiert, wie das in Heddesheim der Fall ist. Kritische Anfragen zur Entwicklung von Pfenning beantwortet der Bürgermeister nicht. Warum ist so feige? Warum so ignorant? Warum so stur? Das Heddesheimblog.de ist eine der bundesweit bekanntesten journalistischen Neugründungen. Das einzige unabhängige Ortsmedium. Bürgermeister Michael Kessler ignoriert das alles und verlässt sich auf die Verlautbarungsorgane Mannheimer Morgen, Mitteilungsblatt und RNF.

Immer noch wird viel zu viel in nicht-öffentlichen Sitzungen vorentschieden. Als früherer Gemeinderat war ich dabei: Wie oft musste ich erleben, dass Bürgermeister, CDU, SPD und FDP schon vorgefasste Positionen hatten, während die Grünen und ich nur spärliche Informationen hatten. Hier findet ein Gemauschel sondergleichen statt. Das wird sich auch unter diesem Bürgermeister nicht mehr ändern.

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Man feiert sich in trauter Runde selbst – fast alle am „Leitbild“ beteiligten Personen sind Interessenvertreter aus Politik, Kirche, Vereinen, Wirtschaft.

Übrigens: In der 56-seitigen Broschüre zum Leitbild der Gemeinde taucht der Wortstamm „transparent“ nur an dieser einen Stelle auf Seite 13 auf. Der Wortstamm „Kommunikation“ genau vier Mal und drei Mal davon in bezug auf technische Übertragungen.

Auf den Seite 4-5 sieht man ein Luftbild von Heddesheim – was fehlt? „Pfenning“. Warum ist das so? Nur ein redaktioneller Fehler oder bewusste Desinformation?

Auf den Seiten 40-41 geht es um Landwirtschaft – das Bild zeigt ein Maisfeld. Für die Nahrungsmittelproduktion oder doch eher für die Biogas-Anlage, die zwei Landwirtsöhne betreiben? Ist die Vermaisung der Landwirtschaft ein Leitbild?

Welche Bürger wurden „beteiligt“?

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Petrus van Nunen (mitte, Vorstand Kirchengemeinderat Katholische Kirche) und Gertrud Junghans (rechts, Schulrektorin, Bildungsausschuss Katholische Kirche) stellen Ergebnisse der Gruppe „Soziales, Kinder, Jugend, Familie, Senioren und demographischer Wandel“ vor.

 

Wer sich die Personen in den Arbeitsgruppen anschaut, stellt schnell fest, dass der überwiegende Teil keine einfachen Bürger/innen sind, sondern Interessenträger. Verwaltungsangestellte, Gemeinderäte, Kirchenvertreter, Vereinsvertreter, Geschäftsleute, Parteimitglieder. Als „übliche“ Verdächtige, die sowieso mal mehr, mal weniger Einfluss im Ort haben.

Was ebenfalls auffällt, ist der Altersdurchschnitt derer, die mitgewirkt haben oder sich dafür interessierten. Da wir keine Geburtsdaten vorliegen haben, können wir nur schätzen: Vermutlich 55+ Jahre.

Bei der Vorstellung der Leitsätze kamen rund 160 Gäste. Das Interesse der Bevölkerung an diesen Leitsätzen kann also schlicht und einfach als „mau“ bezeichnet werden. Eigentlich sogar als „sehr mau“ – denn als die Mitwirkenden auf die Bühne im Bürgerhaus gebeten wurden, leerte sich der Zahl um die Hälfte. Und wenn man von denen im Raum nochmals die Gemeinderäte und Verwaltungsangestellten und Parteivertreter abzieht, blieben gerade mal 40 Bürger/innen übrig.

Das Leitbild zeigt das Leidbild der Gemeinde Heddesheim. Wenn sich kleine Gruppen des Orts bemächtigen, muss sich niemand wundern, wenn sich die ganz überwiegende Mehrheit der Bürger/innen nicht für das Thema interessiert.

Über vier Jahre hat also die Entwicklung von Leitsätzen nach den ersten Impulsen gedauert – man darf gespannt sein, ob und wann diese in der Zukunft eine Rolle spielen.

Zum Thema:
Michael Bowien (SPD-Gemeinderat) stellt sieben Thesen zum Leitbild auf, Video vom Vortrag
Protokoll der Sondersitzung zur Bürgerbefragung August 2009, Recherche dazu
Gastbeitrag: Alles in allem leider lasch

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45 Leitsätze – durchsetzt vom Einfluss von Interessenvertretern.

 

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Überwiegend grauhaarige Interessenvertreter (von links): Dr. Volker Wittneben, stellvertretender Vorsitzender CDU Heddesheim, Hans Weber, früherer Sprecher IG-Nein-zu-Pfenning, stellen „Ortsentwicklung und Verkehr“ vor.

 

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Matthias Kaminski, Vorsitzender der Jungen Union Heddesheim und Beisitzer im CDU-Ortsverband als Sprecher für die Gruppe „Wirtschaft und Handel“

 

Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.