Donnerstag, 01. Juni 2023

Wahlkampf-Thema Atompolitik: Ausstieg vs. Wohlstand? – Die Linien der Kandidaten stehen

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Weinheim, 16. MĂ€rz 2011. (red) Die AtmosphĂ€re war teils angespannt – aber ĂŒberwiegend konzentriert. Der Umgang mit der Atomenergie war das dominierende Thema in der alten Druckerei. „Diesbach Medien“ (Weinheimer Nachrichten) hatte zur Podiumsdiskussion mit fĂŒnf Landtagskandidaten geladen. Dabei wurde schnell klar: Die Positionen stehen fest. GrĂŒn-Rot und Knallrot stehen gegen Schwarz-Gelb. Und letzere haben einen mehr als schweren Stand. Mitleid braucht man aber nicht zu haben.

Von Hardy Prothmann

„Dann fangen Sie doch mal damit an“, ruft ein Zuschauer empört.

Gerade hat Georg Wacker erklĂ€rt, das man „SpeicherkapazitĂ€ten braucht, um das aufzufangen.“ Mit „das“ meinte er die „VersorgungslĂŒcke“, die enstehen könnte, wenn die laufenden Atomkraftwerke abgeschaltet wĂŒrden.

Top-Thema: Atomenergie

Weinheim, Friedrichstraße 24, Alte Druckerei: Diesbach Medien, der Verlag der Weinheimer Nachrichten, hat die Landtagskandidaten von CDU, BĂŒndnis90/Die GrĂŒnen, SPD, FDP und Die Linke zur Podiumsdiskussion eingeladen. Rund 180 GĂ€ste sind im Saal.

Podiumsdiskussion in der alten Druckerei. Bild: weinheimblog.de

Mehr als die HĂ€lte Ende 50, rund 40 Prozent „Mittelalter“ zwischen 30 und Mitte 50 und der Rest junge Leute unter 30 Jahre. SpĂ€ter sagt jemand: „Die Teilnehmerzahl war enttĂ€uschend.“

ÃƓber eine Stunde geht es nur um Japan, Atomkraft, die Katastrophe und die Frage, wie „Deutschland“ mit der Atomenergie umgehen muss oder soll oder könnte.

Wacker und Arnold betonen „BrĂŒckentechnologie“

Die Positionen sind klar: Georg Wacker (CDU) und Dr. Birgit Arnold (FDP) befĂŒrworten weiterhin die Atomenergie als „BrĂŒckentechnologie“.

Frau Arnold sagt laut Weinheimer Nachrichten in der Ausgabe von heute:

„Wir wollen möglichst schnell aussteigen, aber unseren Wohlstand erhalten.“

Wir haben das Zitat so notiert:

„Wir wollen, dass keine StromlĂŒcke entsteht und der Wohlstand erhalten bleibt.“

Georg Wacker (CDU). Foto: weinheimblog.de

Herr Wacker sagt laut WN:

„Leider gehen fast alle LĂ€nder mit dem Thema anders um als wir in Deutschland. In Europa denkt sonst keiner ĂŒber einen Atomausstieg nach. Hier ist die internationale Politik gefordert.“

Wir haben das so notiert:

„Wenn wir am Ende feststellen mĂŒssen, dass alle LĂ€nder um uns herum die Sicherheitsstandard nicht einhalten, dann kann das nicht sein.“

Atomenergie stoppen oder weitermachen?

Zwei Medien, zwei „unterschiedliche Auffassungen“, zwei Aussagen, zwei Meinungen.

Das ist die beste Beschreibung fĂŒr die Situation im Saal. Raus aus der Atomenergie oder weitermachen? Beide Lager haben AnhĂ€nger.

FĂŒr Zwischentöne ist da kaum ein Gehör.

Linken-Kandidat Matthias Hördt spielt in der Debatte eigentlich keine Rolle. Er sagt ein paar Sachen, die gut ankommen, erhĂ€lt auch mehrfach Applaus, fĂŒr Bemerkungen wie:

„Wir mĂŒssen den Ausstieg so schnell wie möglich schaffen.“

Konkreter wird er nicht.

Uli Sckerl (GrĂŒne). Foto: weinheimblog.de

Uli Sckerl (GrĂŒne) und Gerhard Kleinböck (SPD) fordern den „Wiedereinstieg“ in den „Ausstieg“ der rot-grĂŒnen Regierung, den die jetzige CDU/FDP-Regierung durch die LaufzeitverlĂ€ngerung „rĂŒckgĂ€ngig“ gemacht haben. Jedesmal erhalten sie deutlichen Applaus dafĂŒr.

Frau Arnold und Herr Wacker halten das tapfer aus.

Extreme Verunsicherung.

Man merkt, dass es dem grĂ¶ĂŸeren Teil der GĂ€ste im Saal „Angst und Bange“ ist, angesichts dessen, was im Industrie-Musterland Japan gerade katastrophal passiert. Der dortige Gau hat viele – auch in den Reihen der örtlichen CDU-AnhĂ€nger – extrem verunsichert.

Sckerl und Kleinböck wollen raus aus der Atomenergie, das machen sie mehrfach klar, Schritt fĂŒr Schritt, mit Abschaltungen der „kritischen Meiler“ und nach und nach der restlichen AKWs. Und zwar konsequent. Je frĂŒher, desto besser.

DemgegenĂŒber steht vor allem Frau Arnold, die immer und immer wieder den „Wohlstand“ im Wort fĂŒhrt. Zitat WN:

„Wir wollen möglichst schnell aussteigen, aber unseren Wohlstand erhalten.“

Die Botschaft ist klar – ein schneller Ausstieg fĂŒhrt vom Wohlstand in die „Armut“ – ĂŒberspitzt formuliert.

Herr Wacker sagt, Zitat WN:

„Der sofortige Atomausstieg ist illusorisch. Aber wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um die Kernkraft ĂŒberflĂŒssig zu machen.“

„Dann fangen Sie doch mal an.“

Darum dreht sich der Kreis, der endlich einen Anfang haben soll, wie der Gast eingangs des Textes gefordert hat:

„Dann fangen Sie doch mal damit an.“

Bemerkenswert ist die Argumentationslage. Weder Uli Sckerl noch Gerhard Kleinböck fordern einen „bedingungslosen, sofortigen Ausstieg“.

Uli Sckerl sagt beispielsweise mit Zustimmung von Kleinböck:

„Niemand von den GrĂŒnen hat den Sofortausstieg gefordert, sondern die RĂŒckkehr zum rot-grĂŒnen Ausstieg.“

Aber Herr Wacker erhĂ€hlt deutlichen Applaus fĂŒr seine „illusorisch“-Behauptung. Obwohl niemand gefordert hat, was er „zurĂŒckweist“. Das ist Politik.

Die GÀste, die applaudieren, wollen nicht hören, was gesagt wurde, sondern hören, was sie hören wollen.

Irritierende Erfahrung.

ZufĂ€llig sitze ich hinter der Hirschberger CDU-Chefin Uschi Pschowski. Die fĂ€ngt fast reflexartig an zu kichern und zu lachen, wenn Sckerl, Kleinböck oder Hördt das Wort haben. „Oh Gott“, „ja, ja“, „unerhört“, höre ich im Hintergrund.

Man merkt, dass die Frau keinem Argument zugĂ€nglich ist, nicht zuhören, dafĂŒr aber stören will, die Redner „verlĂ€cherlichen“ will. Ihr Lachen ist abfĂ€llig. Das ist eine verstörende Erfahrung. Ich weiß zwar, wer sie ist, kenne sie aber nicht. Ihre fortlaufenden Kommentare sind mir sehr unangehem, weil sie so respektlos sind, so frech und ohne WĂŒrde fĂŒr eine AmtstrĂ€gerin. Aber das ist nur eine Randbeobachtung.

Vor mir sitzt, ebenfalls zufĂ€llig, der Ehemann von Frau Arnold. Stocksteif. Als hĂ€tte er einen Besen verschluckt. Er guckt konzentriert auf das Podium und nickt immerzu, wenn sie etwas sagt. Daneben sitzt ein Ehepaar, das sichtlich genervt „von seinem Abnicken“ ist. Ob sie wissen, wer er ist, weiß ich nicht.

Frau Arnold sagt laut WN:

„Wenn Atomenergie so ein Teufelszeug ist, warum hat dann Rot-GrĂŒn 2002 nicht den sofortigen Ausstieg beschlossen?“

Wir haben notiert:

„Wir sind alle miteinander betroffen ĂŒber das, was in Japan passiert ist. Es macht aber absolut keinen Sinn, jetzt alles abzuschalten.“

So geht das in einem fort.

Am Ende des Abends wird klar: Georg Wacker (CDU) und Dr. Birgit Arnold (FDP) vertreten die Parteilinien konsequent. „Moratorium“, „GesprĂ€che“, „Planungen“ kĂŒndigen sie an, halten aber steif und fest an der „BrĂŒckentechnologie“ Atomkraft fest.

Ein schneller, ein entschiedener Ausstieg ist von ihnen nicht zu erwarten.

Und Herr Wacker sagt:

„Man muss die richtige Akzente setzen. Ich wĂ€re mal gespannt, wie sich die BĂŒrgerinitiativen der Bergstraße positionieren, wenn die Bergstraße zu Vorranggebieten fĂŒr Windkraft gemacht wĂŒrde.“

Windkraft als „Protestthema“.

DafĂŒr erhĂ€lt er viel Applaus, die CDU-Parteimitglieder klatschen besonders heftig. Man könnte fast meinen, dass sie die erste BI gegen Windkraft vor ihrer schönen HaustĂŒr organisieren werden, denn das „verspargelt“ ja die Landschaft, wie Herr Wacker sagt.

Uschi Pschowski hinter mir klatscht, was ihre HĂ€nde hergeben: „Richtig, genau“, ruft sie. Der Trotz ist spĂŒrbar.

Und ich spĂŒre auch, dass Frau Pschowski wahrscheinlich noch nicht verstanden hat, dass WindkraftrĂ€der vielleicht ihre Aussicht verschandeln wĂŒrden, aber niemals tausende, hunderttausende oder mehr Menschen tödlich verstrahlen werden.

So ist das mit den Aussichten und Ansichten.

Ausstieg vs. Wohlstand.

Der vermeintliche Wohlstand wird beschworen – ohne Anerkennung der Lage in Japan, wo sehr viele Menschen nicht nur Wohlstand, sondern ihr Leben verlieren werden.

Frau Arnold und Herr Wacker bewerben weiterhin „gĂŒnstige“ Atomenergie – ohne Kenntnis dessen, was die „Einsparung“ der vergangenen Jahre in Zukunft kosten wird.

Um es „nĂŒchtern“, ohne jede EmotionalitĂ€t zu benennen: Vier Atommeiler eines einzigen, weit entfernten Kraftwerks schocken gerade die Welt und die Börsen gehen runter. Die Handelsbeziehungen wichtiger Industriebereiche stehen vielleicht vor einem „Gau“.

Wer angesichts der Ereignisse die Atomenergie immer noch zu einem „Wohlstandsthema“ macht, hat entweder gar nichts verstanden oder hat sogar einen RealitĂ€tsverlust oder hat andere Interessen.

Soviel wurde deutlich: Dr. Birgit Arnold macht die Atomenergie zur Wohlstandsfrage, BildungsstaatssekretĂ€r Georg Wacker hĂ€lt an der „BrĂŒckentechnologie“ fest und Uli Sckerl ist sich mit Gerhard Kleinböck einig, dass man so schnell wie möglich aus der Atomenergie aussteigen will.

Deutlicher konnten die Positionen nicht bezogen werden.

Anmerkung der Redaktion:
Wir haben die Veranstaltung „live“ mitprotokolliert. ZunĂ€chst auf Twitter und dann auf Facebook.

Alle Notizen finden Sie hier:

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Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist GrĂŒndungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten PortrĂ€ts und Reportagen oder macht investigative StĂŒcke.