Guten Tag!
Rhein-Neckar/Japan/Welt, 13. MĂ€rz 2011. (red) Die Erdbeben-Katastrophe hat zuerst Japan erschĂŒttert und enorme Zerstörungen angerichtet. Auf die Naturkatastrophe folgt die technische Katastrophe. Weitere, weltweite „ErschĂŒtterungen“ werden folgen. Politische und wirtschaftliche, eventuell auch gesundheitliche. WĂ€hrenddessen ist die Berichterstattung ĂŒber die Katastrophe ein Teil davon.
Von Hardy Prothmann
Die erste Meldung, die ich zur Erdbeben-Katastrophe in Japan wahr genommen habe, sprach von einem starken Beben und mehreren Dutzend Toten.

Ein "Retter" hÀlt einen Jungen", trÀgt ihn aus der Zone der chaotischen Störung. Der Jung scheint unverletzt, die Kleidung ist sauber, er hat beide Schuhe an, gibt keinen Laut von sich. Ist das glaubhaft, wenn man die Zerstörung im Hintergrund sieht? Oder ist das eine "gestellte" Aufnahme? Die ARD stellt die Frage nicht, sondern zeigt die Bilder und bestÀtigt damit deren "Echtheit". Quelle: ARD
Jede Hoffnung auf einen „glimpflichen Ausgang“ der TrĂ€godie habe ich mittlerweile aufgegeben.
Denn ein paar Stunden spĂ€ter sind es schon hundert oder zweihundert Tote und ein „enorm schwereres“ Beben.
Einen Tag spĂ€ter ist es das „schwerste, je gemessene“ Beben, dass die japanische Insel seit Beginn der Aufzeichnungen erschĂŒttert hat und es sind „vermutlich“ ĂŒber 1.000 Tote.
Wiederum Stunden spĂ€ter sind es „möglicherweise“ mehr als 10.000 Tote – die KĂŒstenstadt Minamisanriku sei „völlig zerstört“.
Seit das Beben der StĂ€rke 8,8 auf der Richter-Skala am 11. MĂ€rz 2011 um 06:45 Uhr unserer Zeit das weit entfernte Japan erschĂŒttert hat, sind noch nicht einmal zwei Tage vergangen.
Die Energie der Katastrophe wird immer unfassbarer.
Und die Nachrichten verdichten sich, schmelzen zusammen. Die Energie der Zerstörung wird immer deutlicher, wenn auch immer noch unfassbar.
Das auslösende groĂe Beben ist vorbei, Nachbeben erschĂŒttern das Land.
Und die fĂŒrchterlichste Katastrophe lĂ€uft langsam, aber „sicher“ ab. In Block 1 des Kernkraftwerks Fukushima I droht eine „Kernschmelze“.
Die Kettenreaktion der Nachrichtenschleife wiederholt sich.
Auch andere Reaktoren sollen „Probleme“ haben – die Nachrichtenschleife beginnt von vorne.
Erst heiĂt es, es drohe keine Gefahr. Dann, es gĂ€be gröĂere SchĂ€den, aber alles sei aber unter Kontrolle. Dann werden Schwierigkeiten gemeldet – die sind natĂŒrlich „unvermutet“.
Alles, was nach „echten Schwierigkeiten“ klingen könnte, wir dementiert.
Alle Nachrichten sind unsicher. Dann wird bestĂ€tigt, dass Fukushima „möglicherweise auĂer Kontrolle“ sei. Dann explodiert was. Was genau, kann niemand ganz genau sagen. Aber die Bevölkerung wird zur „Ruhe“ aufgefordert.

"Kontrolleure" winken Personen durch. Ist das glaubwĂŒrdig, wenn einer nach dem anderen "durchgewunken" wird? Quelle: Spiegel online
Dann wird eine Sicherheitszone von zehn Kilometern eingerichtet, spÀter auf 20 Kilometer erweitert.
Dann verdichten sich die Nachrichten, dass eine Kernschmelze bevorstehe oder bereits begonnen habe.
Dann gibt es Meldungen, dass Menschen „in Sicherheit“ gebracht, also vermutlich evakuiert wĂŒrden.
200.000 Menschen in Sicherheit?
Dann sind es „vermutlich“ 100.000, dann 110.000 und gegen Mitternacht meldet Spiegel Online: „Japan bringt 200.000 Menschen in Sicherheit.“
Das mag man so gerne glauben: Sicherheit fĂŒr die Menschen in den betroffenen Gebieten.
ĂĆberall laufen Videobilder: Menschen werden auf „radioktive Konterminierung“ geprĂŒft und dĂŒrfen weggehen, Helfer holen Kinder, Alte und Verletzte aus den feuchten MĂŒllwĂŒsten, die der Tsunami hinterlassen hat.
Auffanglager werden gezeigt und statt „Durchhalteparolen“ dĂŒrfen interviewte Personen sagen, dass sie Angst haben, aber hoffen und es keinen Ausweg gibt.
Tatsache ist:
Seit um 06:45 Uhr unserer Zeit ein gigantisches Erdbeben Japan erschĂŒtterte, wird zunĂ€chst Japan von einer unglaublichen Katastrophe heimgesucht.
Das Erbeben hat enorme, noch nicht bezifferbare SchÀden ausgelöst.
Auf das Erdbeben folgt ein Tsunami mit einer unglaublich zerstörerischen Energie. Aus der sichereren Hubschrauberperspektive aufgenommene Bilder belegen eine natĂŒrliche Zerstörungsgewalt, die bar jeder „Ideologie“ ist, sondern nur physikalischen Gesetzen folgt. Es gibt kein „gut“ oder „schlecht“, sondern nur hohe Wellen mit einem gigantischen Druck, die alles mitreiĂen.
Auf die Naturkatastrophe folgt die technische Katastrophe. Die Infrastruktur des Landes ist beschĂ€digt. Die KĂŒhlsysteme von einigen Atomkraftwerken sind angegriffen und versagen.
Die Medien transportieren lange vor der möglichweise stattfindenden Kernschmelze Meldungen aus allen Richtungen, die alle nicht „sicher“ sind.
Die Hoffnung ist zu spĂŒren – die Meldungen entwickeln sich schlecht.
Oft ist den Meldungen die Hoffnung anzumerken, dass die Katastrophe nach der Katastrophe ausbleibt.
Aber die Meldungen entwickeln sich schlecht und es wird immer klarer, dass der Tsunami die schlimmste Naturkatastrophe in der „aufgezeichneten“ Geschichte Japans ist, aber die sich ankĂŒndigende technische Katastrophe noch „schlimmer“ sein könnte.
Um das Kernkraftwerk Fukushima wird eine „Sicherheitszone“ eingerichtet, erst zehn Kilometer, dann zwanzig Kilometer.

Ob ARD, ZDF, Spiegel oder andere Nachrichten"quellen" - ĂŒberall diesselben Bilder derselben Turnhalle, die als Beleg dafĂŒr herhalten muss, dass hunderttausende von Menschen evakutiert werden. Quelle: Spiegel online
Angeblich werden 200.000 Menschen „in Sicherheit“ gebracht. Innerhalb von Stunden – wie das „logistisch“ in einem Land möglich ist, dessen Infrastruktur empflindlich gestört wurde, berichtet kein Medium. Ebensowenig, wie man mal eben innerhalb von Stunden eine Logistik aufbaut, um 200.000 Menschen „aufzufangen“.
Die Medien berichten trotzdem weiter. Meldung um Meldung kommt in die Redaktionen, wird dort „bearbeitet“ und verlĂ€sst sie wieder – dann und dann sind die Nachrichten auf Sendung, dann und dann mĂŒssen Zeitungen gedruckt werden. Immer braucht es die „neueste“ Nachricht, die „letzte Meldung“.
Doch die Zeitverschiebung verstĂ€rkt das Chaos – Europa ist acht Stunden „hinter“ Japan. Wer sich am Nachmittag oder Abend informieren will, gekommt keine neuen Nachrichten, denn es ist dann Nacht in Japan.
Nachrichten ohne Halbwertzeit.
Und niemals sagt jemand: „Stop – nichts, von dem, was wir berichten, kann irgendjemand ĂŒberprĂŒfen. Solange das nicht „gecheckt“ ist, gehe ich damit nicht auf Sendung.“ Oder: „Sie sehen hier Bilder, die wir gekauft haben. ĂĆber die ZuverlĂ€ssigkeit können wir Ihnen keine Auskunft geben, weil wir nicht vor Ort waren.“
Es gibt keine Halbzeitpause und schon gar keine Halbwertzeit fĂŒr Nachrichten.
Nach und nach „verdichten“ sich aber die Nachrichten und es wird immer „klarer“, dass alles, was noch Stunden zuvor gemeldet worden ist, keine GĂŒltigkeit mehr hat.
Aus Sicht der Medien, vor allem der Hörfunk- und Fernsehsender, ist das egal. Je mehr Dramatik, umso besser – damit kann man den „Flow“, also die Nachrichtenkette wunderbar weiterfĂŒhren.
Voranschreitendes UnglĂŒck fĂŒr Tageszeitungen.
FĂŒr die Tageszeitungen, vor allem die lokalen, ist ein solch dramatisch voranschreitendes UnglĂŒck aber eine andauernd zeitversetzte Katastrophe. Was in der Zeitung als Nachricht steht, ist schon lĂ€ngst „verglĂŒht“ und stimmt aktuell nicht mehr.
Gerade die Lokalzeitungen sind „doppelt getroffen“ – einerseits von dem unglaublichen Ereignis und seiner Geschwindigkeit und andererseits, weil sie keine eigenen Leute vor Ort haben. Korrespondenten leistet sich so gut wie keine Monopolzeitung mehr.
Sie können nur abschreiben, was „die Agenturen“ berichten. Und das nur bis zum Druck des Blattes – jede Korrektur in den Stunden danach findet in der Lokalzeitung nicht mehr statt.
Kollektiver Gau aller „Nachrichtenredaktionen“.
Was es bedeutet, mal eben innerhalb von „Stunden“ 200.000 Menschen dauerhaft zu evakuieren, fragt keiner. Die sind „in Sicherheit gebracht“ und „schlucken Jod-Tabletten“, damit sich kein radioaktives Jog in deren SchilddrĂŒse einlagert.
Die Bilder, wo diese „200.000 Menschen“ untergebracht sind, fehlen. Die Frage, wie man das mal eben so innerhalb eines Tages organisiert, auch.
ĂĆber GroĂveranstaltungen im Heimatland wie Rock-Konzerte wird hingegen ĂŒber Monate im voraus berichtet, ĂŒber die Herausforderungen fĂŒr den Verkehr, die Polizei, die RettungskrĂ€fte, die Veranstalter und die zu erwartende Show – und das bei funktionierender Infrastruktur.
Sehnsucht nach Halt im Chaos, wÀhrend die Kerne schmelzen.
Darum geht es aber gerade nicht. Es geht um die Sehnsucht, dass irgendjemand weiĂ, was er tut. Es geht um einen „Halt“ im Tsunami der sich ĂŒberschlagenden Nachrichten.
Im Internet und dann auch im Fernsehen werden eine „Turnhalle“ und ein „Zeltunterstand“ mit Bildern von „Kontrolleuren“ in vermeintlichen Maler-PapieranzĂŒgen gezeigt, mit der Bildaussage, das „alles unter Kontrolle“ ist.
Nachrichten im Sog der Kernschmelze.
SpĂ€testens dann wird klar, dass eine journalistische Kernschmelze begonnen hat und nichts mehr „unter Kontrolle“ ist. Dass nur noch in Konkurrenz zu anderen um „die besten Bilder“ ein Theater veranstaltet wird, das seinesgleichen sucht.
Ich gehe davon aus, dass die „Nachrichten“ der kommenden Tage eine Katastrophe zeigen, die noch „unglaublicher als unglaublich“ sein wird.
Die Informationen werden erschĂŒtternd sein – fĂŒr Weltbilder, fĂŒr die Wirtschaft, fĂŒr die Politik, fĂŒr den Glauben an die „Zukunft“ – zumindest in Japan, aber vermutlich in der ganzen Welt.
ĂĆber die Folgen hat noch niemand berichtet – sie werden ebenfalls „unglaublich“ sein.
Bis man sie glauben muss.
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