
Chefredakteur Hardy Prothmann fordert Landrat Stefan Dallinger (CDU) auf, keinen Einfluss auf journalistische Recherchen auszuĂŒben.
Rhein-Neckar, 11. Februar 2014. (red) Das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises mischt sich in unsere Recherchen ein. Das Thema Asylbewerber ist hochpolitisch – insbesondere wegen der bevorstehenden Kommunalwahl. Wir fordern den verantwortlichen Behördenleiter, Landrat Stefan Dallinger (CDU) unmissverstĂ€ndlich auf, dies zu unterlassen und die Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Landespresserecht zu respektieren. Alles andere wĂ€re unertrĂ€glich.
Sehr geehrter Herr Landrat Dallinger,
die Grundlage fĂŒr die journalistische Arbeit ist Artikel 5 Grundgesetz. Ich gehe davon aus, dass Ihnen als Jurist der Artikel bekannt ist. Danach findet eine staatliche Zensur nicht statt und jedem ist es gestattet, sich aus öffentlich zugĂ€nglichen Quellen zu informieren und sich eine Meinung zu bilden. Die entsprechenden Landespressegesetze privilegieren Pressevertreter darĂŒber hinaus zu weiteren AuskunftsansprĂŒchen. Die Presse erfĂŒllt – die Literatur des Bundesverfassungsgerichts ist Ihnen sicherlich bekannt – eine wesentliche öffentliche Aufgabe, die den Menschen in diesem Land wichtige Informationen an die Hand gibt, um sich eine Meinung zu bilden und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Wir haben auf dieser Basis alle 54 Gemeinden im Rhein-Neckar-Kreis angeschrieben und um Auskunft gebeten, wann, in welcher Form und mit welchem Inhalt diese von Ihnen in der jĂŒngeren Vergangenheit ersucht worden sind, Wohnraum fĂŒr Asylbewerber anzubieten. Diese Recherche macht Arbeit: Den Gemeinden, die unsere Anfrage beantworten mĂŒssen und uns umso mehr, als wir die Antworten auswerten werden.
Wir recherchieren aber nicht, um uns und anderen Arbeit zu machen, sondern um Informationen zu erhalten, die von öffentlichem Interesse sind. DafĂŒr scheuen wir keinen Aufwand.
In vorliegendem Fall unternehmen wir eine sogenannte ĂberprĂŒfungsrecherche. Sie selbst haben bei mehreren Terminen die Ăffentlichkeit ĂŒber Pressevertreter informiert, dass Sie „hĂ€nderingend“ UnterkĂŒnfte im gesamten Kreis gesucht hĂ€tten – leider fast ergebnislos. Die Darstellung, wie Sie das getan haben, kann keinen anderen Eindruck erzeugen, als dass Sie alles Erdenkliche und darĂŒber hinaus unternommen haben, um die wachsende Zahl von FlĂŒchtlingen, die Sie als zustĂ€ndiger Behördenleiter gesetzlich verpflichtet unterbringen mĂŒssen, sozial vertrĂ€glich in den Kreisgemeinden unterzubringen und dafĂŒr zu sorgen, dass weder die Gemeinden und ihre Einwohner ĂŒber GebĂŒhr belastet werden, noch die hilfesuchenden Menschen unter unwĂŒrdigen Bedingungen untergebracht werden.
Diese „Anstrengungen“ bezeichnen Sie als „dezentrale“ Unterbringung. TatsĂ€chlich handelt es sich unserer Auffassung nach, die wir belegen können, eben nicht um eine solche. Aktuell nehmen nach unserem Kenntnisstand neun Gemeinden den GroĂteil der FlĂŒchtlinge auf. Das sind 16 Prozent der Gemeinden im Kreis, die den GroĂteil der FlĂŒchtlinge aufnehmen. Dezentral wĂ€re es unserer Auffassung nach, wenn 84 Prozent oder zumindestens deutlich mehr als die HĂ€lfte eine verteilte Aufnahme tragen wĂŒrden.
Wir haben aufgrund anderer Recherchen erhebliche Zweifel an Ihrer Darstellung einer umfassenden MĂŒhe. Die Rechercheanfrage an die Gemeinden soll uns Auskunft geben, welche Anstrengungen unternommen worden sind. Die Recherche ist von unserer Seite ergebnisoffen gehalten worden.
Ihre Pressesprecherin Silke Hartmann wurde nach eigener Aussage gegenĂŒber uns von mehreren Gemeindeverwaltungen angefragt, wie man auf unsere Rechercheanfrage reagieren sollte. Die korrekte Antwort von Frau Hartmann hĂ€tte lauten mĂŒssen:
Beantworten Sie bitte die Fragen der Journalisten. Ich bin dafĂŒr nicht zustĂ€ndig, weil diese Anfragen Ihre Gemeinde betreffen und nicht den Kreis.
Was Frau Hartmann den Gemeindevertretern gesagt hat, ist uns nicht bekannt. Wohl aber, wie sie reagiert hat.
Frau Hartmann hat eine offensichtlich hastig zusammenfassende Stellungnahme geschrieben, in der einige Fehler enthalten sind. Beispiel: Nicht ein Gebiet an der „Heddesheimer“ StraĂe in Weinheim ist fĂŒr den Bau einer Asylbewerberunterkunft in Weinheim ausgesucht worden, es ist die Heppenheimer StraĂe. Frau Hartmann hat dann diese Zusammenfassung wiederum an alle Kreisgemeinden per email versandt.
Einige der Gemeinden haben daraufhin umgehend an uns geschrieben, dass man sich der Darstellung des Kreises anschlieĂt und unsere Fragen nicht beantwortet. Wir dĂŒrfen annehmen, dass genau dies Sinn und Zweck dieser Stellungnahme durch Frau Hartmann war.
Dies konterkariert aber in entscheidender Weise das Ziel unserer Recherche. Wenn wir an einer zusammenfassenden Darstellung des Landratsamts interessiert gewesen wĂ€ren, hĂ€tten wir Frau Hartmann direkt darum ersucht. Wir kennen diese Darstellung und wir wollen diese mit AuskĂŒnften aus den Gemeinden ĂŒberprĂŒfen. Frau Hartmann hat sich damit ohne Grund und ohne ZustĂ€ndigkeit in unsere Arbeit massiv eingemischt und diese behindert. Nach diesem Vorgang mĂŒssen wir bezweifeln, ob die Gemeinden aus Sorge ĂŒber Nachteile im „InnenverhĂ€ltnis“ zum Kreis unsere Anfrage noch „offen“ beantworten und nicht stattdessen ausweichend oder unscharf werden. Das ist eine nicht hinzunehmende Einmischung in die grundgesetzlich garantierte Informationsfreiheit und in die oben benannte Aufgabe der Presse.
Uns und der Ăffentlichkeit ist zudem ein Schaden entstanden, weil wir nun alle Gemeinden nochmals anschreiben mĂŒssen, unter wesentlich schwierigeren Bedingungen, weil wir mit Voreingenommenheiten rechnen mĂŒssen. Zudem tritt eine zeitliche Verzögerung ein. Am Mittwoch, den 12. Februar 2014 wird im Weinheimer ATU ĂŒber einen Aufstellungsbeschluss im Gebiet der Heppenheimer StraĂe beraten und wir wollten vor der Sitzung berichten. Das ist nun nicht mehr möglich. Damit handelt es sich bei diesem VorstoĂ nicht nur um eine Behinderung der Presse, sondern auch eine politische Einflussnahme auf eine demokratische Entscheidungsfindung. Und das ist unertrĂ€glich.
Uns ist nicht bekannt, ob Frau Hartmann in vorauseilendem Gehorsam oder auf Ihre Weisung gehandelt hat. UnabhĂ€ngig sind Sie als Behördenleiter fĂŒr den Vorgang verantwortlich und wir erwarten von Ihnen eine Stellungnahme zur Sache sowie eine Versicherung, dass derartige Einmischungen kĂŒnftig unterbleiben. Sollten wir keine zufriedenstellende KlĂ€rung Ihrerseits erhalten, werden wir Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Sie und Frau Hartmann einreichen. Das Landratsamt ist fĂŒr AuskĂŒnfte der Gemeinden nicht zustĂ€ndig. Und dieses Verhalten missachtet zudem die GrundsĂ€tze der Selbstverwaltung der Gemeinden – mithin handelt es sich um ein beschĂ€mendes Verhalten gegenĂŒber den Gemeinden, denen die Kompetenz der selbstverantwortlichen Auskunft zu entziehen versucht wird.
Trotz unserer BefĂŒrchtungen gehen wir aus Respekt vor den Gemeinden davon aus, dass die Kommunen sich ihrer rechtlichen Stellung bewusst sind und sich nicht durch das Verhalten des Landratsamts beeinflussen lassen, sondern sorgfĂ€ltig und ordentlich in Anerkennung unserer öffentlichen Aufgabe die Anfrage beantworten werden. Ein Teil der Gemeinden, darunter einige im Landtagswahlkreis Weinheim (unser Hauptgebiet), aber auch andere, die uns durch eine gute Zusammenarbeit kennen, haben die Anfrage unbeeindruckt vom VorstoĂ von Frau Hartmann bereits zeitnah beantwortet.
Wir gehen davon aus, dass Sie Frau Hartmann und das Presseteam entsprechend darĂŒber belehren, welche ZustĂ€ndigkeiten ins Aufgabengebiet der Pressestelle fallen und welche ganz sicher nicht.
Und wir gehen ebenfalls davon aus, dass Sie unseren offenen Brief als das verstehen, was er ist: Eine Unterrichtung der Ăffentlichkeit ĂŒber Behinderungen der freien Presse durch eine Behörde. Wir gehen davon aus, dass es sich um einen einmaligen Fehler handelt, der sich nicht wiederholt und die bislang gute Zusammenarbeit nicht beschwert.
SelbstverstÀndlich erwarten wir von Ihnen ebenfalls eine entsprechende schriftliche Information an die Kreisgemeinden, dass die zusammenfassende Antwort durch das Landratsamt an uns und die Gemeinden ein Fehler oder ein Missgeschick war und Sie die Gemeinden bitten, diese zu ignorieren.
Mit freundlichen GrĂŒĂen
Hardy Prothmann
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