
Der erhobene Zeigefinger ist sein Markenzeichen: Was Bürgermeister Michael Kessler nicht passt, „kann er so nicht stehen lassen“, muss er „richtigstellen“ oder „muss dazu etwas sagen“. Was sagt er zum größten Ansiedlungsunfall aller Zeiten?
Heddesheim, 07. März 2014. (red) Der noch amtierende Bürgermeister Michael Kessler wollte mit „Pfenning“ sein Meisterwerk abliefern. Doch das ist gründlich schief gegangen. Beim MM-Forum am Donnerstag bekräftige er nochmals die „richtige Entscheidung“, das Logistikunternehmen nach Heddesheim zu holen. Fast alle Befürchtungen der Kritiker sind eingetroffen. Und eines der wichtigsten Argumente, „bis zu 1.000 Arbeitsplätze“ hat sich in Luft aufgelöst. Wenn am 16. März ein neuer Bürgermeister gewählt wird, sollten die Bürger genau nachrechnen, was versprochen worden ist – und was davon gehalten wurde.
Von Hardy Prothmann
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Sorge über eine zu hohe Verkehrsbelastung ist bislang nicht eingetroffen. Der Grund ist ein einfacher: Hohe Leerstände, kaum Arbeit, heißt auch kaum Verkehr.
Die Sorge allerdings, dass die Versprechungen über „erhebliche Gewerbesteuerzahlungen“ und „bis zu 1.000 Arbeitsplätze“ überhaupt nicht eintreffen, ist mehr als begründet.
Es wird berichtet, dass im vergangenen halben Jahr mindestens 200 Arbeitsplätze abgebaut worden sind. Wir haben Unterlagen recherchieren können, nach denen der geplante Abbau von 64 Arbeitsplätzen im letzten Quartal 2013 belegt werden kann.
Existenzielle Schwierigkeiten
Und diese Unterlagen enthalten noch andere Informationen, die andeuten, dass „Pfenning“ in absoluten existenziellen Schwierigkeiten ist. Die Entlassung von 64 Mitarbeitern sei absolut notwendig „angesichts der angespannten Lage“, „um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern“.

Der „Fortbestand des Unternehmens“ konnte Ende September 2013 nur durch die Entlassung von 42 Prozent der Lagerbelegschaft „gesichert“ werden.
Die 64 Mitarbeiter entsprechen laut den uns vorliegenden Unterlagen 42 Prozent der Belegschaft am Standort Heddesheim. Ursprünglich gab es eine „pfenning Transport GmbH“ sowie eine „pfenning Logistik GmbH“, die zur „pfenning Distribution GmbH“ verschmolzen wurde und diese wiederum firmierte in die „pfenning Logistics GmbH“ um. Rechnet man die 64 Lagerbeschäftigten auf 100 Prozent hoch, dann beschäftigte „Pfenning“ selbst im Jahr 2013, ein Jahr nach dem offiziellen Start in Heddesheim, lediglich 152 Personen im Lagerbereich.
Im Geschäftsjahr 2011 hat „Pfenning“ einen Verlust von 2,4 Millionen Euro ausgewiesen und einen „negativen Steuerbetrag“ – das Unternehmen zahlt also keine Steuern, sondern bekommt sogar welche zurück. Laut Gewinn- und Verlustrechnung hatte man 159,7 Millionen Euro Umsatz gemacht, nach 154,7 im Jahr 2010. Das ist aber nur scheinbar eine Steigerung – der Mehrumsatz dürfte aus dem Verkauf eines Unternehmens herrühren. Und gegenüber eigenen Angaben aus dem Jahr 2008 mit angeblich 210 Millionen Euro hat das Unternehmen drei Jahre später gut 24 Prozent des früheren Umsatzes verloren. Und in der Logistikbranche sind die Margen gering.
Wenn das Unternehmen nun fast die Hälfte der Lagerbelegschaft entlassen muss, um das „Überleben“ hinauszuzögern, kann man sich vorstellen, dass die Lage äußerst prekär ist. Gewerbesteuerzahlungen sind sicher nicht zu erwarten.
Mieser Sozialplan
Der „Sozialplan“ für die entlassenen Mitarbeiter sieht einen Faktor 0,2 auf ein Brutto-Monatsgehalt pro ganzjähriger Betriebszugehörigkeit vor – das heißt, wer zwei volle Jahre und 350 Tage beschäftigt war, verliert ein Jahr. Ein Lagerarbeiter, der mindestens drei volle Jahre bei Pfenning beschäftigt war und im Juli 2013 einen Bruttolohn von 1.400 Euro hatte, bekommt eine „Abfindung“ von 840 Euro – vor Steuern. „Üblich“ sei sonst mindestens ein Faktor von 0,5-1,2 erklärt ein auf Arbeitsrecht spezialisiert Anwalt. Bei guten Sozialplänen würden auch Behinderungen, Kinder und andere Faktoren mit eingerechnet – beim „Pfenning“-Sozialplan steht davon nichts. „Dass sich ein Betriebsrat auf solche Konditionen einlässt, heißt nur, dass die nackte Angst umgeht. Offensichtlich versucht man unter Schmerzen wenigstens ein paar Arbeitsplätze zu sichern.“
Nach unseren Informationen werden in „Stoßzeiten“, wenn also tatsächlich mal viel Ware angeliefert wird, über Leiharbeitsfirmen zusätzliche Kräfte „stundenweise“ angekarrt. Sobald die Arbeit erledigt ist, müssen diese das Gelände wieder verlassen.
Das Jahrhundertprojekt ist gescheitert
Zudem betreibt Pfenning eine eigene Leiharbeitsfirma namens be4work GmbH. Hier wird kolportiert, das zuvor entlassene Mitarbeiter über diese Firma „Angebote“ zu deutlich schlechteren als den ohnehin schon schlechten Konditionen erhalten.
Ebenfalls interessant. Seit Juli 2012 arbeitet Johannes Frey als Leiter Revision, Organisation und Recht bei der KMP Holding GmbH (Pfenning Logistics Gruppe). Herr Frey ist Berater bei Cayla Consulting Group AG, München. Seine Spezialität: Unternehmenssanierung und Insolvenzvorbereitung aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht.

Gut 430 Gäste sind Zeugen, dass der noch amtierende Bürgermeister nach wie vor „Pfenning“ als sehr gute Entscheidung sieht, obwohl er angeblich nicht weiß, wie viele Menschen dort keine Arbeit gefunden haben. Wir haben über fünf Jahre kritisch berichtet – der MM nicht. Wer sich auf die Zeitung verlässt, ist klar im Nachteil.
Bürgermeister Michael Kessler sagte vor rund 430 Gästen im Bürgerhaus am Donnerstagabend, er wisse nicht, wie viele Mitarbeiter bei „Pfenning“ beschäftigt seien. Aber er wisse „sicher“, dass es einige hundert seien. Wie man etwas nicht weiß, aber sicher sein kann, ließ Herr Kessler offen.
Bürgermeister Kessler hat „Pfenning“ als „Jahrhundertprojekt“ bezeichnet, mit dem die Zukunft Heddesheim gesichert würde. Jeder, der die politische Auseinandersetzung verfolgt hat, weiß das. Die Hauptargumente waren ein Gleißanschluss, erhebliche Gewerbesteuern, bis zu 1.000 Arbeitsplätze und neue Einwohner für Heddesheim.
Aktuell weiß man: Es gibt keinen Gleisanschluss. Es gibt keine Gewerbesteuerzahlungen. Von den bis zu 1.000 (neuen) Arbeitsplätzen dürften inklusive Verwaltungsarbeitsplätzen höchstens noch 250 existieren (laut Bilanz 2011 waren es 1.514 gewerbliche Arbeitsplätze unternehmensweit, die aber auf viele Standorte auch im Ausland fallen). Und viele, die wegen eines Arbeitsplatzes bei „Pfenning“ nach Heddesheim gezogen sind, haben keinen Job mehr.
Master of desaster: Michael Kessler
Verantwortlich für dieses Desaster ist Bürgermeister Michael Kessler, der mit „Pfenning“ auf einen Streich der „100-Millionen-Euro“-Kessler werden und seinen legendären Vater Fritz überrunden wollte. Das ist gründlich schief gegangen.

Stur, rechthaberisch, herrisch. Michael Kessler kann man alles vorwerfen, aber nicht, dass er sich verleugnet. Er präsentiert sich, wie man ihn mittlerweile kennt: „Ich bin die Gemeinde.“.
Sehr interessant war eine „Präzisierung“, die Herr Kessler beim MM-Wahlforum vorgenommen hat. Nicht dieses „eine bedeutende“ Unternehmen werde vermutlich für eine siebenstellige Gewerbesteuer-Mehreinnahme stehen, sondern „mehrere“ Neuansiedlungen. Damit hat er unsere frühere Berichterstattung bestätigt: Das Geld kommt mit großer Sicherheit von der „Phoenix 2010 GbR“, die vermutlich nur noch aus Karl-Martin Pfenning besteht. Nach unseren Informationen soll der „regional verbundene“ Unternehmer beim Verkauf (wir hatten exklusiv berichtet) der Immobilie an den Immobilienfonds Union Investment Real Estate rund 15 Millionen Euro Gewinn gemacht haben – vor Steuern. Da die Ein-Mann-Firma auch in Heddesheim gemeldet ist, kann sich hier ein Betrag von 1-1,5 Millionen Euro Gewerbesteuern ergeben haben. Mit Sicherheit viel Geld, aber angesichts des satten Geschäfts für Herrn Pfenning verschmerzbar.
Anm. d. Red.: Über die Veranstaltung am Donnerstag berichten wir voraussichtlich erst am Dienstag, nachdem die erneute „Kandidatenrunde“ am Montag stattgefunden hat.
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