Guten Tag!
Heddesheim, 05. Februar 2010. Im aktuellen Mitteilungsblatt schreibt Dr. Josef Doll zur Schulpolitik. Reichlich wirr dokumentiert der CDU-Fraktionsvorsitzene darin, dass er, obwohl promoviert, nicht in der Lage ist, wissenschaftliche Studien korrekt wiederzugeben. Bei der Anzahl der Falschaussagen, unkorrekten Bezüge und mangelhaften Schlussfolgerungen muss man sich ernsthaft sorgen, wie die CDU-Fraktion zu ihren Beschlüssen kommt. Die Redaktion dokumentiert den Artikel, dessen Aussagen, Quellen und die massiven Fehler eines heillos wirren Verfassers.
Dokumentation, Faktencheck und Einordnung

Dokumentation: Dr. Josef Dolls Text im Mitteilungsblatt, Nr. 5/2010. Klicken Sie für eine größere Darstellung. Quelle: Mitteilungsblatt
Im Mitteilungsblatt Nr. 5/2010 schreibt Dr. Josef Doll auf Seite 22:
„Im Gemeinderat wurde mit 14 zu 7 Stimmen bei einer Enthaltung abgestimmt. Grüne + GR Prothmann waren dagegen. Das hat mit Ansiedlung Pfenning nichts zu tun. Ein Vorschlag war von der Gegnerseite die Einführung der Einheitsschule bis zur zehnten Klasse.“
Zutreffend ist die Darstellung der Abstimmung. Was das allerdings mit „Pfenning“ zu tun oder nicht zu tun haben soll – erschließt sich dem Leser nicht. Vermuten lässt sich, dass anders als behauptet, für Herrn Dr. Doll irgendwie doch alles mit „Pfenning“ zu tun hat.
Fixe Idee
Denn direkt im Anschluss benennt er die „Gegnerseite“. Die „Gegner“ scheinen eine fixe Idee bei ihm zu sein. Sieben Gemeinderat haben mit „Nein“ gestimmt. Damit üben sie ihr demokratisches Recht aus, was sie noch lange nicht zu pauschalen „Gegnern“ macht.
Ganz im Gegenteil befindet sich darunter ein Lehrer an der Johannes-Kepler-Schule. Der Gemeinderat Uli Kettner war zunächst für den Antrag auf eine gemeinsame Werkrealschule, stimmte dann aber gegen den Antrag, weil dieser nur noch eine Schulleitung vorsieht. Diese Haltung hat er umfangreich begründet.
Zu keiner Zeit haben er oder andere die „Einführung der Einheitsschule bis zur zehnten Klasse“ gefordert. Vielmehr wurde für ein möglichst langes gemeinsames Lernen plädoyiert. Dieses Plädoyer betraf eine politische Forderung der Partei der Grünen und ganz sicher nicht eine Beschlussvorlage des Gemeinderats. Auch wenn Herr Dr. Doll gerne so tut, als würden doch landespolitische Entscheidungen getroffen.
Weiter schreibt Herr Dr. Doll:
„Dies ist die Forderung der sechziger und siebziger Jahre und wissenschaftlich seit einigen Jahren überholt. So haben Lehmann und Lenkeit in der wissenschaftlichen Studie ELEMENT (2008) deutlich bei empirischen Untersuchungen nachgewiesen, dass der „Einheitsgedanke bis zur zehnten Klasse“ nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, da er sich zum Nachteil der Schüler auswirkt.“
Erstaunlich ist, wie es Herrn Dr. Doll gelingt, in einem einzigen Satz ein solche Fülle von falschen, halbwahren und verdrehten Behauptungen aufzustellen.
Unzulässige Vergleiche
„Forderung der sechziger und siebziger Jahre“: Tatsächlich lassen sich erste Forderungen für eine Gesamtschule bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen – also noch lange vor der Einführung der allgemeinen Schulpflicht im Königreich Preussen. Bei Wikipedia (siehe unter „Geschichte“) lässt sich nachlesen: „Die erste ausführliche Konzeption für eine Gesamtschule legte 1809 der preußische Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht Wilhelm von Humboldt vor.“
In dem Abschnitt ist sehr übersichtlich die Geschichte der Gesamtschule erklärt.
Was der „Einheitsgedanke bis zur zehnten Klasse“ sein soll, weiß nur Herr Dr. Doll. Er setzt den Ausdruck in Anführungszeichen und tut damit so, als würde er eine Person oder einen Fachterminus zitieren. Tatsächlich gibt es keinen solchen.
Wieder zitiert Herr Dr. Doll falsch und bemüht dafür die Studie ELEMENT. Dolls Behauptung: Hier sei empirisch nachgewiesen worden, dass gemeinsames Lernen bis zur zehnten Klasse „sich zum Nachteil der Schüler auswirkt.“.
Tatsächlich handelt es sich bei der Studie um eine „Erhebung zum Lese- und Mathematikverständnis Entwicklungen in den Jahrgangsstufen 4 bis 6 in Berlin“. Auch in dieser Studie taucht der Begriff „Einheitsgedanke bis zur zehnten Klasse“ niemals auf, mal abgesehen davon, dass nur bis zur 6. Klasse untersucht wurde. Und: Es geht um den Übergang ins Gymnasium, nicht um eine Werkrealschule. Allein deshalb ist der Vergleich schlicht unzulässig.
Der Verfasser der Studie, Prof. Dr. Rainer Lehmann, Professor für Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin, sieht allerdings die Ergebnisse seiner Studie sehr differenziert, wie dieses Interview mit Deutschlandradio belegt.
Im Kern stellt seine Studie heraus, dass für etwa zehn Prozent der leistungsstärkeren Schüler der Übergang von der 4. Klasse ins Gymnasium von Vorteil ist. „Im Prinzip ist die Berliner Lösung bis zur 6. Klasse gar nicht so verkehrt“, sagte uns Professor Lehmann auf Anfrage: „Nur eben für diese Gruppe der leistungsstarken Schüler nicht.“ Dabei verweist der Professor auf eine Vielzahl von Einflussfaktoren, beispielsweise dass in der Grundschule fast keine Fachlehrer des Bereichs Mathematik zum Lehreinsatz kommen und es eine „gewisse Infantilisierung der Grundschule in den vergangenen Jahren“ gegeben habe: „Der Übergang zum Gymnasium ist für viele Kinder dann ein Schock.“
Herr Dr. Doll schreibt:
„Nichts ist ungerechter als die Gleichbehandlung Ungleicher.“ Dieser Satz ist eine Behauptung – weder logisch, noch empirisch begründet. Herr Dr. Doll verwendet dieses chiastisch angelegte Postulat als Beleg gegen das Konzept der Gesamtschulen.
Herr Dr. Doll hat vor allem eines – keine Ahnung von dem, über das er schreibt
Mal unabhängig davon, ob man nun für oder gegen ein solches Konzept ist, verkennt Herr Dr. Doll in krasser Unkenntnis der praktischen Umsetzung von Lerninhalten an Gesamtschulen, dass dort die Kinder keineswegs gleich behandelt werden.
Es gibt Kurs- und Fördersysteme, die Schüler nach ihren Leistungen in Teilen eben unterschiedlich unterrichten – nur eben überwiegend zusammen. Herr Dr. Doll behauptet, dass alle Schüler „gleich“ behandelt würden. Das ist falsch.
Das gemeinsame Lernen hat vor allem einen sozialen Ansatz und soll die „soziale Trennung“ der Schüler eindämmen – etwas, was der Christdemokrat Doll anscheinend überhaupt nicht will.
Herr Dr. Doll schreibt:
„Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland deutlich niedriger als in den benachbarten Ländern. Dies wird auch auf das gegliederte Schulsystem zurückgeführt.“
Knapp vorbei ist auch daneben. So drückt sich ein Experte aus: „Länder mit geringer Jugendarbeitslosigkeit haben zudem ein duales Ausbildungssystem, das den Jugendlichen den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt erleichtert. In Frankreich und Spanien, wo die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch ist, gibt es dieses System nicht. Die hierzulande oftmals kritisierte Lehrlingsausbildung gilt dort als Modell“, sagt der Sozialforscher Peter Auer in einem Interview mit der Zeit (28. Oktober 2009).
Wieder bringt Herr Dr. Doll also mächtig etwas durcheinander.
„Die Gegner des Schulantrages nehmen keine Rücksicht auf die Interessen der Heddesheimer Schüler. Die dahinter stehende Ideologie ist falsch. Siehe die Ergebnisse von PISA und die Tatsache, dass Gesamtschulen bis heute nicht mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen als Schulen des gegliederten Schulsystems.“
Auch hier geht Herrn Dr. Doll wieder Einiges durcheinander. „Die Gegner des Schulantrages“ sind nicht gegen die Werkrealschule – sie sind gegen die Zusammenführung der Schulen unter eine Leitung. Dahinter steht keine „Ideologie“, sondern der Gedanke, dass eine Hauptschule am Ort mit eigener Leitung besser ist, als eine unter „fremder“ Leitung. Die Hinführung auf einen Werkrealschulabschluss würde auch an dieser Hauptschule stattfinden – nur eben nicht mehr die zehnte Klasse „Werkrealschule“.
Was PISA und die Bildungsgerechtigkeit angeht, kommt der Aktionsrat Bildung der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. zu folgendem Schluss: „Deutschland erreichte in allen Kompetenzbereichen ein Leistungsniveau, das dem OECD-Durchschnitt entsprach (vgl. Prenzel u. a. 2004, S. 70, S. 99, S. 118; vgl. Abb. 2). Allerdings liegen die durchschnittlichen Leistungen einer ganzen Reihe von Staaten (in mehr oder weniger allen Bereichen) deutlich über den in Deutschland beobachteten. Der internationale Vergleich führt so vor Augen, dass Jugendliche im Alter von 15 Jahren ein sehr viel höheres Kompetenzniveau als in Deutschland erreichen können. Wenn man will, kann man diesen Befund so interpretieren, dass deutsche Jugendliche im Vergleich zu denen anderer Staaten in gewisser Weise „benachteiligt“ sind, denn sie erhielten offensichtlich nicht die gleichen Chancen, ein entsprechend hohes Kompetenzniveau zu entwickeln.“
Dr. Doll und seine „Ideologien“
Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft dürfte eher unverdächtig sein, einer im Sinne von Dr. Doll unterstellten „Ideologie“ zu folgen, der angeblich die Grünen und der Gemeinderat Hardy Prothmann (Anm. d. Red.: Verantwortlich für das heddesheimblog) folgen.
Dr. Doll befürchtet bei einer „Einheitsschule bis zur zehnten, selbst bis zur sechsten Klasse“, dass „Privatschulen, auch für die Grundschule aus dem Boden schießen. Dies ist nicht Ziel der CDU. Ob dies im Sinne der Ablehner ist, wagen wir zu bezweifeln.“
Was genau Herr Dr. Doll da im pluralis majestatis zu „bezweifeln wagt“, kann man nur erahnen.
Weiter schreibt Herr Dr. Doll:
„In jedem Fall ist das ganze schwach recherchiert und ein erneutes Beispiel dafür, dass von den genannten Gruppierungen Ideologie wissenschaftlicher Erkenntnis vorgezogen wird.“
Dieser Satz ist ausnahmsweise richtig – allerdings nur, wenn man ihn auf die Ausführung von Herrn Dr. Doll bezieht.
Als guter Christ sollte Herr Dr. Doll vielleicht öfter mal die Bibel zur Hand nehmen und die zehn Gebote durchgehen. Das achte Gebot sagt: „Du sollst kein falsch Zeugnis ablegen.“
Einen schönen Tag wünscht
Das heddesheimblog
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