Dienstag, 26. Januar 2021

Stoppt Nordrhein-Westfalen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag?


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Vorerst wird es keinen JMStV geben

Guten Tag!

Heddesheim, 15. Dezember 2010. (cm) Wie die Grünen sowie die SPD in Nordrhein-Westfalen heute erklärt haben, wird der Landtag am 16. Dezember geschlossen gegen den novellierten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag stimmen. Der Staatsvertrag ist somit erst einmal vom Tisch.

Von Christian Mühlbauer

Nach der heftigen Kritik am Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) in den vergangenen Wochen ist dieser nun vorerst gescheitert. Nachdem die CDU in Nordrhein-Westfalen erklärt hatte, gegen den JMStV zu stimmen, haben sich heute auch die SPD sowie die Grünen angeschlossen.

Am 01. Januar 2003 ist die erste Version des Staatsvertrags als Gesetz in Kraft getreten. Die nun gescheiterte Novelle sollte den JMStV eigentlich fit für das Internetzeitalter machen.

Gelungen ist dies jedoch nicht. Stattdessen erntete das Gesetz scharfe Kritik. Mit Alterskennzeichnung oder Sendezeiten wollte man das Netz „jugendkonform“ gestalten. Dabei ging man davon aus, dass das Internet wie der normale Rundfunk funktioniert. Ein Trugschluss, der dadurch verschärft wurde, dass der Staatsvertrag selbst undurchsichtig formuliert war.

Einige Blogger hatten bereits angekündigt, ihre Blogs zum 01. Januar 2011 zu schließen. Zu unsicher sei die Rechtslage.

Ein Beitrag des Juristen Udo Vetter versuchte die Hysterie zu lindern. Zwar sei der JMStV problematisch, doch es werde wohl nicht so schlimm kommen, wie befürchtet.

Auch wir haben mit Rechtsanwalt Udo Vetter gesprochen und das Thema in einem Artikel behandelt.

Plötzlicher Sinneswandel

Bisher traf der JMStV bei den konservativen Parteien in allen Bundesländern auf große Akzeptanz. Umso überraschender ist nun der Wandel der CDU in Nordrhein-Westfalen. Diese stellten sich – gemeinsam mit der FDP – überraschend gegen den JMStV. Nach kurzem Zögern schlossen sich auch die SPD sowie die GRÜNEN an.

Nach Angaben der Parteien hätten formale Gründe sowie eine mangelnde Mehrheit im Landtag zu diesem Entschluss geführt. Aber auch inhaltliche Gründe hätten ihren Beitrag dazu geleistet. Wie SPD und GRÜNE erklärten, sei man nicht bereit „die Kohlen aus dem Feuer zu holen“, indem man doch für den JMStV stimme.

Alle Parteien des Landtags Nordrhein-Westfalen (Linke, FDP, GRÜNE, SPD, CDU) werden bei der Abstimmung am 16. Dezember gegen den JMStV stimmen.

Medienkompetenz statt Verbote

Auch wenn der JMStV in dieser novellierten Form gescheitert ist, bedeutet dies keineswegs das Ende. Die Parteien müssen jetzt vielmehr zurück ans „Zeichenbrett“ und die Punkte umsetzen, die von Medienexperten und Netzaktivisten bemängelt wurden. Statt Prüf- und Alterskennzeichnungspflichten oder dem Streben nach „Sendezeiten“ für das Internet, muss man praktische Maßnahmen ergreifen.

Die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen, aber auch Eltern sowie erziehendem Personal müsse verstärkt werden. Wie der IT-Fachanwalt und Blogger Thomas Stadler bereits im Februar 2010 anmerkte, müsse der Jugendmedienschutz insgesamt auf einen Prüfstand.

Dies wird in den kommenden Monaten das Ziel der Parteien sein. Der JMStV ist somit also keinesfalls vom Tisch. Die Novellierung ist lediglich aufgeschoben.

Wieso der JMStV wegen Nordrhein-Westfalen scheitert

Das Grundgesetz ermöglicht es den einzelnen Bundesländern eigene Gesetze auf Landesebene zu erlassen. Dies ermöglicht ihnen außerdem eine Zusammenarbeit über die jeweiligen Ländergrenzen hinweg. Diese Kooperationen werden häufig in sogenannten Staatsverträgen geregelt. Der Rundfunkstaatsvertrag ist ein Beispiel hierfür.

Sobald die Regierung einen solchen Staatsvertrag ausgehandelt hat, müssen die jeweiligen Landesparlamente zustimmen. Nur wenn alle beteiligten Landesparlamente zustimmen, kann ein Staatsvertrag in Kraft treten. Stimmt auch nur ein beteiligtes Parlament dagegen, scheitert der Vertrag.

Interview: Rechtsanwalt Udo Vetter zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag


Guten Tag!

Heddesheim, 04. Dezember 2010. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag sorgt für Aufregung. Mit seinen fünf Buchstaben („JMStV“) hält er die gesamte Blogosphäre seit einigen Tagen in Atem. Dabei betrifft der Staatsvertrag ab 01.01.2011 alle Telemedien. Im ungünstigsten Fall also auch ihre Homepage. Was der JMStV überhaupt ist und was er für Sie bedeuten kann, haben wir im Interview mit Udo Vetter, Fachanwalt für Strafrecht geklärt.

Von Christian Mühlbauer und Hardy Prothmann

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Felix Neumann meint bei Carta: Klagen statt Sperren!

Auf einschlägigen Seiten ist der JMStV bereits seit mehreren Monaten ein wichtiges Thema. Immer wieder Flammen Zensur-Vorwürfe auf. Mit diesem vermeintlich neuen Gesetz wolle man das Internet kontrollieren. Fakt ist: Der JMStV ist nicht neu. Er wird ab dem 01.01.2011 lediglich in aktualisierter Form in Kraft treten. Vorausgesetzt alle fehlenden Bundesländer unterzeichnen ihn noch.

Wie der Name schon sagt, geht es um den Schutz der Jugendlichen gegenüber Medien – oder vielleicht auch umgekehrt. Der Jurist Udo Vetter kann die Hysterie um den JMStV nicht teilen. Am 01. Dezember 2010 verdeutlichte er das auch in seinem Weblog. Der Beitrag „Blogger können leidlich gelassen bleiben“ war mehr oder weniger eine Reaktion auf die Ankündigung diverser Blogger, ihre Angebote ab dem 01.01.2011 einzustellen. So beispielsweise das „VZLog„.

Die Einschätzungen des Juristen zum JMStV sorgten binnen kürzester Zeit für wahre Massen an weiteren Blogeinträgen. Zustimmende, wie auch ablehnende Beiträge sprudelten förmlich hervor. Das Pottblog zeigte sich angriffsfreudig: Rechtsanwalt Vetter würde sich irren.

Das juristische Blog „Telemedicus“ beschäftigte sich mit der Frage, ob das „Nachrichtenprivileg“ des JMStV auch für Blogs gelten würde. Der Jurist Thomas Stadler betonte, dass sein Blog online bleiben werde – auch ohne Alterskennzeichnung. Der Rechtsprofessor Dr. Thomas Hoeren bittet gar darum, dass man den Unsinn namens JMStV lassen solle.

Wir haben Rechtsanwalt Vetter kontaktiert, um mehr Details zu erfahren. Ist der JMStV nur Humbug oder tatsächlich eine ernste Gefahr für alle Betreiber einer Webseite?

Miserables Wischwaschi

Herr Vetter, es gibt Aufregung um den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Warum?


Udo Vetter: „Das Problem ist die grundsätzlich schlechte, weitgehend unverständliche Formulierung des Gesetzes. Die Schwammigkeit löst zu recht Befürchtungen aus. Selbst einer der Verfasser, Staatssekretär Martin Stadelmaier, äußert sich zum Text heute so, dass man fast annehmen kann, er versteht ihn selbst nicht mehr.

Was heißt „schlechte Formulierung“?

Vetter: „Salopp ausgedrückt, Bürokratendeutsch und Wischiwaschi von der ersten bis zur letzten Zeile. Selbst Juristen diskutieren nun sehr kontrovers, was da wie genau geregelt ist. Letztlich erzeugen die miserablen Formulierungen Unsicherheit und damit Aufregung und auch Angst.“

„Glaube nicht an Abmahnwelle.“

Innerhalb der Bloggerszene wird Ihr Beitrag dazu kritisiert, denn Sie geben sich „entspannt“.

Das pottblog teilt die Einschätzung von Rechtsanwalt Vetter nicht

Das pottblog teilt die Einschätzung von Rechtsanwalt Vetter nicht

Vetter: „Bin ich auch. Ich glaube weder, dass es eine große Abmahnwelle geben wird, noch glaube ich, dass die strikten Regelungen durchgesetzt werden können. Was ich aber dringend richtig verstanden wissen will: Ich unterstützte dieses Gesetz nicht. Ich halte es für überflüssig, weil es nichts für den Jugendschutz bringt. Das bestätigen auch namhafte Medienpädagogen.“

Die Politik scheint Ihnen für diese Einschätzung geradezu dankbar zu sein, wie man hört.

Vetter: „Ich habe verwundert festgestellt, wie man mich vereinnahmt. Dass mit dem Gesetz nicht das Internet untergehen wird, bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass wir die Regelung brauchen. Im Gegenteil: Der Entwurf ist weltfremd und er verbessert nicht den Jugendschutz.“

„Vermeintliche Sachzwänge und Eitelkeiten.“

Irgendwie aber doch erstaunlich, welche „Auswirkungen“ der JMStV so hat.

Vetter: „Erstaunlich finde ich die Haltung der SPD und der Grünen, die in NRW von Sachzwängen sprechen und deswegen bereits sind, ein anerkannt schlechtes Gesetz durchzuboxen, „bloß weil es schon so weit fortgeschritten“ ist. Und in anderen Ländern, wo zum Beispiel die SPD in der Opposition ist, lehnt diese das Gesetz als untauglich ab. Hier regiert nicht mehr der Verstand, sondern vermeintliche Sachzwänge und Eitelkeiten.“

Lassen Sie uns doch mal über das Ziel des Gesetzes reden. Ist es nicht nötig, die Jugend zu schützen?

Vetter: „Sicher ist das ein hehrer Anspruch. Nur wird mit diesem Gesetz kein einziger Jugendlicher besser geschützt werden. Der JMStV ist ein organisatorisches Monster, dass nur einen Zweck erfüllt: Es ist ein „Schaut-her-wir-tun-was“-Gesetz.“

Trotzdem befürchten viele Blogger Abmahnungen und Probleme.

Vetter: „Die kann es im Einzelfall geben, das muss man abwarten. Tatsächlich glaube ich nicht daran. Gerichte müssten erst einmal davon ausgehen, dass eventuelle Verstöße gegen den JMStV wettbewerbsrechtlich relevant sind. Das ist längst nicht ausgemacht.“

Was ist mit redaktionell-journalistischen Blogs?

Vetter: „Die sind privilegiert. Das heißt, wer eine an die Allgemeinheit gerichtete, periodische, politische und gesellschaftliche Berichterstattung anbietet, fällt unter die „Lex Bildzeitung“, die hier eingearbeitet worden ist.“

„Lex Bildzeitung.“

Lex Bildzeitung? Erklären Sie das doch genauer.

Vetter: „Na, wenn das Gesetz ernst gemeint wäre, müssten bild.de und andere Boulevardmedien am 1. Januar 2011 ihr mit einer Altersfreigabe 16 oder vielleicht sogar 18 Jahren versehen. Nacktfotos und Ratgeber á la „10 Tipps für tollen Sado-Maso-Sex“ sind nach den Maßstäben des JMStV „desorientierend“ und beeinträchtigen die Entwicklung junger Menschen.“

Und Sie meinen, der Axel-Springer-Verlag…

Rechtsanwalt Udo Vetter

Rechtsanwalt Udo Vetter

Vetter: „… hat ein Wörtchen mitgeredet? Das ist möglich. Die Boulevardpresse will ihre freizügigen Inhalte weiter anbieten. Sex sells, das gilt insbesondere für sie. Aber ebenso für die Softporno-Portale. Diese müssen zwar eine Altersklassifizierung durchführen, dafür dürfen sie aber künftig ihre Angebote auch tagsüber „senden“.“

„Der gesunde Menschenverstand wird’s richten.“


Nochmal: Nicht alle Blogger sehen das so entspannt wie Sie. Was tun?

Vetter: „Der Jurist sagt jetzt, das hängt vom Einzelfall ab. Meine persönliche Einschätzung ist: Der gesunde Menschenverstand wird’s richten. Wer mit Google-Anzeigen die Serverkosten reinholen will, betreibt noch lange kein „Gewerbe“ und kann deshalb von jedermann abgemahnt werden. Abmahnfalle Nr. 1 wäre ohnehin der fehlende Jugendschutzbeauftragte. Den kann man aber nun wirklich einfach ins Impressum aufnehmen, denn einen Qualifikationsnachweis muss der Beauftragte nicht erbringen.“

Und sonst?

Vetter: „Verweise ich auf die Impressumspflicht und die Welle, die darum gemacht wurde. Soweit mir bekannt ist, ist nicht viel passiert. Auch die erste Fassung des JMStV, die ja bereits viele ähnliche Regelungen wie etwa die „Sendezeiten“ verbindlich anordnet, hätte eigentlich schon viel Potenzial für „Abmahnungen“ haben müssen, wenn man alles sehr eng sind. Tatsächlich ist nicht viel passiert.“

Weiterführende Links:

Zur Person:
Udo Vetter ist Fachanwalt für Strafrecht in Düsseldorf. Unter „Lawblog“ schreibt er über die verschiedensten Themen. Meist sind diese juristischer Natur oder aus seiner eigenen beruflichen Erfahrung. Einer seiner bekanntesten Vorträge ist „Sie haben das Recht zu Schweigen„.