Mittwoch, 07. Juni 2023

Leitartikel zum Bürgermeisterwahlkampf

Alt gegen Neu

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Unerwünschte und freiwillige Werbung. Der Lagerkampf in Heddesheim tobt auch am Briefkasten. Foto: privat

 

Heddesheim, 25. Februar 2014. (red/pro) Der amtierende Bürgermeister Michael Kessler hat vor fünf Tagen eine Interviewanfrage von uns erhalten. Darin erläutern wir den Grund und den Ablauf des Verfahrens. So wie wir das immer machen. Ob mit dem Landespolizeipräsidenten, mit Bundestagsabgeordneten, mit Professoren, mit Vereinsmenschen, mit Künstlern, Menschen aus der Wirtschaft, Promis oder Vertretern der Lokalpolitik. Wir behandeln alle gleich.Herr Kessler zeigt zweideutige Gesten beim Kappenabend, referiert vor Anhängern, lässt bei kritischen Nachfragern Störungen zu und lässt sich von Haus- und Hofberichterstattern genehme Fragen stellen. Unsere Interviewanfrage hat er auch nach fünf Tagen nicht beantwortet – wir verzichten deshalb freiwillig.

Von Hardy Prothmann

Ich musste Herrn Kessler im Jahr 2009 über das Kommunalrechtsamt belehren lassen, dass er nach dem Landespressegesetz verpflichtet ist, uns zeitgleich mit anderen Medien über Informationen an die Öffentlichkeit zu unterrichten. Ein solches Gesetz kann man trefflich umgehen, indem man nur sehr selten Informationen an die Presse gibt. Denn das Investigativteam des Mannheimer Morgens bekommt sowieso alles heraus: Man ist zufällig zur Stelle, wenn es beispielsweise eine Baustellenbegehung gibt und man fährt zufällig im Dienstwagen des Bürgermeisters mit, wenn es um eine Kampfmittelbeseitigung geht.

Kessler vs. Heddesheimblog

Als ich mal kritisch über die Darstellung von Wahlergebnissen 2009 berichtet habe, flatterte umgehend eine Abmahnung ins Haus. Herr Kessler zog dann doch nicht vor Gericht, die Kosten beglich der Steuerzahler. Als ich mal als früherer Gemeinderat, dem es nicht gestattet war, auch nur einen einzigen Text im Mitteilungsblatt an die Bürger zu veröffentlichen, gegen eine Falschbehauptung von Gemeinderat Jürgen Merx (SPD) eine Gegendarstellung verlangte, wiesen das Stuttgarter Anwälte zurück. Diesmal zahlte nicht der Steuerzahler, sondern der Nußbaum-Verlag, der das Mitteilungsblatt herausgibt, das von der Gemeinde bezahlt wird. Kurios: Presseverantwortlich ist Herr Kessler – ein kurzer Anruf beim Hausblatt wird den Freundschaftsdienst möglich gemacht haben.

Im Bemühen, nicht immer nur über die Großkopferten zu berichten, sondern Menschen in Heddesheim zu beschreiben, habe ich eine dreiteilige Geschichte über die Eisbahn und die Eismeister gemacht. Das Ergebnis: Ein Maulkorb für alle Mitarbeiter der Gemeinde gegenüber „der“ Presse. Wer gemeint war, wusste jeder.

Als ich mal Bürgermeister Michael Kessler zitierte: „Ich bin die Gemeinde“, betrieb der Bürgermeister einen Wahnsinnsaufwand, um dieses Zitat zu widerlegen. Er lies die Audioaufnahme der Sitzung kopieren (die man auf Verlangen wegen „Persönlichkeitsrechten“ der anderen Gemeinderäte nicht selbst nochmals bei „Protokollfragen“ nachhören darf), verschickte an alle Gemeinderäte eine Kopie auf CD, um zu beweisen, dass ich gefragt hatte: „Sind Sie die Gemeinde?“, und er mit: „Ja“, geantwortet hat. Seiner Meinung nach war ich damit als „Zitatfälscher“ überführt – meiner Meinung nach habe ich den wahrheitsgemäßen Inhalt journalistisch einwandfrei wiedergegeben. Dass selbst höchstrichterliche Urteile bestätigen, dass eine „wortgetreue“ Wiedergabe nicht verlangt werden kann, wenn eine „sinngemäße“ korrekt ist – geschenkt.

Wenn wir Anfragen an die Gemeinde stellen, dauert es oft sehr lang, bis wir diese beantwortet bekommen. Wundersamerweise kann es vorkommen, dass wir Antworten auf Anfragen morgens in der Zeitung lesen und am Nachmittag die Antwort erhalten. Sie wissen schon – vermutlich war das Investigativteam des MM einfach mal wieder schneller. Das sind echt harte Hunde. Respekt. Es wundert einen nur, dass der Spiegel die nicht abwirbt – aber vielleicht bietet das Hamburger Magazin für Journalisten dieser Klasse einfach zu wenig.

„Dich braucht hier keiner“ vs. Journalismus

Die Kessler-Kaste weiß, was sie an Kommentaren schreiben muss: „Nimm Dich nicht so wichtig, Du kleiner Schreiberling“, oder auch beliebt: „Heul doch, Protzmann“ und „Dich braucht hier keiner“ gehen quasi wöchentlich ein. Per email, per Kommentar (was wir aus „hygienischen“ Gründen nicht veröffentlichen) oder per anonymer Post. In den ersten zwei Jahren gab es noch nächtliche Droh- und Beschimpfungsanrufe und ein besonders eifriger, bis heute unbekannter Täter legte ein Nagelbrett vor den Reifen des Autos, mit dem meine Frau die Kinder transportiert. Hier und da wurden auch Schläge angedroht – versucht hat es dann aber keiner.

Man hört, dass gewisse Gemeinderäte in den Genuss eines kostenfreien Reifenwechsels in städtischen Liegenschaften kommen oder auch schon mal Brennholz auf den Hof geliefert bekommen. Und man hört auch, dass man weiß, dass mindestens ein Gemeinderat schon lange Zeit nicht mehr in Heddesheim wohnt, folglich sein Mandat abgeben müsste, aber das nicht tun muss, weil er gute Beziehungen hat.

Der 100-Millionen-Euro-Kessler, der 2009 mit erheblichem Aufwand und mehreren zehntausend, wenn nicht hunderttausenden Euros erst eine Bürgerbefragung zu steuern versuchte und dann mit allerlei rechtlichen Tricks eines superteuren Anwalts die Grundlagen für sein „Pfenning“-Projekt durchgedrückt hat, mag heute nicht mehr so recht über „Pfenning“ reden. Außer, wenn er in öffentlicher Gemeinderatssitzung mit einem Zaunpfahl das Steuergeheimnis verletzt und Andeutungen macht, „Mehreinnahmen seien auf eine nicht-unbedeutende Gewerbeansiedlung“ zurückzuführen.

Aus den 100 Millionen sind 78 geworden. Aus den versprochenen 1.000 Arbeitsplätzen wie viele? Die „Gemeinde“ sagt auf Anfrage, das soll man das Unternehmen fragen. Und irgendwann, vermutlich im April, wird „Pfenning“ die nächste Bilanz vorlegen. Seit 2008 verliert das Unternehmen erheblich an Umsatz (von 210 auf 156 Millionen Euro), machte meistens Verlust und nur vereinzelt kleinste Gewinne. Dann wird sich auch diese Andeutung als Täuschung entpuppen. Herr Kessler hofft, dann aber wieder gewählt zu sein. Für erneut acht Jahre. Nicht-abwählbar. Das würde ihn bestätigen, dass ihm keiner kann. Dafür müsste er schon einen großen Bock schießen – Fotos zweifelhafter Herkunft oder kontinuierliche Missachtung der Pressefreiheit reichen da nicht aus.

Der heimatverbundene „Familienunternehmer“ Karl-Martin Pfenning hat den Bau an einem Immobilienfonds verkloppt und ist mir seiner Firma nur noch Mieter. Stand übrigens zuerst bei uns.

Ob der Herausforderer Günther Heinisch ein besserer Bürgermeister sein wird, muss er beweisen, wenn er dran ist. Bislang zeigt er aber gute Qualitäten. Auch die Heddesheimer Grünen werden kritisch von unserer Redaktion betrachtet. Sie haben anfangs für „Pfenning“ gestimmt – aber da wurde noch ein Gleisanschluss versprochen, der nie kam. Sie haben mit für den „Verkehrsantrag“ der SPD gestimmt, der nichts bewirken wird – aber immerhin mal eine politische Einigkeit im Gemeinderat brachte.

Aber ein Kandidat Günther Heinisch hat sich einem Gespräch gestellt – und zwar unter den unten dokumentierten Bedingungen. Er hat nach dem Gespräch den Text zur Kenntnis vorgelegt bekommen, kleine Korrekturen vorgenommen, die akzeptabel waren. Und er hat sich bei seiner Vorstellung im Bürgerhaus kurz gehalten und dann der Diskussion gestellt. Er hat einen emotional aufgebrachten Bürger souverän behandelt und nicht zugelassen, dass Bürgerinnen bei ihren Redebeiträgen gestört worden sind.

Und er hat vor einem nicht ganz so großen, aber altersmäßig sehr gemischten Publikum gesprochen, während Kessler die Alten und die Vereinsheimer im Ort bestätigte und sich von diesen bestätigen ließ.

Geschlossene vs. offene Systeme

Insbesondere die Älteren im Ort haben in der Summe viele Stimmen. Viele von diesen Wähler/innen lesen nur die Zeitung und haben keinen Zugang zu anderen Informationen. Sie erfahren nur, was und wie es in der „Zeitung“ oder im „Mitteilungsblatt“ steht. Diese Alten erfahren aber all das nicht, was nicht in der Zeitung steht – und das ist manchmal entscheidender.

Der Mannheimer Morgen hat über mich – als ich noch Gemeinderat war – bevorzugt dann berichtet, wenn CDU, SPD, FDP und Bürgermeister irgendetwas an mir zu kritisieren hatten. Ich bin kein Engel und Kritik kann ich vertragen. Aber die Zeitung hat konsequent alle Leserbriefe, die ich geschrieben habe, nicht abgedruckt. Und die Zeitung hat kein einziges Mal in drei Jahren versucht, auch nur eine einzige Frage direkt an mich zu stellen. Und dass, obwohl ich als „Nobody“ in der Heddesheimer Gesellschaft damals die FDP-Liste als parteiloser Bewerber mit 20 Prozent Vorsprung auf den Fraktionsvorsitzenden Frank Hasselbring gewonnen habe. Woanders wäre das eine „Sensation“ gewesen, weil es solche Wahlerfolge eigentlich nicht gibt. Der Mannheimer Morgen hat das tot geschwiegen – kein Bericht, also ist es auch kein Thema bei den Lesern, die sich auf die objektive Berichterstattung der Zeitung verlassen.

Der Kandidat Günther Heinisch kämpft gegen ein geschlossenes System aus Politik und Tageszeitung, aus Abhängigkeiten und Verpflichtungen. Aus Scham und Uneinsichtigkeit.  Das ist eine brutal schwere Aufgabe.

Heddesheim ist durch das Heddesheimblog.de bundesweit bekannt geworden. „Ich bin die Gemeinde“ ist ein Synonym für selbstherrliche Bürgermeister. „Bratwurstjournalismus“ mittlerweile in der Zeitungsbranche ein durchgegartes Wort für belanglose Berichterstattung. Unsere Arbeit ist vielen ein Vorbild geworden, ob den „Prenzlauerberg-Nachrichten.de“ in Berlin oder der Tegernseerstimme.de am gleichnamigen See und Dutzenden anderen neuen lokaljournalistischen Angeboten.

Wenige Wochen vs. acht Jahre

Bis zum 16. März ist nicht mehr viel Zeit und dann werden die Heddesheimer/innen einen neuen Bürgermeister wählen. Wir machen bis dahin unsere kritische Berichterstattung weiter und sind gespannt, wer das Rennen macht. Natürlich machen wir auch danach weiter. Egal, ob ein Herr Kessler als „Ich bin die Gemeinde“ bestätigt wird oder ein Herr Heinisch „die Bürger anhört“.

Für die Heddesheimer wünschen wir uns, dass ein neuer Wind in der Gemeinde weht. Und das geht sicher nicht mit Herrn Kessler. Wer Mütter und ihre Kritik an der Betreuung ihrer Kinder nicht mit Herzblut begleitet, sondern nur verwaltet, ist kein Bürgermeister, der die Familienfreundlichkeit der Gemeinde fördert. Schon gar nicht, wenn er auf die große Zahl der Alten setzt, um hier Stimmen zu fischen. Schon wieder spaltet Kessler den Ort. Das kennt man aus der Geschichte – divida et impera. Teile und herrsche. Doch die Geschichte weiß, dass das noch nie gut ausgegangen ist.

Ich traue einem Günther Heinisch da mehr zu. Er ist verbindlicher und hat seit fünf Jahren im Gemeinderat gezeigt, dass er für seine Ideen wirbt und andere nicht abkanzelt. Im Land kam der Wechsel von Schwarz-Gelb zu Grün-Rot und sowohl bei der Landtags- wie der Bundestagswahl haben die sturen Beharrer deutlich an Stimmen verloren. Nicht an „Grüne“, sondern an Menschen, die beharrlich Politik neu gestalten wollen. Auch wenn das schwer ist – insbesondere, wenn man ein schweres Erbe antritt.

Beim „Plakat“-Ukas wurde das System Kessler deutlich. Dem Kandidaten Heinisch wurde untersagt, was Kessler umgehend umgesetzt hat. Seine Plakate wurden früh zuerst geklebt. Gegen Aufkleber kündigte „die Gemeinde“ ein rigides Vorgehen an – uns erreichen viele Beschwerden, dass Kessler-Werbung in Briefkästen landete, die keine Werbung wünschen. Weder von Heinisch, noch von Kessler. Aber Kessler dominiert auch hier. Denn er ist ja die Gemeinde. Am 16. März kann sich das ändern. Seine aktuelle Amtszeit endet am 1. Juni.

Die Heddesheimer/innen entscheiden jeder für sich selbst, für wen persönlich und für alle dann eine neue Amtszeit beginnt.

Dokumentation unserer Anfrage:

Sehr geehrter Herr Kessler,

im Rahmen der Bürgermeisterwahl möchten wir alle Kandidaten interviewen und bitten um einen Gesprächstermin für ein einstündiges Gespräch.

Wir wenden die sogenannte „Spiegel“-Methode an. Das heißt, es findet ein Gespräch in Frage und Antwort statt. Wir zeichnen das Gespräch zur Bearbeitung auf. Der Text wird sich eng an den Gesprächsverlauf anlehnen, wir können aber thematische Blöcke zusammenfassen und verkürzen längere Antworten auf den inhaltlichen Kern. Der Text wird Ihnen zur Kenntnis vorgelegt. Dann sind Korrekturen möglich, sofern Fehler im Text sind oder Missverständnisse vorliegen. Mit Begründung sind auch Textanpassungen möglich – umfangreiche Bearbeitungen jedoch nicht.

Ich kann Ihnen kommende Woche den 25.,26. und 28. Februar jeweils zwischen 10-15 Uhr vorschlagen. Wir könnten das Gespräch auch in der Woche drauf führen, sofern das zeitlich bei Ihnen besser passt, würde ich neue Terminvorschläge schicken. An dem Gespräch würde Frau Julia Schmitt teilnehmen, die Redaktionsvolontärin der Main-Post in Würzburg ist und zur Zeit bei uns hospitiert.

Sofern Sie das Gespräch nicht im Rathaus führen wollen, schlagen Sie bitte einen Ort vor.

Anmerkung der Redaktion:
Chefredakteur Hardy Prothmann war in der aktuellen Wahlperiode von Mitte 2009 bis Anfang 2012 partei- und fraktionsfreier Gemeinderat in Heddesheim. Nach seinem Umzug nach Mannheim hatte er die „Wählbarkeit“ verloren und musste damit das Mandat zurückgeben. An seine Stelle ist der nächste Kandidat der FDP-Liste nachgerückt.

Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.