Donnerstag, 08. Juni 2023

Der gläserne Gemeinderat: 1.200 – 2.400 – 2.600… Entscheidend ist 12:9

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Guten Tag!

Heddesheim, 22. Juni 2010. Am kommenden Donnerstag, den 24. Juni 2010, wird es wieder einmal eine für Heddesheimer Verhältnisse historische Gemeinderatssitzung im Zusammenhang mit „Pfenning“ geben. Dann sollen 910 Einwendungen von rund 240 Bürgern im Hauruck-Verfahren entschieden werden.

Von Hardy Prothmann

Heute steht im Mannheimer Morgen ein Artikel mit der Überschrift: „Grüne: 14 Tage sind zu wenig Zeit„.

Diese Überschrift sagt zunächst einmal gar nichts aus. Im Text erfahren die LeserInnen dann, dass die Bewältigung von 1.200 Seiten Einwendungen und Stellungnahmen nicht in vierzehn Tagen zu leisten sei, um zu einer “ sachgerechten Entscheidungsfindung“ zu kommen.

Leider ist das nicht richtig.

Denn diese Seiten sind größtenteils „kleinkopiert“. Man kann also eher von 2.400 „echten“ Seiten sprechen, was die Mühe nach einer „sachgerechten Entscheidungsfindung“ nochmals verdoppelt.

Pikant: Erst eine Woche später erhielten die Gemeinderäte weitere Gutachten, auf die sich die Verwaltung aber zuvor in den Stellungnahmen zuvor schon bezogen hatte.

Wie soll man hier zu einer für das „Wohl der Gemeinde“ ordentlichen Entscheidung finden?

Insgesamt sind es gut 2.600 Seiten, die ehrenamtliche Gemeinderäte nach bestem Gewissen innerhalb von vierzehn Tagen durcharbeiten sollen.

Verwaltungsexperten, Architekten, Gutachter, Juristen haben dieses Konvolut über Monate und Wochen vorbereitet – solange sie eben brauchten. Die ehrenamtlichen Gemeinderäte haben nach Vorstellung des Bürgermeisters Michael Kessler nur vierzehn Tage Zeit, all diese komplexen Entscheidungen nachzulesen und mit oder ohne Prüfung zu einer souveränen Entscheidung zu kommen.

Halten Sie das für absurd?

Wenn ja, sind Sie nicht mit der Vorgehensweise des Herrn Kessler vertraut.

Der Heddesheimer Bürgermeister definiert 40 Stimmen „mehr“ bei der Bürgerbefragung im September 2009 zu einem „mehrheitlichen“ Wunsch zu einer Unternehmensansiedlung „Pfenning“ als Mehrheitsmeinung um.

Umgekehrt reduziert er 910 Einwände von rund 240 Bürgern auf eine Sitzung, die er durchziehen will.

Wer glaubt, dass dem „Bürgermeister“ Kessler längst die Maßstäbe für ein ordentliches Verhalten abhanden gekommen sind, irrt.

Herr Kessler, zumindest muss man das vermuten, hält sich an Recht und Gesetz.

Zwar ist ihm und seiner hörigen Verwaltung ein sicherlich missliebiger „Formfehler“ unterlaufen, aber das hindert ihn nicht, die Form bis an die Grenzen der Belastbarkeit zu dehnen.

Für die „Jahrhundertentscheidung“, so „Pfenning“, so „Kessler“, bleiben den ehrenamtlich tätigen Gemeinderäten genau vierzehn Tage Zeit, sich eine verantwortliche Haltung zu bilden.

Nicht mehr und nicht weniger.

Was die CDU, die SPD, die FDP dazu denken?

Das scheint schon bekannt zu sein, wenn man sich verwundert den Artikel im MM durchließt, denn hier werden nur die Grünen, respektive der Vorstand Günther Heinisch zitiert.

Die Sprachlosigkeit der CDU, der SPD und der FDP ist in diesem „Ansiedlungsprozess“ symptomatisch.

Es werden schon lange keine Argumente mehr geäußert.

Arbeitsplätze, Gewerbesteuer, Schiene – das alles spielt keine Rolle mehr. Herr Doll, Herr Merx, Herr Hasselbring sind dafür.

Wofür?

Für 12:9. Ohne wenn und aber.

910 Einwendungen, inhaltliche Argumente? Die erfreuliche inhaltliche Aufmerksamkeit der BürgerInnen?

Deren Sorgen? Deren Gedanken? Deren Nöte?

All das spielt keine Rolle.

Gegen diese unglaublich vielen Einwände wird die Mehrheit der Gemeinderäte der Haltung der Verwaltung folgen und die Hände zur Ablehnung heben.

Im selben Augenblick werden diese Gemeinderäte aber nicht verstehen, dass sie nur eine Allianz der Ablehnung ihre Bürger bilden.

Eine Allianz der Zustimmung gibt es nicht.

Es gibt keine Basis von Zuschriften durch Bürger, die mit Argumenten und Fakten erklären, dass sie „Pfenning“ wollen.

Darüber haben CDU, SPD und FDP niemals nachgedacht.

Es gab niemals im Prozess um die geplante „Pfenning“-Ansiedlung eine öffentliche Strömung, die sich hinter das „Projekt“ stellte.

Warum nicht? Weil es keinen der „Pfenning-Befürworter“ je interessierte. Hier waren die „Machtverhältnisse“ im Gemeinderat entscheidend, mehr nicht.

Hier sitzen „befangene“ Profiteure in den eigenen Reihen und werden gestützt. Hier gefällt man sich in der „Größe“ über eine angebliche 100-Millionen-Investition mit abstimmen zu dürfen, egal, was man im einzelnen davon versteht.

Die Rechnungen sind gemacht. Für Donnerstag.

Aber nicht für die Zukunft.

Das wird sich bei der nächsten Wahl bitter rächen.

„Pfenning“ wird eine Dauerbelastung für die Gemeinde werden.

Es wird die versprochenen Arbeitsplätze nicht im Ansatz geben. Die Gewerbesteuerzahlungen werden gering sein oder ganz ausbleiben. Die Schiene wird, wenn überhaupt, erst in vielen Jahren kommen. Das Verkehrsproblem in Heddesheim wird zunehmen.

„Pfenning“ wird über Jahre eine Baustelle sein und bleiben und das andere Gewerbe belasten.

Am Donnerstag darf man erwarten, dass die Mehrheiten von CDU und SPD und der nickende FPD-Vertreter Hasselbring ihre Hand heben und in keinem Punkt ernsthaft um das „Wohl der Gemeinde“ streiten werden.

Es wird eine Demonstration der Sturheit vorgeführt werden.

Anders wird man nicht bewerten können, dass 910 Einwendungen von 240 Bürgern keinen einzigen Nerv treffen, an dem es CDU, SPD oder FDP „schmerzt“.

Wenn doch, könnte es zu politischen Auseinandersetzung kommen, zur Diskussion, zum Ringen um Argumente, zur Entscheidungsfindung.

Keine Sorge. Dieses Drama bleibt Ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit erspart.

12:9 wird es richten.
hardyprothmann

Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.