
Die Präsentationen erreichten insgesamt nur einige hundert Bürger – die meisten anderen sind auf andere Informationen angewiesen, um sich eine Meinung über die Kandidaten zu bilden.
Heddesheim, 15. März 2014. (red) Die Bürgermeisterwahl am Sonntag verspricht spannend zu werden. Schafft der Herausforderer Günther Heinisch den Wechsel? Hält sich der Amtsinhaber gerade so oder wird er überzeugend wiedergewählt? Erhält der Vertreter der „Nein-Idee“ kaum oder viele Stimmen? Wie wird die Wahlbeteiligung sein und was hat das zu bedeuten? Gibt es keinen Gewinner im ersten Wahlgang?
Von Hardy Prothmann
Der amtierende Bürgermeister Michael Kessler muss sich zum ersten Mal einem Herausforderer stellen. 1998 war er selbst Herausforderer gegen Fritz Alles und konnte mit 53,32 Prozent knapp, aber mit Mehrheit gewinnen. 2006 hatte er keinen Herausforderer und Herr Kessler wurde mit über 90 Prozent der abgegebenen Stimmen bestätigt – allerdings war die Wahlbeteiligung mit 61,92 Prozent deutlich niedriger und es gab mit 330 ungültigen Stimmzetteln ein deutliches Zeichen, dass man mit dem Bewerber nicht einverstanden war. Es gab zwar einen zweiten Kandidaten, der aber als Dauerbewerber auch bei anderen Wahlen keine Rolle spielte. Da am selben Tag Landtagswahlen waren, ist das hohe Ergebnis sehr relativ zu sehen.
Günther Heinisch war 1990 bei seiner ersten Wahl mit 29 Jahren deutlich zu jung, errang aber respektable 21 Prozent gegen Fritz Alles, der auf 75 Prozent kam. 1990 landete er mit vier Prozent im Aus. Der Promi-Bonus des Namens Kessler führte Michael Kessler zum Gewinn der Wahl.
Jetzt treten die beiden wieder gegeneinander an. Michael Kessler führt vor allem seine Verwaltungserfahrung als Qualifikation ins Feld. Günther Heinisch könnte dagegenhalten, dass er viel länger politisch aktiv ist im Ort und zwar „bodenständig“. Er hat ebenfalls Führungs- und Verwaltungserfahrung – will aber bewusst als Nicht-Verwaltungsfachmann für einen „anderen Wind“ sorgen. Die Bürger/innen müssen sich wegen der Qualifikation keine Sorgen machen. Der Schriesheimer Bürgermeister Hansjörg Höfer (Grüne) ist Bäckermeister, der Dossenheimer Bürgermeiter Hans Lorenz (CDU) Gärtnermeister, der Weinheimer 1. Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner (Grüne) ist Bauingenieur. Häufig sind Bürgermeister auch Juristen, wie der Weinheimer OB Heiner Bernhard oder der Schwetzinger OB Dr. René Pöltl. Auch der Mannheimer OB Dr. Peter Kurz ist ein Jurist. Für eine gute Verwaltung sind die Amtsleiter und die Mitarbeiter entscheidend. Günther Heinisch ist Diplom-Psychologe und dass er umgänglicher mit den Menschen ist, hat er bei den Präsentationen bereits gezeigt.

Günther Heinisch (53) hat einen guten Wahlkampf gemacht.
Im Land gibt es einen Trend zu „parteilosen“ Bürgermeistern – wobei viele, wie auch Michael Kessler dem konservativen Lager zugerechnet werden können. Dass Günther Heinisch ein Grüner ist, wird mit Sicherheit dazu führen, dass er Stimmen nicht bekommt, die einen parteilosen Heinisch eher wählen würden. Das „grün“ aber kein Manko ist, sondern im Trend liegt, zeigen Wahlen auch in großen Städten. In Stuttgart, Tübingen und Freiburg sind grüne Politiker die Oberbürgermeister. Im Land herrscht eine Grün-rote Regierung, auch in Hessen sind die Grünen an der Regierung beteiligt. Bündnis90/Die Grünen sind längst Teil der etablierten Parteienlandschaft und überwiegend durch die Realos geprägt. Auch Herr Heinisch ist ein ausgemachter Realo und kommt aus einem SPD-Umfeld.
Verkehr
Insbesondere der Verkehr ist ein Top-Thema in Heddesheim. Und hier werden sicher viele dem Kandidaten Heinisch mehr zutrauen als dem Kandidaten Kessler. Herr Heinisch hat zudem gute Kontakte nach Stuttgart und war selbst schon initiativ dort vorstellig. Man muss von ihm erwarten, dass er Verbesserungen im ÖPNV erreicht und den Durchgangsverkehr reduzieren kann. Auch Kandidat Kessler hatte das bereits vor 16 Jahren versprochen – viel passiert ist nicht.
Ganz im Gegenteil – mit seiner Fixierung auf Logistik ist Michael Kessler sicher ein Bürgermeister, der für neuen Verkehr sorgt. Besonders krass für die Ortsmitte. Mit dem Super-Edeka wird die Situation sich mit Sicherheit verschärfen. Und mit fast absoluter Sicherheit wird er „Pfenning 2“ vorantreiben – nochmals 15 Hektar Logistikfläche. Dass die Heddesheimer bislang verschont bleiben, hängt mit der desolaten Geschäftslage von „Pfenning“ zusammen. Wenig Geschäft – wenig Verkehr. Mit dem Ausbau des Edeka-Getränkelagers wird aber enorm viel Verkehr hinzukommen.
Wirtschaft und Umwelt
Damit sind wir bei Thema Wirtschaft. Die regelt sich über Märkte. Bürgermeister und Gemeinderäte können hier nur wenig beitragen, aber immerhin Rahmenbedingungen schaffen. Und dazu zählen viele weiche Faktoren. Gut verdienende Einwohner sind eine gute Bank. Hier erhalten die Gemeinden neben der Kopfprämie Anteile am Steueraufkommen. Bietet man attraktive Angebote, kommen auch diese Menschen. In Heddesheim sind das sicher der Badesee und das Sportzentrum. Das werden beide Kandidaten in Ordnung halten. Aber auch die Vereinslandschaft spielt eine große Rolle – hier kann durch Förderung mehr Einfluss ausgeübt werden. Und zwar nicht nur im Sport. Gut verdienende Einwohner gehen nicht am Sonntagmorgen auf den Fußballplatz. Sie wollen Fitness- und Ausdauertraining und kulturelle Angebote. Hier braucht es einen deutlichen Ausbau hochwertiger Angebote – insbesondere hier hat sich Michael Kessler sehr schwach gezeigt.
Um starke Gewerbeeinnahmen zu erzielen, ist es viel intelligenter, sich auf die Neue Wirtschaft einzustellen, also alles, was mit IT zu tun hat. Walldorf ist absolute Gewinnergemeinde, weil sich SAP dort ansiedelte. Hier muss für mehr Verkehr gesorgt werden: Datenverkehr. Bürgermeister Michael Kessler hat grob fahrlässig versäumt, hier schon früher auf einen soliden Ausbau zu achten. Die Forderung von Günther Heinisch, öffentliches W-Lan anzubieten ist kein Quatsch – das wäre ein Thema, über das die Gutverdiener ebenso reden, wie die normalen Leute. Viele Städte sind jetzt auf dem Weg dahin – kleine Gemeinde noch so gut wie gar nicht. Das könnte ein USP sein (unique selling proposition). IT-Unternehmen oder auch Anbieter im Pflegebereich brauchen keine großen Gewerbeflächen – sie können auch im Ort angesiedelt werden. Dazu braucht es Angebote. Was in Heddesheim fehlt und was fast alle Gemeinden im Umfeld schon angegangen sind, sind Ärztehäuser. Eine gute fachmedizinische Betreuung, behinderten-, kinder- und altersgerecht ist ein Muss.
Was Heddesheim absolut fehlt, ist eine Art Stadtmarketing. Plakate für den Wochenmarkt oder das Amtsblättel reichen nicht. Man muss dahin gehen, wo die attraktiven Zielgruppen sind. Und die sind im Internet. Heddesheim hat zwar einen neuen Internetauftritt, der wird aber jämmerlich genutzt. Bürgermeister Michael Kessler verweigert uns jegliche Werbung – und erreicht damit unsere rund 1.000 Leser täglich nicht. Auch das ist grob fahrlässig. Ebenso sein Umgang mit Medien: Hier die absolute Bevorzugung von MM und Amtsblatt und anderen. Dort die absolute Verweigerung. Es gab und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen transparenten Umgang mit Informationen geben. Im Ergebnis verzögerte sich „Pfenning“ zwei Jahre und die Grünen haben drei Sitze bei der vergangenen Kommunalwahl hinzugewonnen. Die nutzen nämlich das Internet. Wer meint, das Heddesheimblog habe in Sachen Pfenning wenig Einfluss gehabt, der schaut nach Weinheim. Dort wurde sehr intransparent mit Breitwiesen umgegangen – das wurde per Bürgerentscheid gekippt. Aktuell gibt es eine enorme Debatte in Weinheim und im Kreis wegen der Asylbewerber-Unterbringung. Daran ist unsere Berichterstattung entscheidend beteiligt. Und natürlich auch die Leser/innen, die untereinander vernetzt sind.

Der noch amtierende Bürgermeister Michael Kessler – rettet ihn der Amtsbonus?
Der Umweltschutz ist scheinbar auch ein Steckenpferd von Herrn Kessler. Das täuscht. Er sieht den Kostenfaktor. Insbesondere kommunale Liegenschaften hatten katastrophale Verbrauchswerte. Hier zu investieren und zu sanieren, kommt vor allem der Gemeindekasse zugute. Im Nebeneffekt auch der Umwelt. Trotzdem. Das hat er beharrlich vorangetrieben und insgesamt eine gute Leistung gezeigt. Die viel schwierigere Aufgabe die privaten Haushalte und die Wirtschaft hierbei mitzunehmen hat er vernachlässigt. Auch hier hat Günther Heinisch immer mehr gefordert und wird sich sicher stärker einsetzen. Das erfordert aber viele Mühen.
Schule, Kinder, Bürger, Identität
Auch die Gemeinschaftsschule wird ein wichtiger Faktor sein. Hier hat Bürgermeister Kessler enorme Fehler gemacht. Der Schulzweckverband bindet Heddesheim bis 2020 an Hirschberg. Ohne diese Konstruktion könnte die Gemeinschaftsschule schneller und freier starten. Für Günther Heinisch ist sie ein Muss. Er wird sich dafür überzeugend einsetzen. Und auch die Kinderbetreuung ist ein weicher Faktor mit enormer Auswirkung. Heutzutage müssen und wollen beide Elternteile arbeiten. Und die wollen die Kinder in guten Händen wissen. Bürgermeister Kessler ist hier ohne Einfühlung tätig gewesen. Er hat Vorschriften erfüllt, aber ohne Herz und Fantasie für eine attraktive Gestaltung.
Ganz sicher steht ein Bürgermeister Kessler nicht für Bürgerbeteiligung. Im vergangenen Jahr wurde zwar ein Leitfaden entwickelt – aber der ist ohne Umsetzung Makulatur. Warum ist über ein halbes Jahr später noch nichts in ein Projekt geflossen? Weil es wahlkampfvorbereitend war. Ein Feigenblatt. Ganz anders bei einem Bürgermeister Heinisch. Bürgerbeteiligung wird hier ernst genommen, das ist urgrüne Politik. Auch im Umgang mit den Bürger/innen bei der Präsentation am Montag wurde dies deutlich. Ein sichtlich genervter, angestrengter und aggressiver Kessler stand einem entspannten und interessierten Heinisch gegenüber, der sich noch nicht mal durch die Störer der Kessler-Unterstützer aus der Ruhe bringen ließ.
A propos Präsentation. Beim MM-Forum hat Günther Heinisch klar das schlechtere Bild abgegeben. Da war er deutlich zu locker und scheinbar selbstsicher. Sicher wird er auf viele keinen guten Eindruck gemacht haben. Aber es war auch schwer, die MM-Redakteure waren eindeutig parteiisch für Kessler, haben diesen gebremst, wenn er zu aggressiv geworden ist und haben Heinisch versucht auflaufen zu lassen. Trotzdem: Er hat das nur überstanden, aber nicht gut gemacht. Ganz anders bei der Präsentation am Montag. Souveräne Rede, verbindliches Auftreten und klare Antworten waren überzeugend. Auch Michael Kessler ist als Routinier insgesamt gut aufgetreten – wenn auch tendenziell immer aggressiv. So ist er eben. Wie durchzogen das System in Heddesheim ist, zeigte die Sitzungsleitung von Frau Brechtel: Störer gegen Heinisch ließ sie ebenso gewähren wie lange Redebeiträge gegen Heinisch, bei Fragern gegen Kessler pochte sie auf die Zeit. Eine sehr schwache und parteiische „Leistung“.
Ebenso die Identitätsbildung. Die grausliche Unterscheidung in Alt-Heddesheimer und Noigeplackte muss sofort angegangen werden. Im Kern hat diese Entwicklung dazu geführt, dass immer weniger Menschen sich mit dem Ort identifizieren und die immerselben überall zu finden sind und ihre „Finger drin“ haben. Das wiederum schreckt andere ab, sich im Ort zu engagieren, was zu weniger Engagement führt. Und auch zu weniger Beständigkeit. Man wohnt in Heddesheim, hat aber mit dem Ort nichts zu tun. Sind die Kinder groß, zieht man wieder weg.
Das betrifft auch die vielfältigen Seilschaften. Unter einem Bürgermeister Michael Kessler wird sich nichts ändern. Mer kenne uns – mer helfe uns, heißt es ähnlich wie im Kölner Klüngel. Unter einem Bürgermeister Günther Heinisch fällt das weg. Plötzlich müssen alle denselben neuen Weg zum Bürgermeister gehen. Ein Bürgermeister Günther Heinisch wird sich den Bürgern, Vereinen, Geschäftsleuten nicht verweigern. Ganz anders als ein Michael Kessler, das wissen viele nur zu gut im Ort.
Wer macht das Rennen?
Der noch amtierende Bürgermeister Michael Kessler hat mit Sicherheit den Amtsbonus und damit einen Vorteil. Tatsächlich hatte er 2009 die Hälfte des Ortes gegen sich aufgebracht, die „Pfennnig“ nicht wollten. Und „Pfenning“ geht es schlecht, der Klotz ist nun da, die versprochenen Arbeitsplätze, die Schiene, die Gewerbesteuern nicht. Das werden ihm viele übel nehmen. Ebenso seine herrische Art, die Seilschaften und die Unterscheidung in Freund oder Feind. Wer genau hinschaut, weiß, dass Heddesheim wie andere Gemeinden auch von der positiven Wirtschaft profitiert hat. Sicherlich hat Michael Kessler sich aber um die Gemeinde verdient gemacht – doch er ist auch für die Spaltung und die Spannung im Dorf hauptverantwortlich.
Günther Heinisch kann die „Pfenning“-Gegner auf seiner Seite wissen und alle die, die durch die Realität enttäuscht worden sind. Ebenso Mütter und Familien – denn in den vergangenen Wochen wurde klar, dass hier viele sehr unzufrieden sind. Auch die Menschen, die unter dem Verkehr leiden, werden einem Günther Heinisch als Bürgermeister mehr zutrauen als einem BM Kessler. Im Gemeinderat ist Herr Heinisch als wortgewaltig aufgefallen, immer akribisch vorbereitet und in den zu verhandelnden Tagesordnungspunkten fest im Sattel. Er hat vorzügliche Verbindungen zur Landesregierung. Aber nicht zu den Kirchengemeinden und wenig zu den Vereinen. Doch „Vereinsleitungen“ sind nicht die Mitglieder. Im Gegensatz zu Michael Kessler fällt er dadurch auf, dass er nicht Recht haben will, sondern die Debatte sucht, um einen Konsens zu erreichen.
„Nein-Idee“
Zu guter letzt: Man kann natürlich auch den Vertreter der „Nein-Idee“, Hans-Jörg Nordmeyer, wählen. Der würde bei einem Wahlsieg das Amt nicht antreten. Der Wahlsieg ist natürlich utopisch. Aber es wird interessant sein, wie viele Stimmen er auf sich vereinen kann. Alle, die ihn wählen, bringen zum Ausdruck, dass sie die beiden anderen nicht wählen wollen. Man kann das als „Blödsinn“ betrachten – ist es aber nicht. Wer sonst nicht zur Wahl gehen würde oder seinen Stimmzettel ungültig machen würde. Jeder, der zu Wahl geht und ihn gültig wählt, dokumentiert damit seine Unzufriedenheit mit den beiden anderen Kandidaten. In anderen Gemeinden sind schon Werte von über 18 Prozent zusammengekommen. Und damit wird klar, dass es viele unzufriedene Bürger gibt. Kluge Bürgermeister überlegen dann, wie sie diese zufriedenstellen können. Man darf gespannt sein – jede Zahl über zehn Prozent muss zu denken geben.
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