Samstag, 10. Juni 2023

Journalismus? Was ist das?

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Guten Tag!

Heddesheim, 10. Februar 2010. Der Kommentar „Kein „Kinderlachen“ fĂŒr das heddesheimblog“ regt auf. Oder regt sein Inhalt auf? Welcher? Der dargestellte oder wie die Darstellung eingeordnet wird? Oder dass ĂŒberhaupt dargestellt und eingeordnet, also berichtet wird? Oder eine „Darstellung“, die nicht so ist, wie „man das will“? Und wer hat was davon? Und wer regt sich auf? Das sind viele Fragen – die alle mit Journalismus zu tun haben.

Von Hardy Prothmann

Mitte August 2009 sprach mich vor dem Edeka-Markt in Heddesheim eine Ă€ltere Dame an und sagte: „Herr Prothmann, ich versuche ja mit der Zeit zu gehen und bin im Internet. Und ich lese jeden Tag interessiert Ihr heddesheimblog. Ihr letzter Kommentar war, wie soll ich das sagen, ganz schön heftig. DĂŒrfen Sie das so schreiben, wie Sie das geschrieben haben? Im Mannheimer Morgen gibt es auch Kommentare, aber die sind nicht so heftig wie Ihre.“

Die Dame benannte diesen Kommentar: High Noon in Heddesheim – Ist dieser BĂŒrgermeister noch zu halten?

Ich habe mit der Dame daraufhin ein langes GesprĂ€ch gefĂŒhrt und ihr erklĂ€rt, warum ich einen Kommentar so schreiben „darf“. Und was, und warum und wie ich es geschrieben habe.

Die W-Fragen und das Interesse

Was, wann, wo, wer, wie und warum? Diese Fragen sind die „GrundausrĂŒstung“ fĂŒr Journalismus. Aber auch fĂŒr die Polizei, fĂŒr die Feuerwehr, fĂŒr Krisenmanager, fĂŒr Wissenschaftler, fĂŒr Politiker. Eigentlich fĂŒr alle Menschen, die sich berufsmĂ€ĂŸig fĂŒr was auch immer interessieren mĂŒssen.

Genau darum geht es im Journalismus. Um das Interesse.

Inter-esse ist lateinisch und heißt ungefĂ€hr: Dazwischen (inter) sein (esse).

Die Geschichte der Menschheit ist gleichzeitig die Geschichte des „Journalismus„. Angefangen bei den Höhlenmalereien ĂŒber die Erfindung des Buchdrucks bis hin zum Internet. „Jour“ ist das französische Wort fĂŒr Tag. Im Journalismus geht es ums „TagesgeschĂ€ft“, ĂŒber das berichtet wird.

Was ist passiert? WorĂŒber reden die Menschen? Was betrifft die Menschen? Was mĂŒssen/sollten sie wissen?

Journalismus ist die professionelle Umsetzung des Alltags in Informationen, ob in Text, Bild oder Ton.

Tiere – Titten – Tote

Die „Bild“ ĂŒbersetzt Alltag mit TTT. Tiere-Titten-Tote. Diese Themen liebt das Boulevardblatt – weil die Leser sie lieben und die Zeitung kaufen.

Die FAZ kommt konservativer daher und hat dahingehend beste Beziehungen zur Wirtschaft und Politik. Dort wird die Zeitung geliebt, weil sie so staatstragend daherkommt und ĂŒberwiegend auf TTT verzichtet.

Die SĂŒddeutsche Zeitung ist da vielseitiger und hat die FAZ lĂ€ngst bei der Auflage deutlich wiederholt. Die Berliner taz ist unter den ĂŒberregionalen Zeitungen die bissigste und gilt als verkappte Journalistenschule. Viele frĂŒhere „tazler“ haben spĂ€ter woanders Karriere gemacht. Die tagesschau ist scheinbar neutraler.

Das öffentlich-rechtliche SWR3 und der Privatsender RPR konkurrieren um den Hörermarkt. Ihre Information: Unterhaltung und gute Laune. Radio ist ein sehr emotionales Medium. Deswegen hat das öffentlich-rechtliche Deutschlandradio auch vergleichsweise wenige Hörer: Es ist zwar das „journalistisch“ mit Abstand informativste Radio von allen was „wichtige“ Nachrichten und HintergrĂŒnde angeht – aber es ist anstrengend.

Guter oder schlechter Journalismus
ist eine moralische Unterscheidung

Damit sind wir mitten im Thema. Was ist Journalismus? Was ist „guter“ und was ist „schlechter“ Journalismus?

Die erste Antwort: „Gut“ oder „schlecht“ sind moralische Fragen, die nur jeweils moralisch beantwortet werden können.

Gut oder schlecht lĂ€sst sich aber relativ einfach in zutreffend oder nicht-zutreffend ĂŒbersetzen. „Gut“ wĂ€re demnach „zutreffend“ und „schlecht“ wĂ€re „nicht-zutreffend“.

Die Bild-Zeitung berichtet hĂ€ufig „nicht-zutreffend“, also „schlecht“. Trotzdem oder gerade deswegen ist sie die nach Auflage „grĂ¶ĂŸte“ und erfolgreichste Tageszeitung Europas.

TTT – Tiere-Titten-Tote sind das Erfolgsrezept der Boulevard-Zeitung, die jeder „wichtige“ Mensch, angefangen von der Kanzlerin bis hin zum „Volk“ jeden Tag als erstes liest.

Denn, was in der Bild steht, findet statt. Es ist Tagesthema. Der Bild gelingen auch immer wieder geniale Schlagzeilen, beispielsweise: „Wir sind Papst!“

Ebenfalls zum Axel-Springer-Verlag gehört die Zeitung „Die Welt“ – ein ĂŒberwiegend anerkannt seriöses Blatt. Beide Zeitungen bedienen unterschiedliche Zielgruppen und damit MĂ€rkte.

Journalismus ist also auch eine Form der Wirtschaft und betreibt Wertschöpfung. Die Ausgangsmaterialien sind Informationen, die zu neuen Informationen zusammengefĂŒgt und „verpackt“ werden: Als TV- oder Hörfunksendung, als Printprodukt oder als elektronisch verteilte Information im Internet.

Was muss, kann, sollte berichtet werden? Und vor allem wie?

Außer TTT gibt es die Liebe, die Menschenrechte, den Fußball, die DiĂ€t, die Schule, den Verein, die Finanzanlage und noch viele andere Themen mehr.

Was, wann, wo, wie, wer und warum? Ohne Journalismus wĂŒssten wir alle nur wenig von dem, was um uns herum passiert.

Aber es gibt ganz bewusst kein Gesetz, dass vorschreibt, wie, wann in welchem Umfang worĂŒber berichtet wird. Daraus ergibt sich die Medienvielfalt mit ihren unterschiedlichsten Angeboten.

LĂ€nder ohne Pressefreiheit, also ohne Journalismus, sind meist primitive Kulturen oder Diktaturen. Meist beides.

Denn Journalismus ist eine demokratische Dienstleistung und erfĂŒllt in einer Demokratie eine wichtige Aufgabe: Journalismus ĂŒbt durch die „Veröffentlichung“ Kontrolle aus. Das bekannteste Beispiel dĂŒrfte die „Watergate„-AffĂ€re sein, die PrĂ€sident Nixon zum RĂŒcktritt zwang. Zwei Journalisten hatten durch die Hilfe eines „Informanten“ den politischen Skandal öffentlich gemacht.

Journalismus hat also eine „WĂ€chterfunktion“.

Vergleichbar mit der eines Steuerberaters: Es wird „Buch gefĂŒhrt“. ÃƓber Einnahmen und Ausgaben.

Vergleichbar mit der Polizeiarbeit: Es wird ermittelt.

Vergleichbar mit dem Gericht: Es wird aber be- und nicht gerichtet. Es wird nicht ver- aber geurteilt.

Vergleichbar mit einem Kaffeekranz oder Stammtisch: Es wird ĂŒber vieles geschwĂ€tzt.

Meinungsfreiheit ist eine Grundvoraussetzung fĂŒr Demokratie

Und das ist mit dem Artikel 5 in unserem Grundgesetzes verankert: Alle Menschen in Deutschland dĂŒrfen eine Meinung haben und diese öffentlich Ă€ußern. Eine Zensur von staatlicher Seite findet nicht statt.

Öffentlichkeit ist der Kern einer jeden Demokratie. Auch wenn das nicht jedem passt und es manchmal schwerfĂ€llt andere Meinungen auszuhalten: Rechtsradikale dĂŒrfen schreiben: AuslĂ€nder raus Linksradikale dĂŒrfen meinen: Soldaten sind Mörder.“ Beides sind extreme Äußerungen und bewegen sich am Ă€ußersten Rand, aber eben noch im Bereich des ZulĂ€ssigen.

Nicht erlaubt sind Diffamierungen oder Beleidigungen oder falsche Tatsachenbehauptungen – Journalismus muss sich hier wie alle an Recht und Gesetz halten.

Journalismus ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Denn Journalismus beeinflusst wie die PR, wie die Politik, wie die Werbung oder Lobbyismus oder unser aller Tun in vielfĂ€ltigen Funktionen die Öffentlichkeit.

Mit Meinungen, mit Fakten, mit Emotionen. Mit „schönen“ Geschichten, aber auch mit den weniger schönen Geschichten des Alltags.

Öffentlichkeit ist ein hohes Gut. Sie schafft transparente MĂ€rkte, Werbung fĂŒr Produkte, politische Debatten, kulturellen Austausch, sportlichen Wettkampf und: Bildung.

Deshalb ist eine „positive“ Öffentlichkeit den meisten Menschen und Unternehmen wichtig – denn die bringt Erfolg. GeschĂ€ftlich, politisch, persönlich, kulturell und sportlich.

Journalismus ist ein Informationsangebot

Es gibt kein Gesetz, was Journalismus ist oder sein sollte. Es gibt den Artikel 5 und es gibt in den BundeslĂ€ndern „Pressegesetze„. Danach sind staatliche Behörden und Institutionen verpflichtet, Journalisten AuskĂŒnfte zu erteilen. Das ist wichtig, sonst könnte ĂŒber das „Öffentliche“, also die Ämter, die durch die Steuerzahler bezahlt werden, nicht berichtet werden.

Und börsennotierte Unternehmen mĂŒssen ihrer Veröffentlichungspflicht nachkommen.

Sonst ist niemand verpflichtet, Journalisten eine Information zu geben. Weder ein GeschĂ€ftsfĂŒhrer, noch ein Sportler, noch ein KĂŒnstler und schon gar nicht ein Privatmensch. Umgekehrt gibt es auch keine Pflicht fĂŒr Journalisten, irgendetwas zu veröffentlichen oder so, wie das jemand möchte. BĂŒrger können aus vielen Informationsangeboten wĂ€hlen und sich informieren, sie mĂŒssen aber nicht.

Trotzdem erscheinen jeden Tag hunderte von Zeitungen, jeden Monat tausende von (Fach-)Zeitschriften, es gibt hunderte Radio- und Fernsehsender in Deutschland. Hinzu kommt das Internet – das neue Medium, das sind mit rasender Geschwindigkeit zum weltweiten Hauptmedium entwickelt, wenn es das nicht schon bereits ist.

Das Internet ist ein hochgradig demokratisches Medium, denn es erlaubt eine einfache und grenzenlose Veröffentlichung von Meinungen durch jeden BĂŒrger – außer in Diktaturen wie dem Iran beispielsweise.

FĂŒr den oben genannten „heftigen“ Kommentar hĂ€tte ich dort mit harten Strafen rechnen mĂŒssen. In unserem Land nicht. Hier dĂŒrfen ich und jeder andere das grundsĂ€tzlich und im Speziellen, wenn zutreffende Tatsachen berichtet und Meinungen geĂ€ußert werden.

Der BĂŒrgermeister ist immer noch im Amt und ich in Freiheit. Auch wenn das eine oder das andere dem einen oder anderen nicht passt.

Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist GrĂŒndungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten PortrĂ€ts und Reportagen oder macht investigative StĂŒcke.