Mittwoch, 07. Juni 2023

"Jede Schule ist ein Spezialfall"

Gemeinschaftsschule Karl-Drais: Entscheidung noch offen

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Rhein-Neckar, 08. Oktober 2014. (red/ld) Mindestens 40 Schüler braucht eine Schule pro Jahrgang, um als Gemeinschaftsschule zugelassen zu werden – also 2 mal 20. Diese Zahlen müssen sie langfristig nachweisen. Wer darunter liegt, hat keinen Anspruch auf die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule, hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim aktuell entschieden. Auch über die Karl-Drais-Schule wird erst im Winter entschieden. Ob sie kommt, ist noch offen.

Von Lydia Dartsch

Die vor drei Jahren gestarteten Gemeinschaftsschulen werden gut angenommen, sagt Endrik Ebel vom Staatlichen Schulamt in Mannheim. Seit Mitte September gibt es im Schulbezirk Mannheim insgesamt neun Gemeinschaftsschulen. Das Schulamt ist zuständig für Mannheim und Heidelberg sowie für den Rhein-Neckar-Kreis und den Neckar-Odenwald-Kreis und betreut darin 77.000 Schüler/innen. Damit kommen im Schulbezirk Mannheim auf eine Gemeinschaftsschule 8.556 Schüler/innen. In ganz Baden-Württemberg mit 1.140.000 Schülker/innen (Stand 2013/14) gibt es eine Gemeinschaftsschule pro 5.455 Schüler/innen. In absoluten Zahlen betrachtet liegt der Schulamtsbezirk Mannheim also weit unter Landesdurchschnitt.

Die erste Gemeinschaftsschule im Bezirk Mannheim war im Schuljahr 2012/13 die Elsenztalschule in Bammental. Ein Jahr später kamen fünf weitere dazu. Für dieses Jahr gab es sechs Anträge, allerdings wurden nur drei in Schwetzingen, St. Leon-Rot und Eppelheim bewilligt. Die Leimbachtalschule in Dielheim, die Karl-Bühler-Schule in Meckesheim und die Schule am Limes in Osterburken gingen leer aus. Die Prognosen für die Schülerzahlen hätten nicht ausgereicht, sagt Herr Ebel.

Das Einzugsgebiet des staatlichen Schulamts Mannheim umfasst die Städte Mannheim und Heidelberg sowie den Rhein-Neckar-Kreis und den Neckar-Odenwald-Kreis. Foto: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport (bearbeitet)

Das Einzugsgebiet des staatlichen Schulamts Mannheim umfasst die Städte Mannheim und Heidelberg sowie den Rhein-Neckar-Kreis und den Neckar-Odenwald-Kreis. Foto: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport (bearbeitet)

 

Bis zum Stichtag am 01. Juni 2014 hatten 12 weitere Schulen beantragt, ab dem Schuljahr 2015/16 Gemeinschaftsschule zu werden, sagt Herr Ebel auf Anfrage. Darunter die Karl-Drais-Schule in Heddesheim und die Friedrich-Schiller-Schule in Hemsbach. Verglichen mit dem Vorjahr hat sich also die Anzahl der Anträge verdoppelt. Wie viele der Anträge genehmigt werden, kann Herr Ebel noch nicht abschätzen. Die ersten Visitationen seien bereits in den Sommerferien vorgenommen worden. Jetzt laufen noch die weiteren Prüfungen: „Erfahrungsgemäß dürften es zwischen sechs und zehn Schulen schaffen“, sagt er.

Eines der Kriterien für die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule – neben dem pädagogischen Konzept – ist die Schülerzahl. Laut §8a Ziffer 2 des Baden-Württembergischen Schulgesetzes muss eine Gemeinschaftsschule mindestens zweizügig sein – also pro Jahrgang mindestens zwei Klassen anbieten können. Das heißt, dass in jedem Jahrgang mindestens 2 mal 20 Schüler angemeldet sein müssen. Und diese Zahlen müssen von der Prognose her auch für die kommenden Jahre erreicht werden, sagt Endrik Ebel. Wie groß dieser Zeitraum ist, könne man aber nicht sagen. Dafür seien die Prognosen zu komplex und würden mit jedem Jahr in die Zukunft ungenauer.

„Jede Schule ist ein Spezialfall“

Wie weit im voraus dies berechnet wird, könne man so einfach nicht sagen. Die Prüfung sei sehr komplex mit bis zu 15 Kriterien, die in die Beurteilung einfließen. Dazu gehören Daten wie die Lage der Kommune, wirtschaftliche Faktoren, geplante Neubaugebiete, Anbindungen an die öffentlichen Personennahverkehr. „Als Absicherung ziehen wir die Geburten in den vergangenen zehn Jahren heran. Diese Kinder werden im Alter von zehn Jahren eine weiterführende Schule besuchen.“

Dabei sei jede Schule ein Einzelfall und die Kriterien werden jeweils unterschiedlich gewichtet. Eine Berechnungsformel oder ein Computerprogramm, mit dem man diese Prognosen berechnen kann, gibt es nicht. Beispielsweise liegt Heddesheim mitten im Ballungsgebiet und die Karl-Drais-Schule ist nicht optimal an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden. Schüler aus Wallstadt seien bisher in Mannheim zur Schule gegangen, sagt Herr Ebel: „Man kann nicht absehen, ob sie das in den kommenden Jahren beibehalten oder ob sie doch nach Heddesheim gehen.“ Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr habe den Eltern bisher nichts ausgemacht, bei ihrer Entscheidung für die Karl-Drais-Schule. Dagegen sei nicht abzusehen, ob sich die Hirschberger Schüler künftig mehr in Richtung Schriesheim oder Weinheim orientieren, statt weiterhin nach Heddesheim zu gehen.

 

Lange nicht sicher: Die Karl-Drais-Schule in Heddesheim will ab dem nächsten Schuljahr Gemeinschaftsschule werden. Sie muss aber die Anforderungen an Schülerzahlen und an das pädagogische Konzept erfüllen.

Entscheidung noch offen: Die Karl-Drais-Schule in Heddesheim will ab dem nächsten Schuljahr Gemeinschaftsschule werden. Sie muss aber die Anforderungen an Schülerzahlen und an das pädagogische Konzept erfüllen.

 

Einen anderen Fall stelle Hemsbach dar: „Das grenzt an drei Seiten an Hessen und nebenan bietet Weinheim alle Schularten an“, sagt er. Die große Unbekannte sei beispielsweise, wie viele Schüler/innen aus Hessen die Gemeinschaftsschule nach Hemsbach ziehen wird und wie viele Schüler aus Hemsbach an die weiterführenden Schulen nach Hessen gehen – beispielsweise nach Heppenheim oder Bensheim.

Wird einer Schule langfristig weniger als zwei mal 20 Schüler in den Eingangsklassen prognostiziert, wird der Antrag definitiv abgelehnt. Ausnahmen gibt es seit der Änderung des Schulgesetzes zum 01. August nicht mehr. Ein grundsätzliches Recht auf die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule gibt es aber nicht, wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 12. August entschieden hatte. Die Gemeinden Igersheim, Obersontheim und Wäschenbeuren hatten gegen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart geklagt, da die Anträge nicht bewilligt wurden – bei 22 Anmeldungen war die Zweizügigkeit nicht gewährleistet.

Bestehende Gemeinschaftsschulen können einzügig werden

Müssen bestehende Gemeinschaftsschulen jetzt um ihre Existenz fürchten? Nein. Denn diese können auch deutlich weniger Schüler pro Jahrgang haben, bevor die Kommune sich Gedanken machen muss. Die für die Einrichtung geforderte Zweizügigkeit kann sich auf eine Einzügigkeit zurück entwickeln. Erst wenn es weniger als 16 Neuanmeldungen in einem Jahrgang gibt, wird laut §30 des Schulgesetzes ein regionaler Schulentwicklungsprozess in Gang gesetzt und die Kommune muss sich darum kümmern, wie die Schule weiterbetrieben werden kann – beispielsweise in einem Schulzweckverband mit einer anderen Kommune.

Erst wenn zwei Jahre in Folge weniger als 16 Kinder pro Jahrgang angemeldet werden und kein Antrag auf eine schulorganisatorische Maßnahme gestellt wird, wird die Schule im folgenden Schuljahr geschlossen, ist in § 30b Ziffer 2 des Schulgesetzes vorgeschrieben. Dies gilt unabhängig von der weiterführenden Schulform, also auch für Realschulen und Gymnasien. „Dann muss der Schulträger, also die Kommune tätig werden, um die Schule zu erhalten“, sagt Herr Ebel.

Stabile, verlässliche Schulen gewollt

Diese Regelung ist bewusst großzügig – man wolle eine Schule nicht schließen, wenn es einmal einen Einbruch bei den Geburten gebe. Bis die Zahl der Neuanmeldungen von 2 mal 20 Schülern auf unter 1 mal 16 rutscht, kann viel Zeit vergehen, die die Kommune nutzen kann, um sich Gedanken über den Erhalt der Schule zu machen.

Noch ist das im Schulamtsbezirk Mannheim nicht nötig. „Unsere Schulen sind alle mindestens zweizügig“, sagt Herr Ebel. Die Martin-von-Adelsheim-Schule in Adelsheim sei sogar dreizügig. Die Karl-Friedrich-Schimper-Schule in Schwetzingen, die in diesem Jahr erst Gemeinschaftsschule geworden ist, sogar vierzügig.

Gemeinschaftsschulen sind beliebt

Wegen des großen Andrangs in Bammental wurde die dortige Elsenztalschule in diesem Schuljahr ausnahmsweise sogar dreizügig. 75 Kinder gehen dort in die fünfte Klasse. „Wir hätten sonst Schüler abweisen müssen“, sagt Herr Ebel. Doch die Landesregierung wolle, dass die Eltern die zur Verfügung stehenden Schulformen für ihre Kinder frei wählen können. Insgesamt 86 Kinder hatten sich angemeldet, sagt Peter Fanta, der Recktor der Elsenztalschule. Den großen Zustrom macht er am Ruf der Schule fest, die bereits vor acht Jahren – noch als Werkrealschule – das Unterrichtsprinzip der Differenzierung eingeführt hat. „Nun bieten wir auch Hauptschul- Realschul- und Werkrealschulabschlüsse an, und die Kinder können sogar anschließend aufs Gymnasium gehen“, sagt Herr Fanta.

Den großen Andrang auf die Gemeinschaftsschulen erklärt Endrik Ebel vom staatlichen Schulamt Mannheim mit den Vorteilen des pädagogischen Konzepts an den Schulen. Seit die verpflichtende Grundschulempfehlung in Baden-Württemberg abgeschafft wurde, müssten vor allem Realschulen mehr Schüler/innen unterschiedlichster Lernniveaus unterrichten:

Die Eltern trauen den Gemeinschaftsschulen zu, dass sie mit diesem hohen Maß an Heterogenität zurecht kommen.

Auch im übrigen Baden-Württemberg gibt es immer mehr Gemeinschaftsschulen. 81 neue öffentliche Gemeinschaftsschulen gibt es in diesem Schuljahr – insgesamt sind jetzt 209 in Betrieb. Im vergangenen Schuljahr begannen 87 Gemeinschaftsschulen – damit hat sich die Zahl der neuen Schulen ab dem zweiten verdoppelt und auf diesem Niveau gehalten. Ganz offenbar wird diese Schulform nicht nur gut, sondern sehr gut angenommen. Derzeit gibt es landesweit 76 Anträge für 2015/16 – 12 davon im Schulamtsbezirk Mannheim. Wer von ihnen ab nächstem September den Schulentwicklungsprozess abschließen kann, wird im Januar von Kultusminister Andreas Stoch entschieden.

Neue Gemeinschaftsschulen wurden hier beantragt:

 Angelbachtal  Sonnenberg-Schule Grund- und Werkrealschule
 Elztal  Elztalschule Grund- und Werkrealschule
 Heddesheim  Karl-Drais-Schule Grund- und Werkrealschule
 Helmstadt-Bargen  Grafeneckschule Helmstadt, Grund- und Werkrealschule Helmstadt-Bargen
 Hemsbach  Friedrich-Schiller-Werkrealschule
 Limbach  Schule am Schlossplatz Werkrealschule der Gemeinden Limbach-Waldbrunn-Fahrenbach
 Mühlhausen  Kraichgauschule Mühlhausen Grund- und Werkrealschule
 Sinsheim  Theodor-Heuss-Schule Grund- und Werkrealschule
 Wiesloch  Gerbersruh-Werkrealschule
 Dielheim  Leimbachtalschule Grund- und Werkrealschule
 Meckesheim  Karl-Bühler-Schule Meckesheim Grund- und Werkrealschule
 Osterburken  Schule am Limes Grund- und Werkrealschule Osterburken
Über Lydia Dartsch

Lydia Dartsch (31) hat erfolgreich ihr Volontariat beim Rheinneckarblog.de absolviert und arbeitet nun als Redakteurin. Die studierte Politikwissenschaftlerin und Anglistin liebt Kino, spielt Gitarre und sportelt gerne.